Vom Schneider der Königin und andern Queens

Donnerstag - Sie nennen ihn «LA STELLA», den Star.

Oder auch: «il famoso».
Jahrelang bin ich auf dieser Insel mit Sonnenbrillen herumstolziert, die so viel Strass drauf hatten, dass die Autos automatisch das Abblendlicht eingeschaltet haben.
Ich habe pinkfarbige T-Shirts mit der Inschrift FUCK getragen und habe beim Bäcker mir selber aufs Handy angerufen: «Scusa - jetzt kann ich keine Interviews geben. Ich drehe morgen meinen neusten Film?»
KEINE SAU HAT NOTIZ DAVON GENOMMEN.
Aber Innocent - dieser Durchschnittsnormi mit seinen C&A-Hemden und der Hose, die ihn schon zu seiner Konfirmation begleitet hat: IHN nennen sie «La Stella».
Unnötig zu erklären, dass seine Sonnenbrille auch noch die Skilager der 50er Jahre mitgemacht hat.
Arthur hat Schuld. Ganz alleine. Arthur und sein Hang, den Menschen eine Freude zu machen.
Dummspucker behaupten, Arthur würde alle Stars beschenken.
BLÖDSINN!
Innocent ist kein Star.
WEIT DAVON ENTFERNT.
Das einzige Starentum, das sich bei ihm anzeigt, hat mit den Augen zu tun - und das ist ein eher trübes Thema. NATÜRLICH ALTERSBEDINGT. Und wir wollen es mit Würde tragen, auch wenn es kein Gesprächsstoff für hier ist.
Leider bin auch ich kein Star. Obwohl ich mir weiss Gott immer Mühe gegeben, die Zähne geputzt, mich mit Lux gewaschen und schon mal drei Bändchen Memoiren im Voraus geschrieben habe.
UMSONST.
Dennoch schickt Arthur Blumen.
Einmal, als Innocent und ich in New York (zu einer Zeit, als man dort noch rauchen durfte) so etwas wie eine silberne Hochzeit gefeiert haben, klopfte es an unserer Hoteltüre.
Draussen stand ein Page mit diesen Pill-BoxHütchen, die einfach zum Schreien aussehen. Sie gehören aber zu Hotel-Piccolos wie das Tattoo zum Knasti.
Der Piccolo schaute mich verlegen an - dann äugte er zu Innocent. Und schliesslich schob er ein Herz, so gross wie ein Dreierbett, durch die Tür. Das Herz war ganz mit roten Rosen bespickt. Die Aufschrift: «HAPPY WEDDINGSDAY».
DAZU ROSA SCHLEIFE.
Innocent jagte mit zündroter Birne ins Bad. Ich gab der Pill Box einen Dollar Trinkgeld. Und den ganzen Tag hindurch machte sich das Hotelpersonal auf unserer Etage zu schaffen. Es grinste bereits, wenn wir das Zimmer verliessen. Und summte den Hochzeitsmarsch.
INNOCENT HAT SICH KAUM MEHR EINGEKRIEGT. DER WOLLTE SOFORT DAS HOTEL WECHSELN UND JAMMERTE:«So etwas von peinlich? Was denken die sich alle?»
SIE DACHTEN SICH DAS, WAS SICH ALLE DENKEN.
Arthur jedenfalls lachte sich in Basel schief.
Als nun auf unserer Insel das Telefon schellte und ein gewisser Massimo verkündete: «Ich habe Ihnen etwas von Herrn Arthur zu liefern, Signore», da wusste ich gleich Bescheid.
INNOCENT AUCH.
Er hängte einfach den Hörer auf.
Aber Massimo war stur wie ein sizilianischer Maulesel: «Ich habe den Auftrag. Und ich erfülle den Auftrag, Signore. Wollen Sie einen armen Familienvater um seinen Lohn bringen??»
DAS WOLLTE ICH NICHT.
So machte ich mit ihm eine Zeit aus, wo wir uns vor der Bar Centrale treffen würden.
«Es geht aber noch drei Stunden», bellte Massimo in den Hörer, «ich komme von Rom?»
Als wir dann etwas verspätet bei der Bar vorfuhren, wunderten wir uns über den Menschenauflauf vor den Plastiktischen.
DANN ENTDECKTEN WIR ES.
Eine weisse Stretchlimousine funkelte auf der Strasse, wie hundert blank geputzte WC-Schüsseln.
«Fahr weiter? Tu einfach, als gehören wir nicht dazu?», schrie Innocent mich an.
«Wir können den armen Massimo nicht einfach so stehen lassen?», schrie ich zurück.
So explodierte ein lautes Hin und Her, bis uns Giaccomo, der Dorfpolizist, an die Scheibe klopfte: «ZIEHT LEINE, IHR TUSSIS - SEHT IHR NICHT, DASS WIR HIER EINEN STAR ERWARTEN!»
Man darf Innocent nie mit Staatsgewalt kommen. Eisig ging er vom Steuer auf Massimo zu: «Buongiorno - ich bin es», worauf sich der Chauffeur leicht verneigte und den Wagenschlag öffnete: «Mit den besten Geburtstagswünschen von Herrn Arthur.»
Im Fond lag ein mit Cellophan umhülltes Blumenbouquet, von dieser gigantischen Hässlichkeit, wie sie sonst nur die Etappen-Gewinner eines Velorennens bekommen.
Innocent nahm es mit coolem Lächeln entgegen.
«EVIVA! EVIVA!!!», schrie die Menge.
Das Resultat der Geschichte: Innocent bekommt die Espressi in der Bar Centrale seither umsonst. Und wird dort immer wieder um eine Autogrammkarte gebeten.
Die einen halten ihn für einen Filmstar aus der Valentino-Zeit.
Die andern für einen bedeutenden Schriftsteller, der inkognito auf der Insel schreibt.
Die dritten: für den Produzenten von «Sex in the City».
Meine Strassbrille habe ich daraufhin Grethchen geschenkt.
Die Leute sehen ohnehin nur, was sie sehen wollen?

Donnerstag, 18. Mai 2006