Vom Posten «POLIZIA 2» und Tränen wie bei Sissi

WAHNSINNSNUMMER. Auf offener Szene überfallen zu werden - das ist das Eine. Das kommt im Fernsehen alle drei Minuten vor. Und das Leben ist Fernsehen - fragen Sie nur Müllers Oma.

Also - sie stossen dir im Römer Tram die Knarre zwischen die Rippen. Überdies drücken sie sich an dich wie Frosch eins auf Frosch zwei im Paarungsakt. Und schliesslich nehmen sie dich aus, wie Kembserweg-Omi die Weihnachtsgans.
Frage: was machst du als Erstes unter den fröhlichen Blicken der übrigen Trampassagiere, die erleichtert ihre Rosenkränze durchpflügen, um den Heiligen zu danken, dass das Unglück nicht sie, sondern diesen Touristen-Dudel aus dem Lande des singenden Käses gepeinigt hat? - du nimmst dir das Handy zur Brust. JAWOHL - WENNS DA WÄRE!
ABER AUCH DAS HANDY IST WEG!

Wie, wo und wann sperrst du nun alle deine Kreditkarten, welche die Welt dir in Gold, Platin und Lametta angeboten hat?
Nun denn - die Geschichte, wie man sich als taufrisches Überfallopfer durch Hunderte von Telefonnummern, Musikansagen, tröstenden Worte wie «all lines are busy, please wait?» durchpflügt, wie endlich, endlich, endlich keine Tonbandstimme sondern - LIVE! LIVE! LIVE! - ein wahrhaftig hienieden geborener Mensch sich mit «Buenos Dias» meldet und dir irgendwo am Fusse der Anden verspricht, deine gottverdammte Karte in Rom zu sperren - also das alleine schon gäbe eine 12-teilige TV-Serie fürs Abendprogramm. Titel: DIE WAHNSINNSNUMMER!

PUDERQUASTE. Aber das ist hier nicht das Thema. Nein. Es geht um meinen römischen Polizeiposten, gleich um die Ecke.

Der Empfang: ein verlottertes Zimmer, wo ein Poliziotto mit so viel Gel im glänzenden Haar, dass man die Fliegen darauf steppen hört, in einem Sessel durchhängt. Und sich durch 24 Seiten FUSSBALL im «Messaggiero» durchblättert.
Er ist auf Seite 14, würdigt mich keines Blickes sondern tippt mit seinem Revolver in Richtung Treppe, die zur trostlosen höheren Ebene führt.
UND DORT IST DANN DER TEUFEL LOS.

Noch bevor ich überhaupt den Mund aufmachen kann, schütten Dutzende von Scheinwerfern ihr Flutlicht über mich. Eine Dame, die keine ist, sondern mit einem Jupe von der Grösse einer Pro-Senectute-Marke den Versuch startet, ihre Blösse zu decken - dieses Anmache-Tussi also tupft mit einer Puderquaste meine Nase ab. Zwei unangenehm haarige Hände knipsen an meine linke Brustwarze etwas, das sich später als Mikrofon herausstellt: «Benvenuto alla Polizia 2».

Ein paar Hobby-Filmer der Polizeistelle 2 drehen hier für die Betriebsfeier also ein Video mit dem Arbeitstitel «bei uns geht die Post ab».
«Kann ich hier einen Raubüberfall melden??» - das war ich in Kamera 4.
Nun zeigt Kamera 2 den Poliziotto Arturo B., wie er mit Marlon-Brando-Blick und dem chinesischen Plagiat eines Mont-Blanc-Füllers auf mich zeigt: «Che cosa è successo?»
Ich will eben loslegen, komme aber nicht dazu, da der ganze Polizeiapparat hysterisch die Szene zurückspult und den Kommentar zum eben aufgenommenen «Che cosa è successo» abgibt.

Arturo B. stöhnt, man müsse ihn von der Seite her aufnehmen, damit auch seine Rolex (ebenfalls China) mit drauf komme. Die Regie will, dass die Kamera das Bild der «Mutter mit Kind» an der Wand besser einfange und «Che cosa è successo?», heisst es jetzt 24 Mal, bis ich endlich nach drei Stunden total fix und foxi die Antwort darauf geben darf: «Man hat mich im Tram Nummer 8 beraubt.»

HUNDEELEND. SOFORT GROSSALARM. Alarmglocken rattern wie Frühwecker los. Sirenen heulen wie Hyänen im Wind. Von Handscheinwerfern ausgeleuchtet werde ich mit Arturo B. zu einem der heranjagenden Streifenwagen geführt. Der Fahrer drückt eine blaue Lampe aufs Dach. Und los gehts mit Tatüüü und Tataaa durch Rom.

Hinter uns die Kamera-Crew. Vor uns die Scheinwerfer-Crew. Neben uns der Regisseur auf dem Motorrad - mit Megafon brüllt er Anweisungen: «Heulen Sie endlich? Sie sind beraubt worden? Ihnen ist hundeelend? Sie haben keine Kreditkarten mehr? keinen Pass? keine Identität? man hat Ihnen auch das Bild Ihres Freundes gestohlen? SIE SIND AM ENDE!»
Da weinte ich, so wie ich es bei Sissi gelernt hatte, als diese tuberkulös wurde und ihren Kaiser nicht mehr küssen durfte.
Schliesslich hielt der ganze Tross vor der Fontana di Trevi: «So - und jetzt schildern Sie, wie die Sache hier passiert ist.»
«Es ist nicht HIER passiert. Sondern bei der Torre Argentina. Tram Nummer 8. Und?»

«Egal», wischte die Regie meine Einwände rasant vom Tisch: «Der Trevi-Brunnen gibt fürs Bild mehr her.»
Als man mir zwei Vollmonde später endlich den Polizeirapport ausstellte (was nicht gefilmt wurde, weil Arturo nur System Adler auf der Tastatur beherrscht), hatten die Räuber auf meinen gesperrten Karten bereits halb Rom eingekauft.
Immerhin - als Trost bin ich zum Betriebsfest des Polizeipostens «POLIZIA 2» eingeladen.

Donnerstag, 19. Januar 2006