Vom Pochen bei Poggibonsi und verschiedenen Untergängen

Mist!
Innocent hat mir schon beim Packen sein Liedlein gesungen: «JETZT BIST DU ABER TOTAL DURCH DEN WIND!» Weiss der Teufel, wo der immer diesen Teenie-Slang ausgräbt. Jedenfalls steht er mir nun im Weg herum. Holt jeden Hasen an den Ohren aus dem Kofferraum. Stellt 38 von den Schokodingern aufs Trottoir. Und hustet um halb sechs Uhr morgens die grosse Szene.
Wegen den Schokohasen will ich nämlich früh weg.
Ich möchte, dass die Herrschaften aus dem Karnickelland der Swiss Chocolatiers heil ankommen.
DESHALB HABE ICH SCHON KURZ NACH VIER HERRN INNOCENT VOM APNOERÜSSEL ABGEKLEMMT: «Aufstehen! Morgenstund machts Konto rund!»
Der Schlauch gurgelt wie ein Elefantenfurz. Und Innocent ist verärgert: «Aber geduscht wird nicht... ist ja erst Dienstag!»
DANN SAH ER DIE KOMPANIE HASEN. UND KONNTE SICH KAUM MEHR EINKRIEGEN!
Erstens sei Ostern längst vorbei. Zweitens wisse jeder, dass Hasenschokolade schon mal ein alter Nikolaus gewesen sei. Und drittens müsse man schon das weiche Hirn einer Drämmlerstochter haben, um so viel Geld für Inselbewohner auszugeben, die Kaninchen eh nur an Rotwein kennen würden. Ich klopfte Innocent auf die Schultern: «Die Hasen waren eine Woche nach dem Fest mit 70 Prozent Rabatt angeschrieben? DA HABE ICH ZUGESCHLAGEN.» Einen Moment stutzt der alte Herr. Dann strahlt er: «Gut gemacht, Pumpe! Dafür lade ich dich am Apennin dann auf einen Espresso ein.» MIT ESPRESSO WURDE ES DANN ALLERDINGS NULL UND NIX. WIR STANDEN NÄMLICH NACH BOLOGNA IM STAU. UND DIES, ALS ES SCHON LÄNGST TAGTE.
Die Sonne schien unbarmherzig auf unsere kleine Kiste. Und es wollte und wollte nicht vorangehen.
Ich meine: Da hatte ein Lastwagen zwei Riesenanhänger mit Ricotta umgekippt. ALLES BIO. Es war, als hätte die italienische Milchmann-Gewerkschaft über die Kurven geschneit. ÜBERALL KÄSE.
UND ÜBERALL BLAUE POLIZEIAUTOS, DIE SICH IM HELLEN DES RICOTTAS FARBLICH WUNDERSCHÖN ABHOBEN. ABER SAMT INHALT NUR MALERISCH HERUMSTANDEN.
Man muss sich das mal vorstellen: drei Tonnen biologisch gewürfelter Ricotta in der heissen Mittagssonne.
DAS STINKT, ALS HÄTTEN DIR 400 HOOLIGANS IHREN BIERSUFF DIREKT VOR DIE FÜSSE GEKOTZT!
Da sassen wir also in unsern Kunststoffsitzen.
Hielten Taschentücher vor die Nase. Und warteten auf ein Wunder.
Dieses kam in Form von Soldaten. SOLL MIR KEINER MEHR WAS VON «MILITÄR ABSCHAFFEN» HUSTEN.
Im Flutsch war alles weggeräumt. Und wir durften weiterbrettern. Allerdings nur mit Ketten oder Winterpneus. Denn auf Ricotta fährt es sich schlimmer als auf Monzas Grand-Prix-Bahn bei Sturzregen. Auf der Strecke zwischen Florenz und Siena hörten wir es erstmals. ES WAR DAS BUMSEN VOR POGGIBONSI. Ein seltsames Geräusch.
Halb blubberig, halb pochend. Kurz: Es beunruhigte mich. DAS IST NÄMLICH SO: GEBT MIR EIN AUTO, EIN GASPEDAL UND EINE BREMSE.
Mehr kapiere ich nicht.
Es gibt ja diese Menschen, die kennen sich in ihrem Auto aus wie im Sexleben der Nachbarn. BEI MIR ABER: FRAGEZEICHEN. AUSRUFEZEICHEN. FRAGEZEICHEN. Mein Wagen muss eine nette Farbe und einen Aschenbecher haben. Mehr nicht.
PUNKTO REST VERTRAUE ICH AUF GOTT UND DEN ERBAUER.
Und deshalb habe ich bei ungewöhnlichen Geräuschen gleich Panikattacken. DAS LEBEN HAT MICH GELEHRT, DASS IN DEN WICHTIGEN MOMENTEN AUF IHN UND DEN ERBAUER KAUM VERLASS IST.
Da muss einer das Steuer schon selber in die Hand nehmen. Und deshalb schaue ich auch immer, wo die SOS-Säulen sind. Ich also nichts wie hin.
Denn diese SOS-Säulen sind die Säulen der Schwachen.
Knopfdruck. Und Geräusche, als würde man durch das All gespült.
Dann endlich meldet sich eine Stimme. Männlich. Kantig: «Che vuole?» Ich werfe meinen ganzen Charme und fünf Jahre Sprachkursus in diese Säule: «Mein Auto keucht und blubbert... fa blublublu...»
Die Säule bleibt stumm. Dann wieder Gekrächze aus dem All. Und endlich: «Haben Sie Ricotta an Bord?»
In diesem Augenblick winkte mich Innocent heftig zum Auto zurück. In seinen Hosenträgern und dem etwas arg verfleckten Holzfällerhemd sieht er ein bisschen nach wilder Clownnummer aus? jedenfalls winken ihm die Kinder, die da ihre Nasen an Autofenstern flach drücken und vorbeijagen, fröhlich zu.
«Was ist?», brülle ich zum Clown.
«DIE HASEN! ES SIND DIE HASEN...»
ES SIND DIE HASEN GEWESEN! Ich konnte eben noch die letzten Schokoladenohren ausmachen, die sich in einem blubbernden Matsch auflösten. Dann sind auch sie im Meer der Goldhasenromantik untergegangen.
Bis auf die Insel musste ich mir daraufhin anhören, was für eine Volldepperei es doch sei, mit Dataabgelaufenen Osterhasen in den Süden zu fahren.
Innocent betete mir vor, dass ich mit Zuckereilein, die es sicher auch mit Data-Ablauf zu einem SUPERGÜNSTIGEN Preis gegeben hätte, besser dran gewesen wäre.
UND ALLE FÜNF MINUTEN BRACHTE ER WIEDER DAS MIT DEM WEICHEN HIRN VON DER DRÄMMLERSTOCHTER!
Auf der Insel wurden wir dann mit lautem Hallo empfangen. «Ich habe eine Überraschung im Kofferraum», raunte ich Lida, unserer fleissigen Putzerin zu. Sie öffnete ihn. Steckte den Finger in den Schoko-Blubber über den Vuitton-Koffern.
Und schnalzte geniesserisch: «Mousse au Chocolat? che meraviglia!»
Dann zeigte sie über das Meer nach Giglio. «Auch eine sorpresa, Signore...» Wie ein weisses Lineal sahen wir die «Concordia» etwas schräg in den Wellen liegen. «Wir erwarten viel Katastrophentourismus diesen Sommer!», strahlte Lida. «Hotels mit Schiffblick sind fast alle ausgebucht.» Dann holte sie aus der Küche fünf grosse Schüsseln.
Und schöpfte für ihre Enkel den Schoko-Blubber von den Koffern. Irgendjemand profitiert stets von den Katastrophen der andern.

Samstag, 28. April 2012