Donnerstag Man sagt, dass bei der Nachricht von ihrem Tode der Himmel über dem Argentario schwarz geworden sei. Tausende von Schwalben hätten sich vor die Sonne gestellt. Und es sei für einen Moment dunkle Nacht geworden? DIES MITTEN AM SONNIGSTEN TAG.
La Signora? so nennen sie hier alle. Und obwohl die kleine Halbinsel von Königinnen bis hin zu Berlusconi all das beherbergt, was die Geschichtsbücher so aufreihen, war LA SIGNORA eben stets mehr als ein Stück Staatsmoment. Sie war für die Bewohner eine Mutter. Jemand, der hierher gehörte wie ein uralter Olivenbaum oder die verlotterten Forts der Spanier.
La Signora kam aus reichem Hause. Ihr Vater hatte die Fiat-Werke gegründet, ihr Bruder zog an allen politischen Drähten dieses Landes? ja man sagt, er habe auch die Drähte bei der Vergabe der Olympischen Spiele gezogen. Damals, als Ogi weinte. Und Turin lachte.
Allerdings? la Signora hat sich ziemlich früh von ihrer Familie und dem Cavaliere (wie man ihren einflussreichen Bruder in der Welt nannte) verabschiedet. Susanna lebte ihr eigenes Leben.
Die Liebe zur Natur hat sie vor mehr als einem halben Jahrhundert auf unsere kleine Insel gebracht. Sie war fasziniert von der Unberührtheit der Küsten. Sie bewunderte die Vielfalt der wilden Orchideen, die balzenden Auerhähne und die Millionen von tanzenden Glühwürmchen im Mai. Susanna schwor der Welt und sich, dieses Kleinod an Natur zu bewahren.
Ihr Geld alleine (und davon? so prahlten die Fischer auf der Insel? «besitzt unsere Signora so viel wie das Meer Salz hat»), ihr Geld alleine genügte nicht. Sie brauchte auch politischen Einfluss. Und da sie von ihrem Bruder als Unternehmer eines Konzerns, der die Umwelt mit Abgasen belastete, kaum Schützenhilfe für ihre grünen Ideen erwarten konnte, wurde auch sie Senatorin. Bald wählten sie die Leute als Oberhaupt dieser Region, die man Maremma nennt. Das übrige Italien hat über den südlichen Teil der Toskana stets gespöttelt? «ein bisschen wilder Westen, ein bisschen Tirol». La Signora aber sorgte dafür, dass die riesigen Felder, auf denen die Maremma-Rinder mit ihren geschwungenen Hörnern gemütlich grasen, und die Steppen sowie die Lagunen, die für die verschiedensten Vogelarten zum wunderbaren Brutort werden, unter Schutz kamen.
Sie machte aus der Maremma und der Halbinsel Monte Argentario ein Naturreservat. Dies alles ziemlich unspektakulär, so dass es die grossen Touristenmassen bis heute nicht anzieht. Aber doch so konsequent, dass der WWF die Gegend als eine der wichtigsten Naturoasen Europas unter seine Fittiche genommen hat.
Susanna Agnelli siedelte sich auf der Insel an. Sie wollte persönlich hier sein, um Missbräuche zu fahnden. Die Insulaner sahen sie auf ihrem Motorrad durch die mörderischen Haarnadelkurven brettern. An jedem dritten Rank setzte sie ihr Fernglas vor die berühmten Augen, welche (so die Inselbewohner) «das Blau des Wintermeeres» hatten.
Erbarmungslos zeigte sie Missetäter, die einen Kuhstall zu einer Villa umbauten, an. Mit der Signora war nicht gut Kirschen zu essen? zumindest nicht, wenn es um ihre Insel ging.
Nur einmal bin ich ihr persönlich begegnet. Es war drei Tage nach Weihnachten in der kleinen Bäckerei am Hafen. Susanna Agnelli hatte eben das Buch «Wir trugen Matrosenkleider», eine persönliche Abrechnung mit den faschistischen Momenten in ihrer Familie, veröffentlicht. Und ich hatte es begeistert gelesen.
Als die Signora nun in der Bäckerei stand, jagte ich voll der Bewunderung auf sie zu und klopfte ihr auf die Schulter (was man bei einer Signora ja eh nie tun sollte)? schon wurde ich von drei Männern gepäckelt. Denn neben der unscheinbaren Naturfreundin war sie eben doch einerseits Ministerin und andererseits die Fiat-Erbin. Beides wird in Italien von Bodyguards geschützt, wie die Maremma-Kühe vom WWF.
In den letzten Jahren hat man Susanna Agnelli auf dem Argentario kaum mehr gesehen. Die Läden an ihrem Haus bei der Bucht blieben verrammelt. Man wusste, dass es La Signora nicht sehr gut ging. Und dass man sie in Rom pflegte.
Seltsam? als die Signora wegblieb, kamen auch die Auerhähne und Schwalben kaum mehr hierher. Unter Berlusconi wurden die rigorosen Bauverbote gelockert. Es gab niemanden mehr, der mit Argusaugen die Missstände anprangerte.
Es war der Wunsch der Signora gewesen, auf der Insel bestattet zu werden. Wie ein Hochsicherheitsgefängnis wurde der Argentario an jenem Mainachmittag von gestiefelten Carabinieri bewacht. Die Grossen aus Politik, Kirche und Geldadel fuhren für die Abdankung zum kleinen Mönchskloster auf den Berg.
Als dann die beiden Kardinäle aus Rom und Florenz endlich das letzte Amen gesprochen hatten und die verwitterte Kapellentüre sich zum kleinen Klosterplatz öffnete, da standen ein Dutzend Auerhähne regungslos auf der Piazetta.
Erst als die Fotografen das «piccolo miracolo» festzuhalten versuchten, machten sie sich davon. Und werden wohl nie mehr zurückkehren...
Die Nacht auf der Insel aber war schwarz und sternenlos? die Glühwürmchen hatten ihre Lichter gelöscht. Und Gott gebe, dass es Menschen gibt, wie La Signora, welche wieder das Licht in dieses Land bringen werden.
Vom Tod der Signora und dem Besuch der Auerhähne
Donnerstag, 4. Juni 2009