Vom Rauchen und von elektronischen Zigaretten

Tante Ute rauchte. Nein. Sie paffffffte.
Mit sechs «fs!». Und einer ­ewigen Rauchschwade um sich.
Überhaupt führten alle nach dem Krieg grosse Worte und kleine Stäbchen im Mund. Mutter, Tante, Vater. Selbst die vornehme Grossmama zog sich Zigaretten rein. Sie schmauchte eine pseudo-­russische Marke. Mit goldenem Mundstück. Und mit einem Nikotingehalt, der sämtliche Grünpflanzen der Umgebung in den entblätterten ­Exitus trieb.
Am Sonntag, wenn die Frauen nach «Rahm­schnitzeli mit Nudeln und Erbsli-Rüebli extra fein» am Jasstisch zockten, verschwand unser ­Aquarium mit dem Neonfisch drin bald einmal im Nebelmeer. Alle zehn Tage musste der geräucherte Fisch ersetzt werden.
DOCH DAS KIND ATMETE ALL DEN ABGE­BLASENEN GRAUDUNST EIN! UND KEINER HOB AUCH NUR DEN ARSCH DESWEGEN.
Ich war ein passivrauchender Bub. Und erholte mich bei Hausaufgaben. Oder Kleingedichten, die ich meinen Freundinnen ins Poesiealbum reinsalbte (dazu bunte Farbbildchen mit tanzenden Fantasiekäfern und Tonnen von Herzen).
«Hol mir mal?Brunette Filter?», rief Tante Ute vom Spieltisch. «Hier ist ein Fränkler. Den Rest darfst du einsacken!» Der Rest waren fünf Centimes.
ABER HALLO ? FÜNF CENTIMES WAREN GUT FÜR EINEN COLA-FROSCH! Das billige Paradies auf der Zunge. Der kleine, schöne Junge zottelte somit zum «Hopfenkranz».
Die Beiz war die Happy-Hour-Oase des Quartiers, ein Eckrestaurant, wo sich die Trämler nach ihren Sechsertouren und die Hausfrauen zum Einsammeln ihrer Ehemänner trafen. Die amtierende Serviertochter hiess Rösli. Ich liebte Rösli. Und mein Vater liebte sie auch (allerdings auf andere Art).
«Hallo, Rösli ? ich brauche ein Päckchen ?»
Rösli klaubte einen Schlüssel aus dem schwarzen Service-Portemonnaie. Sie schloss eine Schublade auf ? darin lagen private Dinge: ein Foto von ihrem Sohn Micky (der Vater war unbekannt), ein Rosenkranz aus Lourdes («um die Welt zu verstehen, muss einer viel reisen und beten») und eine total abgegriffene Stoffente, die Rösli als «meinen Glücksbringer» bezeichnete. Neben all diesem Kram lag eine Auswahl der gängigsten ­Marken von Zigaretten.
Rösli händigte mir «Brunette Filter» aus. Dazu fünf Centimes Restgeld. Den Fränkler legte sie in eine kleine Blechbüchse: «Das ist mein Zigarettensparstrumpf. Damit leiste ich mir dann wieder eine Reise nach Lourdes ?»
Zu Hause wurde ich von der Tante ungeduldig erwartet. Eine Viertelstunde ohne?Brunettes? ? und die (falsche) Blondine war schon total auf Turkey. «WO BIST DU WIEDER RUMGEHANGEN?!», knurrte sie. «Gib schon her ?!»
Sie riss hektisch das weiche Päckchen auf. Steckte sich eine ­Zigarette zwischen die knallrot geschminkten Lippen. Liess den «Dupont» losfeuern ? und ihr langes «AAAAAHHHH» nach dem ersten, tiefen ­Lungenzug sowie das knappe «DLAGG», ­ wenn das Feuerzeug zuschnappte, sind in meinen Erinnerungen eingebrannt wie die ­Seriennummer auf der Simmentaler Kuh.
Mit zwölf rauchte ich zum ersten Mal. Onkel Alphonse liess mich an seinem Rössli-Stumpen saugen. Nach fünf Minuten war ich grün wie die Aue. Nach sieben Minuten kotzte ich mich aus. Und eine Stunde später schulte mich Alphonse auf Nielen um.
Bei den Nielen handelte es sich um eine Art der harm­losen Waldrebe. Na ja ? die Dinger wuchern einfach frei in der Natur an den Bäumen herum.
Onkel Alphonse schnitt mir mit seinem Armeemesser die grauen Stängel zigarettenlang.
Endlich konnte auch ich so geziert das Stäbchen zu den Lippen führen wie Grossmutter ihre goldmundspitzigen Russen.
DOCH NIELEN HATTEN EINEN BEISSENDEN GESCHMACK. Es war, als würde man sich einen Brennnesselstock reinziehen. Die Russen waren nicht nur goldiger, auch besser ?
Später, in der Schule, reichten sie den ersten Shit herum. Wir ­hockten auf dem Spannteppich. Die Beatles dröhnten aus dem Grammo. Und alle meine Freunde entrückten irgendwo auf eine Hanfwolke.
ICH ENTRÜCKTE NICHT. ICH ZOG WILD AN MEINEM GLIMMSTÄNGEL. SOG DEN RAUCH EIN WIE DIE FEUERWEHRPUMPE DAS HOCHWASSER IM KELLER.
Nichts!
Die andern hatten schon glasige Augen. Sie ­wippten voll weggetreten hin und her: «Wowwww ? dieser Trip ? diese Happiness ?!» BEI MIR TRIPTE NICHTS! Ich tat einfach so, als ob ?
Aber schon damals war mir klar, dass ein Stück Erdbeertorte besser ­einfährt als Hanf.
Erst viele Jahre später bin ich zur Zigarre gekommen.
«You like to smoke my cigar?» ? das war ein ­Londoner an der Oxford Street. Er weckte meine Lust. Seither paffe ich, dass die Zierfische nach zehn Minuten Sichtalarm in Panik untertauchen ?
Nun bringt ja Rauchen auch viel Ärger: böse ­Blicke ? Lokale, aus denen sie dich an eines ­dieser wackligen Tischchen ins kalte Out ver­bannen ?Böses in Grossbuch­staben: «RAUCHEN IST SELBSTMORD!» ? dazu eine zugeteerte Lunge als polaroider Röntgenschnappschuss. Und kein Wort des Dankes wie: «SCHÖN, DASS DU PAFFST ? DU STOCKST DIE AHV-RESERVE AUF. UND VERLÄSST DIESE WELT, OHNE JE DIE RENTE IN ANSPRUCH GENOMMEN ZU HABEN ?DANKE. DANKE. DANKE.»
Um all diesem Miesen zu entgehen, habe ich ­erstmals zur elektronischen Zigarette gegriffen. Sie ist in Italien der neuste Schrei. JEDER PAFFT SIE ? AUCH DER NICHTRAUCHER.
Ich habe mir also die ganze Ausrüstung für 90 Eier zugelegt. Einmal elektronisch durchgezogen. Und es war wie damals mit dem Hanf: nichts. Keine Wirkung. Auch wenn die Umgebung die Augen verdrehte und «Himmlisch» hauchte.
Deshalb: Zieht euch eine Erdbeertorte rein!

Dienstag, 2. Juli 2013