Vom schwarzen Jesuskind? und wer spielt was?

Das Jesuskind war eine kleine Sensation: rabenschwarz.
Maria und Josef dito. Nur der Ochse, der zwischen ihnen seinen heissen Atem in kleinen grauen Wölkchen über die Krippe pfiff? also der war so aschgrau wie immer.
Die Tradition will es, dass in unserm kleinen Hafenort über die Feiertage bis zu Befana die ganze Homestory vom Stall, dem Esel und der Heiligen Familie Abend für Abend live aufgeführt wird. Wochen vorher fiebert da ein geschäftehubriges Hin und Her in den schmalen Gassen:
WER SPIELT WAS?
Aber eigentlich sind es stets dieselben Protagonisten: der Bäcker spielt den Bäcker, der Fleischer den Fleischer? nur die Rolle vom Dorfschlosser wird seit Neuestem von Silvan, einem rumänischen Einwanderer, übernommen. Der alte Nando, der in der dritten Generation für die Menschen von Porto Santo die Schlüssel und Schlösser ihrer Häuser in Ordnung gehalten hatte, erlag dem Biss der bösen Meeresgöttin. Silvan ist sein Nachfolger.
Man sagt, Nando habe ein Leben lang nie gebadet.
Aber als der Sommer dann seine Hitzemomente ausschüttete, zog sich der fette Schlosser aus. Und stampfte nachts? so erzählen sies auf der Insel? ins lauwarme Wasser, auf dem sich der halbvolle Mond zur Ruhe legte. Nando soll im Gegensatz zum Mond nicht halb-, sondern ziemlich voll gewesen sein? jedenfalls tauchte er laut singend und nackt unter, als ihn die Meeresgöttin für sein unschickliches Erscheinen strafte.
NACKTBADEN IST NÄMLICH NICHT ERLAUBT.
DA SIND DER TOURISMUSVEREIN SOWIE DON ALFONSO, DER PFARRER DES ORTES, FÜR EINMAL EINER MEINUNG.
Die Meeresgöttin umschlang Nando also mit ihren Armen. Der fette Schlosser brüllte auf? kam keuchend und rot wie eine frisch gesottene Languste an Land. Und brach dort zusammen.
Ein junges Pärchen aus Florenz, das den halben Mond im Meer anbetete, wäre fast über das Menschenbündel gestolpert. ALARM. BLAULICHT. AB IN DEN PRONTO SOCCORSO? dort aber konnte der amtierende Medicus nur noch EXITUS feststellen.
Und: «La Medusa!» Es war eine tausendarmige, GIFTSPRÜHENDE Qualle, welche Nandos üppigem Fleisch nicht widerstehen konnte. Und der Arme reagierte allergisch.
NÄCHSTES BILD? der Sarg, wo Nando ordentliche Sachen anhatte: die Sonntagshose, die man zu dieser festlichen Gelegenheit zum vierten Mal auslassen musste... das weisse Hemd (das er nur EINMAL an der Trauung seiner Tochter getragen hatte) und rote Socken, obwohl Nandos Füsse ein Leben lang nackt in Sandalen steckten und der rechte Zehennagel für alle sichtbar schwarz wie eine Trauerkarte war.
Epilog: NANDOS SCHLOSSEREI WURDE ZUR GESCHLOSSEREI!
Weil man aber einen Schlüsselmacher im Ort brauchte, mietete Silvan eine Garage. Der Rumäne, der aus dem kommunistischen Bukarest geflohen und in seinem Land Apotheker gewesen war, schlitzte auf der Insel Sardinen auf. Im Akkord.
Nun erstand er auf Pump einen Occasion-Schlüsselmacherapparat.
Und wurde zum neuen Schlosser des Ortes, wenn das auch «bei Gott nicht dasselbe» wie bei Nando war.
Deshalb also steckte Tekla, die Vorsitzende des menschlichen Krippenspiels, den jungen Rumänen in Nandos alten Schlosserrock. Mit einem Fischerseil schnallte sie ein riesiges Kopfkissen dorthin, wo Silvans Bauch hätte sein sollen.
Die Menschen des Hafenorts verbummeln sich also bis zum Dreikönigstag als Schauspieler. Nacht für Nacht imitieren sie bei Fackellichtern und stinkenden Öllampen, die schlimmer rauchen als die ganze Marlboro-Gemeinde, ein Bild vom einstigen Bethlehem.
Eigentlich bin ich mir 99-prozentig sicher, dass dort alles anders ausgesehen hat. Bestimmt aber hatten die damaligen Waschfrauen keine kurzarmigen Blusen aus Acryl und mit der Inschrift «I LOVE MICKEY MOUSE». Und sicher haben sie diese nicht mithilfe von Plastikklämmerchen aufgehängt. Doch die Frauengruppe tut es hier in wunderbar wallenden Jupes und mit grell neonleuchtenden Haarbändern.
Nun ja. Nach meinem Geschmack ist das nicht, aber ich will nicht meckern, insbesondere, weil die Gruppe mit ihrer Waschfrauenszene gross ankommt und Gianni, dieser geile Bock, sie wie immer in die Hinterbacken kneift...
Nun zum schwarzen Jesuskind? UND DAS KAM SO: Es wurde am 23. Dezember von Lucia, der Hebamme des Ortes, in einer der Notunterkünfte am Ende des Dorfes auf die Welt gebracht. Cécile, die Mutter, kommt aus Nigeria. Zusammen mit ihrem Mann ist sie vor zwei Jahren in Porto Santo Stefano gestrandet. Während er im Sommer den Strand rauf und runter tingelt, um den Badenden hölzerne Elefanten und Tiger aus Nigeria anzudrehen, während Evus, wie er heisst, vor den Strandtouristen seine Ménagerie ausbreitet, putzt Cécile bei Gino in der nach Frittenöl und gebackenem Fisch stinkenden Küche der Osteria «il Sole» die Pfannen. Und bringt alles wieder auf Hochglanz.
Die Tradition des Ortes will aber, dass für das Krippenspiel stets das jüngste Frischgeborene in Stroh gelegt wird? und dieses Jesuskind war hier nun bei seiner Premiere und dem ersten Auftritt knapp einen Tag alt.
Ich muss zugeben, dass unsere Inselbewohner immer ein grosses, tolerantes Herz zeigen? (das haben sie ja schon bewiesen, als diese beiden Heuler aus dem kalten Norden vom Rhein hierher kamen und ihre Gipfel mit rosa Zuckerguss haben wollten). Jedenfalls wurde das schwarze Jesuskind mit jubelnder Freude begrüsst. Zwei Lokalreporter hielten das Ereignis von der schwarzen Madonna und ihrem schlafenden Neugeborenen auf einem Foto-Chip fest. GROSSE AUFMACHUNG AUF DER TITELSEITE? und die Inselbewohner klopften der heiligen Mutter aus Nigeria stolz auf die Schultern:
«Brav gemacht, Cécile»? dabei war es ja der schwarze Josef, der für alles verantwortlich war, aber wie immer bei dieser Krippenshow im Schatten der beiden Protagonisten stand...
PS. Dass das neugeborene Kind ein Mädchen war, nahm die Gemeinde grossmütig hin. Und Wirt Gino klebte den Zeitungsausschnitt mit dem Bild von Cécile und dem Jesuskind an seine Beizentür: «HIER PUTZT MARIA DIE PFANNEN!»

Samstag, 7. Januar 2012