Vom Unglück in Baden-Baden und der Nummer 23

Nachdem Innocent mir 186-mal gehustet hatte, dass ich zu schnell fahre («und überhaupt!»), und als ich 186-mal zurückgehustet hatte: «UND WER IST HIER EIGENTLICH DER FAHRER!?», da musste er mal.
Fragt mich nicht, wie diese Raststätte vor Baden-Baden hiess. Jedenfalls habe ich da hinter einem dieser Camions parkiert, die so tatzelwurmig sind wie New Yorks längste Strassenreihe. Und dann stand ich vor einem Automaten, in dem irgendwelche Kaffeezwerglein auf wunderbare Weise doppelte Espressi kochen. Sie spucken diese mit frohem Gegurgel aus einer Aluröhre direkt in den Karton. Solches für 3.40 Euro. Zucker à discrétion.
OH WELT, WO SIND WIR GELANDET?
Selbst den Laugenbretzel fischst du dir selber aus dem Ofen. Da muss man sich nicht über die Arbeitslosigkeit wundern, wenn jeder alles selber machen muss. Und auch noch für total 9.90 Euro.
Als Innocent die Rechnung sah, verzog er sich gleich aufs Klo zurück: «Bei diesen Preisen muss mans ausnützen!»
Als wir zum Auto kommen, ist da keines mehr.
NUR NOCH ZIEHHARMONIKA. Der Sattelschlepper muss rückwärts gefahren sein. Er drückte mein Blech platt wie Herr César seine gepresste Kunst. JA HALLO, DA KAM ABER FREUDE AUF!
Besonders als nirgendwo eine Visitenkarte des Drückebergers zu entdecken war.
Ich muss sagen, dass der Polizeiposten von Baden-Baden sehr attraktiv dasteht. Aber leider zugesperrt hat. Am Wochenende machen Verbrechen wie Polizei Pause.
Da soll der Bürger sich aus bundesspartechnischen Gründen daheim einschliessen.
FRAU MERKEL, FRAU MERKEL, JETZT IST ABER GENUG GEKNAUSERT!
Ein barmherziger Taxifahrer aus Kosovo pickte mich auf. Er fuhr mich vor? und dies sechsmal durch das kleine Städtchen mit den herrlichen Parks und diesem Spielcasino, das ein Puff sein könnte. Der Driver spähte nach links und rechts. Da waren aber nur Oldtimer, weil Baden-Baden zu einer Vollversammlung alter Kisten aufgerufen hatte. Die parkten da im Weg herum. Zechten fröhlich Bretzen und Champagner.
Und schauten mit angeekeltem Blick auf unseren Trümmertrümmel und auf den Kosovaren im Opel davor. Endlich jagte uns eine barmherzige Lebkuchenverkäuferin Richtung Hamburg: Dort sei eh immer alles offen. Und so stiessen wir auf eines dieser hässlichen Gebäude, das die heutige Architektur «neue Moderne» nennt und hier «POLIZEIHAUPTSTATION» heisst.
BINGO? jetzt ging echt die Post ab, als sie meinen Blechfächer fotografierten: «So ein schönes, neues Auto... und jetzt alles mit Falten, wie Frau Mutters Hals, wenn sie ihre Geige einklemmt...»
POLIZEIMANN HOLGER, DIE NUMMER 23 IM DIENST, ENTPUPPT SICH ALS SPÄSSLEREISSER.
Der stattliche Mann mit dem Leberwurstbauch wusste von andern schrecklichen Parkschäden zu erzählen. So auch vom zusammengestauchten Fiat, der wie eine gemixte Cremeschnitte ausgesehen habe. «UND DA HOCKTE GAR NOCH EIN HUND DRIN. ICH SAGE JA IMMER: NIE HUNDE ALLEINE IM PARKIERTEN AUTO LASSEN. DER HUND KLEBTE AN DER SCHEIBE. ICH HOLE RASCH DIE BILDER, DANN KÖNNEN SIE SEHEN, WIE ER DA...» Ich bedankte mich höflich. Und wollte keinen klebenden Hund sehen.
Als ich drei Stunden später wieder nach Baden-Baden zurückkurven wollte, staute alles. Innocent erreichte ich über iPhone. Er war feuchtfröhlicher Dinge: «ICH STEHE DA BEI DIESEN OLDTIMERN... SUPER SACHE. VOR JEDER KARRE GIBTS EINEN SCHLUCK...» Na ja? Oldtimer unter sich.
Abends trafen wir dann unsere Network-Freunde vor dem Festspielhaus. Sie waren alle guter Dinge, da sie den Besuch von Baden-Baden mit einer Tortenkur verbunden hatten. So schwärmten sie innig von Mokka mit Nuss und Sahnekuchen, während ich einzig und alleine den Zwergen-Kaffee aus dem Automaten intus hatte. Als sie mir noch von der Streuselschnitte mit Aprikosen vorschwärmten, machte ich die Schraube. Ich kam erst wieder zu mir, als gütige Finger meine Lippen mit diesem Wasser nässten, das nach faulen Eiern stinkt und deshalb kurgeeignet ist.
«Mach kein Theater wegen einer verpassten Himbeerschnitte!», zischte Innocent geniert.
HIMBEERSCHNITTE!? Ich bebte bereits wieder.
Da kam dem Garderobier die gütige Idee, mir einen Müsliriegel zwischen die Zähne zu rammen. War nicht gerade ein Ersatz. Aber immerhin.
Ich war nun bereit für «Cosi fan tutte». Und Herrn Villazon, der sich neben all den Oldtimern überall auf dem Plakat angekündigt hatte. Die Bühne war mit Lilien geschmückt. Da ahnte ich Böses. Lilien auf Bühnen bringen Unglück. Das hat schon die Callas gesagt. Und die stand weiss Gott mit dem Drama auf Du und Du.
Ich wills kurz machen: Nach dem fünften Ton habe ich Innocent in die Seite gepufft: «Leih mir mal deinen Hörapparat!» Herr Villazon gab nämlich nur warme Luft von sich. Und in der Pause meldete sich dann der Intendant per Mikrofon:
«Leider hat der Sänger eine Allergie... wir hoffen, er hält durch!»
Der Rest des Abends war dann ein musikalisches Flüstern. Aber immerhin mit Sängern von Weltformat.
Und wer hört heute schon noch auf die Callas und ihre Lilienphobie... das ist wie mit Polizeimann Holger und seiner Warnung: HUNDE NIE IM PARKIERTEN AUTO LASSEN!
Die nette Network-Familie zogs dann ins Casino, wo ich mich an der Bar sofort über die Erdnussschale hermachte. Und drei Ernten voll reinhooverte.
«Man muss sich ja schämen», klagte Innocent vor seinem Weizenbier. Und ich verzog mich kleinlaut, aber frisch erdnussgestärkt an einen der Spieltische. «RIENS NE VA PLUS!», tönte es da. Einer Eingebung folgend, schob ich dem Croupier eine Zehn-Euro-Note zu und brüllte: «ALLES AUF POLIZEIMANN HOLGER!»
Der Mann schaute genervt auf. «DIE NUMMER 23!» Als die elfenbeinige Kugel endlich ausgesurrt hatte, hüpfte sie? klack... klack... klack!? auf die 18. Mit gesenktem Blick und aller Freuden beraubt, ging ich zu den Networkern an die Bar zurück. Dort stand tatsächlich eine ganze Platte belegter Brötchen auf dem Tresen.
GLÜCK MUSS MAN HABEN!

Samstag, 4. August 2012