Vom Traditionellen an den Weihnachtsessen...

Weihnachtsessen spulten auf den Schienen der Tradition ab.
Heiliger Abend: Schüüfeli auf Bohnen, Russische Creme. Gutzi. ENDLICH!? Die Dinger wurden damals nämlich bis zum Halleluja-Moment in einer Blechkiste auf dem Kleiderkasten im elterlichen Schlafzimmer aufbewahrt. Sex-Forscher haben weitum beachtete Doktor-Arbeiten über dieses Phänomen geschrieben: «Wie stimuliert das Anisbrot unser dezemberliches Hoppe-Hoppe-Reiter-Spiel?»
Parallel zu den Dörrbohnen dampfte der Familienkrach. Heilig Abend war immer ein Moment, als ob im Zirkus sämtliche Gitter beim Raubtierakt gefallen wären. Mutter kippte bereits das dritte Valium mit Cognac, als die Omi uns aus der Märchenvorstellung im Theater abholte: «Eure Erzeugerin spielt mal wieder Vulkan... sie hat Hubertine eine?bigotte Bibel-Suse? genannt und euren Onkel Alfred mit den Worten?Na du Saufloch, hast du dir den Flachmann schon wieder nachgefüllt??», bereits wieder in die Heilige Nacht vertrieben.

Natürlich war so ein Familientreffen am Festtagstisch mit Tücken und Fallen gespickt. So durfte man Tante Hubertine beispielshalber nie auf ihre grapefruitgrosse Fleisch-Kugel ansprechen, die sie mit einem schwarzen Wollschal abdeckte und wo ein schrecklicher Kropf am Hals hing? wie der Bauch eines kleinen b am Stiel.
DER KROPF WAR TABU. Und als Rosie Hubertine einmal frug, ob es stimme, dass im Kropf all das Böse stecke, das sie als gottesfürchtiger Mensch heruntergeschluckt habe? DA WAR ABER BÖS TANGO IM STALL!
Wir Kinder spürten das Vibrieren eines Heiligen Abends, wie man einen Niesanfall oder Föhn-Migräne kommen fühlt? aber so etwas konnte unserm Jubelgefühl nichts anhaben. Denn heute gabs Geschenke. Und soll mir kein so Dummi kommen, der behauptet, die Geschenke seien nicht immer das Wichtigste gewesen.
Ich will nicht von jener schrecklichen Weihnacht berichten, als die Familie beschlossen hatte, dass wir nun alle keine Kinder mehr seien und diese Bildchen mit den hungernden Menschen und ihren ganz grossen Augen herumreichten.

GANZ GROSS STAND DA AUCH DAS SPENDENKONTO!
«Es ist doch schön für eine gute Sache auf etwas zu verzichten...», machten alle einander mit falscher Fröhlichkeit Mut. Und füllten Einzahlungsscheine aus.
Am Heiligen Abend war uns dann allen schlimmer, als den Armen in den Drittweltländern. Es schüttete draussen, dass gar die Fensterscheiben weinten. UND MAN HATTE UNS DES SCHÖNSTEN VOM JAHR BERAUBT? DER GESCHENKE. Am Niger schien mindestens die Sonne.
Schüüfeli auf Bohnen hat eh keinen heiss gemacht. Vater hätte lieber Klöpfer mit Spiegelei und Tante Hubertine, die aus einer ostpreussischen Predigerfamilie eingeheiratet hatte, «gefüllten Karpfen» gehabt. Also sassen wir mut- und freudlos im Kreise herum. Wünschten einander die Krätze ans Gesäss. Und das Blockflötenspiel der kleinen Rosie klang so jammervoll, als würden alle Armen dieser Welt mit uns heulen... JA, EINE ÄHNLICHE MÜDE MADIGKEIT KANN MAN SICH HEUTZUTAGE NUR NOCH IN EINER BANKENDIREKTORENFAMILIE VORSTELLEN, WO VOR DEM FEST DIE BONI WEGGEFALLEN SIND.
Natürlich wurde das, was in der Familiengeschichte als «die Biafra-Weihnacht» einging, nie mehr wiederholt. Selbst Hubertine mit dem reinen Herzen und dem vollen Kropf machte keine ähnliche Verzichtvorschläge mehr. Künftig füllten wir ganz einfach die Einzahlungsscheine für die Armen aus und liessens dann mit gutem Gewissen krachen...
NUR DAS SCHÜFELI BLIEB.

Zwar war die Sau jetzt vorgekocht und hatte einen Stanniolmantel übergezogen bekommen. So sütterte das Geräucherte nicht mehr stundenlang auf den Schrumpfelbohnen, sondern nur 30 Minuten im heissen Wasser, was den Umweltgedanken förderte das Schwein aber geschmacklich zur Sau machte.

Die Dörrbohnen kamen nun von Onkel Hero und waren weniger verknittert, sondern in diesem saftigen Grün, das später eine eigene Partei hervorbringen sollte. Überdies waren die Böhnchen mit dem Prädikat «extra fein» ausgezeichnet. Aber geschmeckt haben sie nix die Bohne!
Mit der Zeit schrumpelte die grosse Familie wie der Messe-Ballon im Kinderzimmer. Parallel zum Schüüfeli auf Bohnen wurden nun die ersten «Ach,-weisst-du-noch»-Geschichten herumgegeben. Und zum ersten Mal erzählte auch Hubertine mit schepperndem Lachen, wie Rosie ihr als Fünfjährige eine Packung Wellensittich-Packung voller Jod-SF-Körnchen gegen das Unschöne am Hals zum Fest geschenkt habe...
Doch erst, als auch unsere liebe Mutter nicht mehr am Tisch sass und dennoch ihr traditionelles «Schüüfeli auf Bohnen» aufgetischt wurde, nahm Onkel Alfred einen zünftigen Schluck aus dem Flachmann. Wischte sich den Mund ab. Und knurrte: «Könnten wir nächste Weihnacht vielleicht einmal etwas anderes, als Schüüfeli...»

Wie einst Dschingis Khan, ist dann eine Horde von Metzger über unser Land und den Advent hereingebrochen. Alle rädelten Röllchen fürs Fondue Chinoise? Weihnachten zeigte erstmals sein neues gastronomisches Rollenverhalten...
Tante Hubertine hats nicht mehr erlebt. Preussisch stur wie sie war, wollte sie einem heranbretternden Lastwagen nicht weichen? sie starb ohne noch je einmal «gefüllten Karpfen» zum Fest gegessen zu haben...

Donnerstag, 4. Dezember 2008