Vom Re della Carbonara und dem italienischen Chaos

Klar. Es war ein Fehler. Ich hätte Franco nichts sagen sollen. ABER NACHHER IST MAN IMMER KLÜGER. Das hat schon Goethe gesagt. Sicher aber Agatha Christie.
Als ich in Rom ankam, war das Tor zu unserm Palazzo geschlossen. Kein Portiere. Keine Mimma, die mir beim Auspacken der Schokolade hilft. EINFACH NICHTS.
Ein handgeschriebenes Stück Papier, das an der Portiere-Loge mit einem braunen Paketklebeband aufgepflastert war, kündete mit Rotstift den Grund dieser Disziplinlosigkeit an: SCIOPERO! JA WUNDERBAR!
Im Lande des Ministerpräsidenten mit diesem implantierten Haarklecks, der immer aussieht, als hätte ihn einer frisch geteert, im Lande, wo die Zitronen blühn und die Priester glühn, in diesem Lande, wo sich jeden Tag alles ändert, nur die Unterhaltungsplauderer des staatlichen Fernsehsenders nicht? hier gehen die Leute wieder einmal auf die Strasse.
SIE HABEN GENUG (und eben nicht mehr genug).
Genug vom Chaos. Genug von der Improvisation.
Genug von den steigenden Preisen (eine ganz normale Abate-Birne kostet bald so viel wie ein Silikonbusen-Implantat!)? genug von der Bürokratie.
Und genug vom Papst, der zwar die deutschen Touristen anzieht wie der Kuhmist die Fliegen, der den Römern aber nur ein Verkehrschaos und eine blockierte Stadt beschert, wenn er vor dem Colloseum den Büsserweg abwackelt und somit die Hälfte der Stadtpolizei sowie sämtliche Strassen des «Centro storico» in Gottes Namen lahmlegt.
Ich suche den streikenden Franco. Und finde ihn bei Pipo vor einem Glas dieses sauren Jolis, den sie «Vino della casa» nennen. Pipo führte einst eine kleine Handlung mit Mineralwasser und offenem «Frascati», den er in grünen Plastikkanistern bei seinem Neffen Aldo in Monte Porzio bezog. Als wir uns für die Wohnung an der Via del Gesù entschlossen, war die nahe Frascati-Quelle bei Innocent ein Pluspunkt: «Wir können mit dem leeren Weinkrug nur über die Strasse. Pipo füllt ihn für ein paar Lire.»
DAS IST JA BIBLISCH!
Wie so viel Biblisches, war auch dies eine falsche Prophezeiung. Es war die Zeit, als der polnische Papst die Tore des Ostens öffnete und Pipo den Hahnen zum Weinkanister. Heute hat der deutsche Papst andere Sorgen. Und Pipo eine VINOTECA. Der Wein ist zwar noch immer von dieser intensiven Säuerlichkeit einer Siebzigerjahre-Feministin, so dass er bei jedem Schluck die Haut strafft und dem Mutigen das Facelifting für Jahre hinauszögert? aber da er in einer VINOTECA absprudelt, kostet er das Sechsfache wie früher.
Franco hockt also bei Pipo. Sie spielen Karten. Und ich versuche den Portiere aus der Reserve und dem Streik zu locken: «Wir brauchen deine Spaghetti Carbonara für eine Fernsehsendung!»
DAS HABE ICH NUR GESAGT, DAMIT ER MIR MEINEN PARKPLATZ FREISCHAUFELT!
Aber nun kriegt sich der Gute nicht mehr ein. Laster laden Tonnen mit Autogrammkarten ab (FRANCO? IL RE DELLA CARBONARA!). Das Quartier kennt kein anderes Thema mehr als Francos 30-Sekunden-Auftritt mit Ei, Speck und Spaghetti Nummer 5.
Ja, selbst die genüsslich herumgebotenen Klatschereien über die nudelnden Priester hat an öffentlichem Interesse verloren, seit FRANCO, IL RE DELLA CARBONARA täglich fünf Mal sein Rezept ändert und nun statt der Speckwürfelchen auf Mortadella umgestiegen ist.
Jeder und alle geben ihm Tipps, wie er vor der Kamera die Kelle zu führen und das Haar zu scheiteln hat. Da Franco ein Glatzkopf ist, sind letztere Tipps rein hypothetischer Natur.
Das Schlimmste aber ist, dass bei mir Mimma schmollt. Sie lässt das Silber vergilben und die Azaleenstöckchen vergammeln. Sie lässt mir über ihre Freundin Anna-Maria ausrichten, dass auch SIE ein Rezept habe und jeder sie in Kalabrien nicht umsonst «la Regina della Frittata» rufe.
Ich hatte mir also ein echtes Chaos eingebrockt? es blieb keine andere als die italienische Lösung:
Ich klebte ein Papier an die Türe: SCIOPERO!
Und machte mich aus dem Staub.

Samstag, 24. April 2010