Vom Salat im «Waldorf Astoria» und New Yorker Taxifahrern

ER wollte nach NYC.
Aber man kann ihn ja nicht alleine ziehen lassen.
Also packte ich die Koffer. Und wurde bei der Einreise auf Hand und Blick inspiziert? Fingerabdrücke hinrollen wie im Film, sage ich euch.
«AND NOW LOOK IN THE CAMERA!»? na gut.
Das braucht mir keiner zwei Mal zu husten.
Ich winkte strahlend in dieses Kügelchen beim Zollkästchen. Legte den Strahlenpower-Gang rein, worauf dieser Beamte in tintenfarbigem Schülertuch und Namensetikette «I AM BRION» mich gleich zu Brei stauchte: «Don't make the funny clown? you are in the USA!»
SCHEINT, DASS HIER NUR EINHEIMISCHE SOWIE IHRE POLITIKER DEN CLOWN MACHEN DÜRFEN. Na ja? vielleicht noch Bette Midler.
DANN IST ABER FERTIG LUSTIG.
Also heule ich ins Kügelchen. Gebe meine Finger ab. Und bin dann auch schon durch.
«WASISSSLOS?»? bellt Innocent mit seiner Ohrenmütze schlecht gelaunt. Er hat die acht Flugstunden mit unruhigem Schnarcheln und Schnorcheln zugebracht. Die Crew hat seinen elektrischen Apnoe-Rüssel doch tatsächlich an den Armsesselschalter andocken können. Daraufhin schnallte sich Innocent den Gummischlauch ins Gesicht. Warf drei Doppelpackungen Valium ein. Und entflog dieser Welt. Die restlichen Passagiere staunten nicht schlecht: EIN ALIEN FLIEGT BETTENKLASSE!
Leider übertönte der Apnoe-Apparat auch noch das Gedüse der Boeing, sodass die Chef-Kabinenfrau (Hostessen gibts ja schon lange nicht mehr? das moralische Unwort ist nur noch für Escort-Services oder Demonstrantinnen bei elektrischen Gemüseraffeln gepachtet)? die Kabinenfrau also klopfte dem Valiumpaket zackig auf die Schultern, sodass dieser aufjuckte, dabei den Rüssel von der Nasenmaske abriss und alles in diesem donnernden, wilden Gefurze gipfelte, das man sonst beim abrupten Luftentweichen von Ballons kennt:
«WASISSSLOS?»
Nun gut? ohne Maske und Luftschlauch war nun nicht mehr an Schlaf zu denken. Entsprechend miefig gelaunt und Valium-umnebelt kam Innocent dann im sonnenbestrahlten New York an. Er passierte die Fotografiererei am Zollhäuschen mit Bravour? UND MIT DIESEM GRIMMIGEN GESICHTSAUSDRUCK, DEN DIE MENSCHEN HIER VON EUROPÄERN ERWARTEN.
«Sie wollten mein Strahlelächeln nicht...», erkläre ich nun dem guten Freund. Dann stehen wir eine Stunde in der Taxischlange, weil sich Innocent weigerte, den Limousinenservice des «Waldorf Astoria» anrauschen zu lassen: «WIR SIND NICHT DIE ROCKEFELLERS!» Und weil wir nicht die Rockefellers sind, hockten wir jetzt in einem dieser senfgelben Taxis mit den aufgeschlitzten Kunstledersitzen.
«Hi», sagte der Fahrer.
«Was heisst hier heim?», müffelte Innocent. «Sie wissen doch gar nicht, wo wir wohnen?!»
«Drück die Ohren an!»? das war ich.
«WALDORF!»? das ging an den Fahrer.
Dieser deutete wortlos auf einen Kleinstbildschirm, der uns den Tarif durchgab und synchron dazu die neusten NBC-Nachrichten sowie Börsenberichte. «Stellen Sie das ab!», bellte Innocent. «Ich komme nicht nach New York, um Mickey Mouse zu sehen!» Daraufhin war aus mit Film. Und alles nur noch Tarif. Der aber war dreifach, da sofort irgendeine «SUPERNERVENSÄGE-TAXE» dazu kam.
Nun muss ich euch aber sagen: Das «Waldorf» ist nicht mehr das, was es mal war! Gut. Noch immer der grosse Hochzeitssaal, die alte englische Uhr in der Lobby, die alle amerikanischen Ticks der letzten 120 Jahre stoisch tickend überstanden hat? und natürlich die kleine Zelle «Shoe Cleaning», wo man sich heute noch, bevor der edle Fuss den grausamen Tag betritt, von emsigen Händen die Schuhe auf Hochglanz polieren lassen kann. Schliesslich soll ein Tag in New York «GREAT» oder eben «GLÄNZEND» werden.
Aber sonst?
Wo ist der Liftboy mit dem roten Pillbox-Hütchen, dem meine Mutter vor 35 Jahren noch eine Tafel Cailler blanc und fünf Dollar zugeschoben hat?
UND WO DER «WALDORF»-SALAT?
Ich fahre ja total ab auf dieses Sellerie-Mayo-Ananas-Gemisch? dazu die rote Büchsenkirsche, die wie ein feuriges Ausrufezeichen den göttlichen Genuss anpreist. IMMERHIN HAT DER ERSTE KÜCHENCHEF DIESES HOTELS DEM SALAT DEN NAMEN GEGEBEN!
HEUTE?? Eine Stier- und Bärenbeiz im dunklen Untergrund, wo es so laut ist wie im türkischen Bazar. Das Angebot besteht aus Hummer oder Fleisch, Fritten oder Spinatauflauf? KEIN WALDORF-SALÄTCHEN MEHR!
Gut. Der Fehlgriff Waldorf geht auf mich. Muss ich reuig gestehen. Meine Mutter selig gab nicht locker, bis ich sie in jüngsten Jahren hierher begleitete. Wir blieben fast einen Monat. Und die liebe Mutti spulte mit mir das «New York in 30 Days»-Programm ab. Da Mutter an der Börse gut spekuliert hatte, wollte sie ihr schlechtes Gewissen mit dem Kind teilen. UND DAS KIND GENOSS DIE KNETE! WIR VERJUBELTEN DIE PINKE, BIS NUR NOCH DAS RÜCKFLUG-TICKET ÜBRIG WAR.
Das kann mit Innocent nicht passieren. Ich sage nur: Doppelzimmer mit Sicht auf den Kehrichtsammelplatz.
Dazu Spannteppiche, auf denen man die Blumenmuster lediglich erahnen kann.
Das Einzige, was läuft, ist die Wasserspülung. Die aber unaufhörlich.
Gut. Das «Waldorf» wäscht die Finger in Unschuld:
«Der Gentleman hat ein BILLIG-PACKAGE gebucht.»? Die denken sich doch, so alte Knacker bekommen das Schäbige bestimmt nicht mehr mit. Und abends, wenn sie die Hörapparate alle ausklinken, stört sie das Berauschende der Spüle eh nicht! ABER NICHT MIT MIR.
Ich habe der Concierge-Frau dann etwas gehustet und sie daraufhin aufmerksam gemacht, dass im Gästebuch des Jahres 1977 eine Basler Trämlersgattin eingetragen sei, die hier schon Cailler blanc verteilt habe? UND DIES ZU EINER ZEIT, ALS ES NOCH LIFTBOYS UND KEINE ELEKTRONISCHEN ZUGEHKARTEN FÜR DIE STOCKWERKE IN DIESEM KASTEN GAB!
Na ja? hat genutzt. Wir wurden upgegradet? oder eben in der Rangliste raufgeschubst, wie man das hier wohl verdeutschen sollte. Jedenfalls: frischgewaschene Vorhänge. Und zur Begrüssung: eine Flasche norwegisches VOSS-Mineralwasser. Und eine vakuumierte Verpackung Waldorf-Astoria-Salat. Die Ausrufe-Kirsche allerdings fehlte!

Samstag, 11. Februar 2012