Vom verpassten Oktoberfest und rosigen Zapfen

Wir wollten das totale Fest.
BIERSCHWEMME. OZOPFT IS! UND LEDER-HOSIGES HOLLODRIOOO.
Na ja, das Wiesen-Happening halt.
Eigentlich waren es Markus und Adrian, die mich darauf heiss gemacht haben. Sie schwärmten Innocent vor: «Es gibt den lederrosigen Supertag.» LEDERROSIG?
Okay, da denkt doch jeder zuerst an den Zürcher Alt-Stapi Ledergerber. Die rote Lederhose der Limmat! Aber hier gings nicht um Klein-Zürich. Sondern um Gross-München.
«Pfeife! Wir reden von der Wiesn. Und dem schwulen Bierzelt. Au mei? das ist eine Gaudi. 5000 Schwuchteln am rosa Zapfentag!»
NA JA. ICHWEISSNICHTSORECHT! Mir sind so Grossaufmärsche irgendwie peinlich. Ob nun mit rosa Lederhosen. Oder mit der roten Fahne. Innocent aber ist hin und weg. Weniger wegen der heissen Zapfen. Als vielmehr wegen der coolen Fässer. Und dem zischenden Bier. Da hätten auch die irischen Mönche ein Fest bauen können? wenn der Zapfen vom Fass ist, schäumt Innocent sofort mit: «Da schauen wir doch auf der Heimfahrt von Italien mal in München vorbei.»
Mir war es recht. Ich hatte eh vor, bei Wilhelmine Rabe im Münchner Tal einen kleinen Wintervorrat von ihren Donnerpralinen anzulegen. Deshalb koppelten wir an die kleine Blechkiste den Anhänger an.
In München merkst du bald einmal: Du steckst so oder so immer im falschen Outfit. Hier tragen sie Trächtiges. Oder Prächtiges. Letzteres meistens aus Kaschmir und Seide. Und mit mindestens einem Label dran.
ES GING JA NUN WIRKLICH NICHT AN, DASS WIR IM MOTTENLÖCHRIGEN WOLLJÄCKCHEN AUS OMIS STRICKLAUNENZEITEN BEI DEN ROSA ZAPFEN ANTANZEN.
Selbst Innocent streckte bald einmal die Waffen, als ich ihm erklärte, bei seinem Outfit käme nichts ins Zischen. DESHALB: Ledriges war angesagt. WIR BRAUCHEN TRACHTENHOSEN. UND EIN HEMD MIT EINGEBAUTEN LÄNGSFALTEN SOWIE VIRILEN HIRSCHGEWEIHKNÖPFEN! Erfreulicherweise toste in allen Geschäften der Ausverkauf von Krachledernem. Und noch erfreulicher: die Grössen 58 wurden gleich vier Mal runtergesetzt, weil hier niemand so dünn ist. Unsere Figur geht in München unter «Spargel». Das ist das Schöne an dieser gewichtigen Millionenstadt. Wer Strauss als Vergangenheit und Kohl als Feriengast hat, denkt in üppigem Rahmen.
Zugegeben? Innocents Beine sind für die groben Krachledernen etwas zu dünn und knorrig. So viel Schräges deckt auch der weisse Wollstrumpf mit dem frohen Zopfmuster nicht ab. Und vielleicht war es ein Fehler, das weisse schlichte «Faltenhemderl» mit einen Hermès-Foulard, auf dem bunte japanische Schmetterlinge gaukeln, aufzurüschen. Jedenfalls ernteten wir keine anerkennenden Blicke, als wir so ins Hofbräuhaus kamen. Nur eine Volksgruppe aus China hielt unseren Auftritt per Handy-Clip fest. Die restlichen Hofbräuaner rümpften die Nase. Und meinten: der Fasching sei erst im Februar.
Dabei hatten wir uns wirklich Mühe gegeben. Von Kopf bis Fuss. Auf Ersterem war ein Huterl, auf dem ein üppiger Gämsbart mit Edelweissbrosche die Blicke auf sich zog. Der Fuss aber steckte in einem Holzlederschuh? klobig wie Waggis-Schlurpen. Und ohne Schnürsenkel. Sodass man bei jedem dritten Schritt rauskippte.
Der Feinfühlige spürte sofort: ETWAS IST DANEBEN. Und das hatte nichts mit dem giftigen Blick der japanischen Serviertochter zu tun, die in ihrem Münchner Dirndel ebenfalls ziemlich falsch aussah: «Was wollen?»
Innocent bestellte gleich mal einen grossen Humpen, um sich dahinter besser verstecken zu können. Ich: Kamillentee. Mit zwei Schnitz Zitrone. Und drei Löffel Honig. Aber von glücklichen Bio-Bienen bitte!
DA HÄTTET IHR DIE JAPANISCHE TRACHTEN-HUBSE MAL HÖREN SOLLEN! Dies alles mit diesem schrillen Tohoku-Dialekt, den eh keiner kapiert und der immer nach heissen Quellen tönt. Sie brachte mir dann ein Teesäckchen von Lidl und eine tote Biene.
Im «Vier Jahreszeiten» waren sie von unserm Zapfen-Outfit auch nicht hell begeistert. Wir passten weder zu der Stahlstuhlgarnitur im Frühstückssaal noch zu den herumschwirrenden schwarzverhüllten Araberfrauen, die aus ihren engen Schlitzen die Augenblicke entsetzt auf unsere untrainierten Waden hefteten.
Endlich nahm sich Herr Hubert, der Chef-Concierge, ein Herz und flüsterte Innocent zu: «Aber Herr Doktor, wos hobts denn mit diesem Hällowiin-Aut-Fit im Sinn?»
«Wir gehen zur rosa Zapfen-Party auf die Wiesn», strahlte ich den Schwarzbefrackten an. Der strahlte zurück: «Ja mei? uff dr Wiesn is schu lengscht obzopft? s Oktoberfescht isch vorbei...» Wir riefen geschockt Markus und Adrian an. Doch die beiden Schweizer Zapfen meinten nur spitz: Fürs Datum könnten sie keine Verantwortung übernehmen, wenn wir so deppert seien...
NA BINGO. Da haben wir reumütig die Handgestrickten von der Omi hervorgeholt und kapiert, weshalb die Lederhosen im Ausverkauf vier Mal runtergesezt waren. Und die rosigen sechs Mal. Immerhin hat sich Willhelmine Rabe herzlich über uns amüsiert. Und die «Baseler Zopferln» wie sie die beiden Landeier aus der Kleinststadt nannte mit einem verbilligten Bierfestlebkuchen getröstet. Auf dem süssen Herz wuchert eine üppige Zuckerschrift: «FÜR MAI BABBI!»
Es scheint, dass die Münchner Väter nach dem Wiesenfest auch preiswert abgegeben werden.

Sonntag, 4. November 2012