Vom Türkenhonig und Wasserski am Bosporus

Es war Tante Martha, die das mit Istanbul sagte.
Tante Martha (MUTTERSEITE, ALSO VORNEHM) war eh das Familientrauma.
Ich meine: Kneippsandalen mit Wollsöckchen... Kant und Droste-Hülshoff im kulturellen Rucksack... und dazu ein Gesicht wie ein gedämpfter Uhu.
Martha war die Nummer eins, wenn es galt, eine angeregte Unterhaltung zum Platzen zu bringen.
Es gibt ja immer wieder solche Menschen. Ich denke da auch an Franz-Josi. Wenn irgendeine interessante politische Diskussion durchs Zimmer vibriert und da schon mal die Späne fliegen, ja wenn es immer hitziger wird und die Parteien sich bereits mit «IHR RIESENARSCHLÖCHER!» bewerfen, da kommt der Franz-Josi mit seiner Standardfrage: «MACHT IHR DIESES JAHR WIEDER EINEN BAUM?»? Dies im August, wo selbst der Weihnachtsmann nur an Eiskugeln denkt. Da ist dann die Luft in der Diskussion natürlich draussen, wie beim Ballon, der auf einer Bierflaschenscherbe stirbt. PFFFFT! AUS!
So wars auch immer wieder mit Tante Martha.
Wenn meine Mutter in höchsten Tönen das Liedlein vom super geratenen Wundersohn trällerte und mein Vater behauptete, dieses Genie würde mal als gradlinigster Bundesrat in die helvetischen Geschichtsbücher eingehen? wenn da also herrliche Familienträume verbaliter (das ist Latein, ihr Gurken!) gesponnen wurden, warf der gedämpfte Uhu ohne jeden Zusammenhang den Satz in die Runde: «WER NIE IN ISTANBUL TÜRKISCHEN HONIG GENOSSEN HAT, HAT NICHT GELEBT!» Sie kam immer wieder damit. Und gab dick an, wie sie als junges Mädchen schon auf dem Bosporus Wasserski gefahren sei. «Ihretwegen wurde der Schleier erfunden!», zischte dann meine Mutter mit ihren Schlangenzünglein. Aber das Kind horchte auf: Türkenhonig... Istanbul... Sonst nie gelebt?
Martha setzte dem Kleinen also einen verzuckerten Türkenfloh ins Ohr. Und dort sass er fest.
So kommt es, dass ich immer mal wieder meinen Freund Murat anrufe: «Gib mir die Schlüssel!»
Dann stehe ich inmitten eines Heers von schnurrbärtigen Männern und schwarz gewandeten Frauen vor dem Pegasus-Schalter am Basler Flughafen. Und warte darauf, in die Luft zu gehen. Ich warte vergebens. Denn natürlich schleppen die Frauen noch schlafzimmerschrankgrosses Handgepäck mit Plastikkinderspielsachen, Handmixern und chinesischen Muranoleuchtern mit. DA HERRSCHT VOR DEM GATE 27 EIN TREIBEN WIE AUF DEM BASAR VON IZMIR. Und die elsässische Bodenfrau der Flugfirma steht so verloren und machtlos vor all den keifenden Weibern wie Frankreichs Präsident Hollande vor seinen beiden Beziehungszicken.
NA DANN HABE ICH ABER DEM VEREIN MAL WAS GEHUSTET!
Wo wir hier eigentlich seien? Murat warte mit dem Schlüssel auf dem Flughafen, der nach diesem türkischen Emanzenweib genannt worden sei.
Und jetzt mal ab die Post!
Die Männer mit den Schnurrbärten nickten mir wohlgefällig zu. Sie schauen mich vielsagend mit diesem Blick an, den ich so oft beim «starken Geschlecht», das daheim nichts zu husten hat, gesehen habe. Dabei liessen die Schnauzer stumm, aber mit einer lasziven Eleganz die 33 Kügelchen ihres Tespihs durch Zeigefinger und Daumen rollen.
DIES PAUSENLOS. Dabei handelt es sich um dreimal 33 stille Wünsche und Gebete, die zu Allah und der Welt gesprochen werden. Aber dasjenige vom «LASS UNS ENDLICH ABFLIEGEN!» war nicht dabei. Jedenfalls war es bereits spät in der Nacht, als Murat mir den Schlüssel zur Wohnung aushändigte und ich ihm heulend um den Hals fiel: «ES WAR SCHRECKLICH, GANZ SCHRECKLICH? SO EINE FLADENOMI HAT MIR IHRE PFEFFERSCHOTENPASTA AUF MEIN NEUES GUCCI-GILET GEKIPPT UND...»
Murat schält mich geniert von sich: «NICHT HIER.
WIR SIND NICHT IN EUROPA!»? Okay. Aber in die EU wollen sie!
Die Wohnung ist natürlich irre. Es ist Murats Absteige. Und als ich letztes Mal hier war, ging ich mit meinem besten Kaschmirmantel ins Bett.
Die Heizungen liegen nämlich flach, wenns mal eisig wird. Und das wurde es. Die Schneeflocken flogen dir tellergross und so fröhlich wie die Fliegen über dem Kuhmist um die Ohren. Jetzt aber haben wir 36 Grad im Schatten. ES IST IRRE HEISS. Deshalb ist die Wohnung auch irre.
Denn natürlich kommt aus dem, was Murat COOLER nennt, nur ein Röcheln. Der Klimakasten ist die reinste «Telearena» an der Wand: VIEL LÄRM UND WARME LUFT? SONST GAR NICHTS!
Ist mir aber so etwas von egal. Denn wenn du auf dem kleinen Terrässchen stehst und der Bosporus vor deinen Füssen liegt, vergisst du einfach alles.
ALLES.
«ES IST WIE DAMALS, ALS WIR NOCH AM RHEIN WOHNTEN», mache ich das Caphorn zum Basler Traum. Um mich herum sind Dächer... Dächer... Dächer. «20 Millionen Einwohner!», sagt Murat stolz. Zwischen den kleinen unscheinbaren Häusern ragen viele Krane und Türme hervor? Istanbul erinnert an das kleine Mädchen, das zu schnell aus seinen Kleidern wächst. Die Schiffe tuten schön heiser auf der Üsküdar-Seite. Das erinnert mich sofort an Tante Martha und ihre Wasserskifahrten hier.
«ICH WILL UNBEDINGT UND SOFORT TÜRKENHONIG ESSEN!», gebe ich Murat den Tagesbefehl durch. Der: «WELCHEN HONIG? Wir machen da etwa 2000 Sorten, du Schlaumeier.»
«TÜRKENHONIG!», erkläre ich. Schliesslich hat Murat in Basel gelebt. Ist am Rhein aufgewachsen. Hat hier 50 Prozent einer Automechanikerlehre hinter sich gebracht, um dann alles hinzuschmeissen und einen «Was sind schon 100 000 Kilometer auf einem Mercedes-Tacho?»-Handel aufzuziehen. Jetzt ist er stinkreich und fährt Rolls.
Ich hole ihn in seine Vergangenheit zurück: «Du weisst doch noch, wie wir an der Herbstmesse als Kinder immer an diesem Stand herumlungerten... Der mit dem weissen, regenbogenfarbigen harten Brocken? TÜRKENHONIG!»
Murat schaut mich genervt an: «IHR HABT ALLES UNS TÜRKEN ANGEHÄNGT. UNSER HONIG IST GESCHMEIDIG WIE DIE HAUT EINER JUNGEN BAUCHTÄNZERIN... UND NIEMALS HART!»
Ihr Lieben? Tante Martha muss auf einem andern Bosporus ihre Wasserskirunden gedreht haben.

Samstag, 14. Juli 2012