Vom Regen in Italien und einem Apéro...

Donnerstag Das Bilderbuch-Wetter findet in Italien nur noch in Berlusconis Regierung statt. Ohne «O sole mio» nahetreten zu wollen? aber Sonnentage sind auf dem Stiefel rar geworden. Politische. Wie meteorologische.
ES ZIEHT DURCH ALLE LÖCHER. ES SCHIFFT PERVERS.
UND AUCH HERR RATZINGER IST NICHT MEHR NUR EITEL SEGEN.
Na halleluja. Wo bleibt sie denn: die goldne Sonne, voll Freud und Wonne...?
Im Dezember bin ich praktisch einen ganzen Monat im römischen Regen gestanden. Vor unserm Palazzo haben Herden von Lehrern, Schülern und Studenten protestiert. ES WAR KEIN STILLER PROTEST. So wie jede Demonstration lief sie mit Tantaratei und Geschrei ab? das Schlimmste aber war, dass diese Studenten immer im Centro storico auf die Barrikaden gehen. Es ist gemütlicher im Centro storico zu protestieren, weil hier alle Caffès offen haben.
Nun hatte ich aber an jenen Demo-Tagen meine eigene kleine Demonstration in den häuslichen vier Wänden. ICH SOLLTE EINE GRUPPE VON BAZ-REISENDEN MIT HÄPPCHEN BEGLÜCKEN.
Die Leute kamen aus Basel, die Häppchen von Giolitti. Mamma Giolitti, eine nette aufgeblondete Dame, die in der Backstube ihren Sohn rumkommandiert, wie der Kapitän das Traumschiff, führt in der Pasticceria ein fröhliches Hunderttausend-Kalorien-Leben zwischen 89 Gelato-Sorten und üppigen Rahmtörtchen. Eine Stunde vor Apéro rief la Giolitti an: «Signore? Sie sehen ja, wo wir heute stehen. Selbst der Himmel heult sich seit einem Monat über Italien die Augen aus. Das tue ich auch? denn mit Ihrem Apéro ist NIX. NIENTE. UN MACELLO!»
Macello ist der Ausdruck für «Schlachthaus». Und bedeutet unter den Italienern: «RIESENSCHEISSE!»
La Mamma lamentierte auf italienische Opernart: «Über uns der Wolkenbruch? vor unserer Pasticceria der Krieg. Die Studenten toben wie der spanische Stier, wenn er das rote Tuch sieht. Vor zehn Minuten haben sie einem Mareschallo gar die Hosen vom Leib gerissen und...
DAS IST ALLERDINGS SCHWARZES TUCH. ABER HIER HABEN DIE STUDENTEN MEINE GANZE SYMPATHIE: DIESE FASCHISTISCHEN UNIFORMHOSEN MIT DEN GOLDKNÖPFEN AM SCHLITZ BRINGEN MICH AUCH IMMER AUF TOUREN.
... und selbst das Bild von Padre Pio konnte sie nicht mehr zur Räson bringen. Mit andern Worten: Wir kommen nicht aus dem Haus. Sie werden ihren Leuten Salzstangen servieren müssen. Sie haben doch Salzstangen auf Vorrat?»
Nein. Das habe ich nicht: «Ich bin nicht der Salzstangen-Typ.
UND MEINE GÄSTE SIND ES AUCH NICHT! In zehn Minuten ist Ihre Ware in meiner Stube? oder ich schicke das Fegefeuer über eure Gelatiberge, dass der Betrieb zu Brei gekocht wird...!»
«SIGNORE!»? Mutter Giolitti schrie auf, wie die Muttenzer Kurve wenn ein Gegentor fällt. Doch 20 Minuten später storchelte ein halbes Dutzend Hausdiener der Gelateria in diesen gestreiften Kitteln, die stets an Galeerensklaven erinnern und Kampfjacken darüber in meinen Hinterhof. Auf ihren Köpfen balancierten sie Schachtelberge, die noch vor meiner Tür aufgeweicht den Geist aufgaben: fingernagelgrosse Tramezzini, mit Aspik glacierte Morchel-Cornets, Gamberetti im Blätterteigmantel und pflaumenweiche Profiterole-Kugeln mit Vanilleinnerm vereinten sich fröhlich im Schlamm. Später haben dann die Gäste Spargelhäppchen mit einem ganz speziellen Vanillegeschmack genossen. Die Crevettensnacks waren zum Teil mit diesen Zigarettenkippen dekoriert, welche die heimlichen Raucher unseres Palazzos immer vor meiner Tür mit fingerlangen Schuhspitzen (wie es heute Mode ist) in die Erde drücken.
ABER IMMERHIN: KEINE SALZSTANGEN!

Samstag Auch an Weihnachten und selbst am Neujahr: Schiff à gogo. Immerhin demonstrieren die Studenten jetzt nicht. Sie haben Ferien. Und langweilen sich grün. Studieren bringts heisser.
Auf unserer Insel ist bereits das Meer in die verwitterte Residenz, welche sich eine frivole Principessa im vorletzten Jahrhundert für ihre Schäferstunden vor dem Strand bauen liess, eingedrungen. Wir sind im Winter die einzigen Inseltouristen. Und jetzt verstehen wir auch weshalb.
Tonino, der Portiere des «Schlösschens» packt uns als Zeugen: «Hier? schaut euch den Marmorboden an...», klagt er. Er macht mit seinem Telefonino hysterisch Aufnahmen wie eine Horde Japaner vor dem Kolosseum.
Überall liegen tote Fische, ausgelaufene Quallen neben ein paar amputierten Barbiepuppen herum. Dazu stinkts wie in drei Fischhallen in der Sahara.
«Das Jahr fängt ja gut an...», jammert der Pförtner.
Natürlich wird keiner dieser stinkreichen Florentiner, die hier ein Appartement haben, dem armen Tonino auch nur einen Cent für dessen Aufräumarbeit zahlen.
Brauchen sie auch nicht. Denn Tonino verrammelt die Tür. Und lässt alles wie es ist.
«Un macello!»? sagt auch er. Dann schaut er zum Himmel: «Morgen soll es Sonne geben...»

Donnerstag, 15. Januar 2009