Vom Schwarzfahren und wie das in Rom so ist...

Dienstag - ZU SPÄT!
Pffffft - die Tramtüren klappen zu. Du siehst den Zivilisten mit dem dicken Bauch und dem wattierten Jäckchen von H&M. Wie ein Blitz zuckt es durch deine Ganglien: DAS IST EINER!

Dein Daumen drückt krampfhaft auf den roten Knopf, der dir das Tor zur Freiheit wieder öffnen sollte.

ZU SPÄT!

Der Trämler klingelt sich den Frust aus den Zehen - und schellt mich ins Off: Nichts geht mehr. Keine Türe. Keine Flucht. Nur ein Ruck durch den Tramzug - und stöhnend kreischt sich der grüne Tatzelwurm den Kohlenberg rauf. Der zweite, der dann stöhnt, bin ich: denn

1. KEIN BILLETT.

2. DER WATTIERTE H&M-HERR BLÄST SICH NUN AUF UND ERINNERT SEHR AN DAS MICHELINMÄNNCHEN MIT DEN REIFEN: «Guten Tag - Billettkontrolle!»

Wie soll da ein Tag schon gut sein?!

Mittwoch - Eigentlich bin ich kein geübter Schwarzfahrer.
Na ja - manchmal schon. Und in Italien IMMER.
In Rom habe ich in 37 Jahren erst eine einzige Kontrolle erlebt. Damals war ich Chinese. Ich konnte einfach nur Chinesisch. Zwei stark entzündete Weisheitszähne kamen mir im Chinesischen sehr zu statten. Sie liessen meine Backen anschwellen, wie Tante Hubertas Dampfnudeln. Über dem Geschwollenen verengten sich die Augen zu feinen Schlitzen. Man ahnte die ansonsten so gepriesenen nur noch. ES WAR HORROR UND DESHALB CHINESE. Jedenfalls sahen mich die Leute so an, als wollte ich ihnen musikalische Feuerzeuge oder gefälschte Rolex-Uhren verkaufen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass römische Billett-Kontrolleure vor chinesischen Schwarzfahrern das Handtuch werfen. Jedenfalls machte ich im Bus vor dem Macho mit dem Kontrolleurausweis einen zarten Knicks, hielt die Hände zum Gruss aneinandergepresst an die Stirne und habe erst später erfahren, dass dies eigentlich Dalai Lamatisch und mitnichten Maotisch ist. Na, jedenfalls hats der römische Tramkontrolleur auch nicht gewusst. Er verbeugte sich würdevoll. Zu den andern Buspassagieren, die uns neugierig anstierten, brüllte er: «Glotzt nicht so. Das ist eine arme Sau aus einem Land, wo Frühturnen auch für Rentner obligatorisch ist. Wie soll man so etwas bestrafen?!»

Dann wedelte er ein Zigeunerkind von einem der kaugummiverklebten Holzplätze und liess mich draufhocken: «Ecco Cinesino? bis zum Lateran ist es noch weit. Und ihr Chinesen habt doch alle Plattfüsse, haha!» - Mit dieser Pointe wollte er bei den übrigen Busfahrern punkten. Aber die schauten mich derart verbiestert an, als hätte ich soeben Italien um Milliarden beschissen und hiesse Berlusconi.
Na ja - Schwamm drüber. Jedenfalls wars das einzige Mal, dass ich einen Kontrolleur in einem römischen Bus erlebt habe und die alte Mutter Arioli, der ich die Geschichte später erzählte und die in ihrem langen Leben auch noch nie ein einziges Bus-Billett gekauft hatte, schlug das Kreuz: «Oh Dio mio - es gibt sie also wirklich!? Ich habe sie stets für Osterhasen gehalten - effektvoll. Aber nicht existent.»

Nun ist es aber nicht so, dass ich in Basel die BVB, den Staat UND SOMIT EUCH ALLE beschummle. OH NEIN. Ich lasse mir jedes Mal ein Ticket rausblinken. DAS BIN ICH MEINEM LIEBEN VATER, DER DIE RENTE AUS ALL DIESEN GRÜNEN APPARATEN MIT DEM MÜNZ DRIN BEZIEHT, SCHULDIG.

Nur meine Mutter ist immer schwarz gefahren. Sie war der irrigen Meinung, dass mein Vater als designierter Obmann des Morgarten-Depot-Personals etwas Königliches sei. So wähnte sie sich als Tramschienen-Queen. Und wenn jemand sie nach einem Ticket fragte, kanzelte sie diesen mit einem gutgezielten Akkusativ ab: «WISSEN SIE EIGENTLICH, WEN SIE VOR SICH HABEN - SIE DUMMER MANN?!» Der kannte den Akkusativ natürlich nicht und machte ein dummes Gesicht, bis Mutter Luft holte und donnerte: «DIE SECHSER-KÖNIGIN!»

Natürlich verunsicherte solches Gebaren das gewöhnliche Trambimmelvolk und Mutter ging als schwärzeste Schienen-Drakequeen der 6er-Linie in die Annalen der staatlichen Verkehrsbetriebe ein.

ABER DOCH NICHT IHR KLEINER TRÄMLER-PRINZ!

Also das mit dem Schwarzfahren passiert mir in Basel wirklich nur, wenn ich kein Münz im Portemonnaie habe und versehentlich vor einem Apparat stehe, der meine Noten nicht schluckt, obwohl ich sie krampfhaft in den Schlitz stopfe. Ich äuge dann nach links und rechts, in jeden Hauseingang und unter das Spalentor, ob sich dort nicht irgendwo so eine H&M-Jacke versteckt. Ist die Luft rein, drücke ich den Knopf. Ist sie es nicht, nehme ich den Nächsten - denn 2 Billettkontrollen hintereinander sind so unwahrscheinlich wie der Gewinn des Jackpots.

«Wen haben wir denn hier», ist der Kotrolleur auf mich zugegangen. Sein Gesicht strahlte in Vorfreude auf den peinlichen Moment. Schon will ich ihm erkären, dass das Tram-Jahresabonnement zu Hause auf der Kommode liegt und?

«? Sie haben am Radio doch ein Pudding-Rezept durchgegeben. Ich habe das nachgemacht. Man konnte den Pudding saufen, haha! - Nun erklären Sie mir doch noch einmal?» Vor mir atmete ein junger Junky erleichtert auf. Er zeigte mir den Daumen nach oben. Und steigt aus, während ich H&M noch drei Stationen lang den Flan erkläre...

Dienstag, 23. August 2005