Vom Pannendienst und dessen Kollegen

Käthy ist eine auf meiner Gästeliste, die nie Umstände machen will: «Tu einfach, als ob wir nicht da wären?»
NA GUT. Ich habe NUR EINMAL keinen Aperitif hingepfeffert ? ABER DAS HÄTTET IHR DANN ERLEBEN SOLLEN! DA WAR SIE VOLL DA!
Käthy kommt also. Sie bringt aus dem Hafenort stets Blumen mit. Umberto mit dem einzigen Floristen-Shop auf dem Eiland (er nennt den Schuppen bescheiden «Bottega del buon dio») kennt Käthy. Und wartet auf sie ein Jahr lang wie die Spinne auf die Fliege.
Betritt sie mit ihrer Entourage an Männern (Käthy ist der coole Männer-Typ) den Laden, klingelt bei Umberto das Türglöckchen und die Sonnen gehen auf: DIE WOCHE IST GERETTET! Dann bettet er ihr Rosen, Astern, Glockenblumen wild durcheinander auf den Tisch. Und rechnet dann ebenso wild alles zusammen.
«IST SCHON WIEDER EIN JAHR VORBEI, SCHÖNE FRAU?», strahlt er Käthy an.
DA GEHT AUCH BEI KÄTHY DIE SONNE AUF. UND SIE ZÄHLT NICHT NACH. SONDERN ZAHLT.
Das Wunderbare an Käthy und ihrer Entourage: Man hat mit ihnen wirklich nichts zu tun. Es sind Gäste, wie man sie sich wünscht: mit eigener Weinkiste im Gepäck? mit Hausschuhen aus Filz? und jeder mit einer kleinen Allergie, die sich aber in Grenzen hält, wenn der Menüplan strikte befolgt wird und das Essen pfefferschoten-, fleisch- und glutenfrei auf den Teller kommt.
Das Allerallerschönste: Man braucht Käthy und ihre Männer nie in Rom abzuholen: «WIR ORGANISIEREN UNS» ? heisst die Devise. Und so heisst es auch dieses Mal : Mietwagen für vier Personen und zwei Tonnen Gepäck sowie viel Freiraum für drei heftige Blumensträusse. KURZ: EIN CAMPER ODER EIN BREITBEINIGER KARREN DER LUXUSKLASSE WÄRE DAS RICHTIGE .
In Rom wird ihnen der Schlüssel zum fahrenden Glück ausgehändigt. Nach einer Stunde Autobahnfahrt schalten sie ihren ersten Halt beim sardischen Käsehändler an der Aurelia ein. Auch das gehört zum Ritual ? wie die Blumen. Oder der Gelatolutscher auf der Piazzetta von Orbetello. NUR DASS DER KÄSE BALD EINMAL ETWAS STARK RIECHT. UM EHRLICH ZU SEIN: ER STINKT( DASS GOTT ERBARM!) DAS AUTO VOLL. Aber die Klimaanlage des Luxusschlittens bläst alles wieder elegant raus und bringt die angenehme, neutrale Kühle einer Leichenhalle.
Immer beim Gelatolutscher ruft Käthy an. «Brauchst du noch etwas? Wir sind in Orbetello.»
Es ist eine gütige Nachfrage ? aber gemeint ist eigentlich: «Bewege deinen müden Arsch und bereite schon mal einen hippen Apéro vor!»
Ich klatsche also übersalzene Sardellenfilets auf ­glutenfreie Cracker. Würfle den Mozzarella, den mir Franco aus der Campania mitgebracht hat ? ich streue schwarzes Vulkansalz auf Tomaten. Dann säble ich noch etwas Tofu auf und träufle ­Olivenöl darüber, so dass er zumindest optisch nicht mehr wie ein Stück Leichenfinger aussieht.
Und SCHON schellt das Telefon, damit ich sie am Tor abhole:
«Ich kommmmme?», rufe ich gutgelaunt in den Hörer.
«Aber wiiiiir nicht!», bellt es zurück. Denn Käthys Donnerkarosse hat einen Plattfuss. Dies in der letzten Serpentinenkurve. Sie können nicht vor. Und sie können nicht zurück.
«HIIILLLFE!», rufen alle in den Hörer.
(DAS SIND DIESE MOMENTE, WO ICH JEDE GRUPPENREISEN-LEITERTANTE HEILIGSPRECHE).
«Bleibt in der Kurve!», brülle ich ins Telefon (obwohl jeder weiss, dass man die Menschen per Handy auch ohne zu brüllen gut hören kann, und doch brüllt jeder ? es ist ein psychologisches Phänomen), «aber schält schon mal alles Gepäck raus. ICH HOLE EUCH!»
Dann rufe ich den Autoabschleppdienst an ? UND DAS MUSS ICH SCHON SAGEN: DER FUNKTIONIERT HIER BESTENS. Jedenfalls kapieren sie die Wegbeschreibung zum Plattfuss. Und geben alle Daten in eine Tomtom-Maschine ein.
«Wir sind um 19.58 Uhr am Ort?», sagt die nette Frau. Und: «Pensi al Triangolo?» (Erst später habe ich gemerkt, dass sie damit nicht ein Musikinstrument, sondern das Pannendreieck gemeint hat?)
Es war ein Bild des Elends: ein riesiger Lancia mit Pneus so prall und dick wie die Möpse von Dolly ­Buster. Allerdings nur drei. Der vierte war abgesackt ? er sah aus wie ein abgepfiffener Ballon. (Wer weiss, wie Dollys Möpse ohne Luft aussehen würden?)
Wir füllten zuerst einmal meine Kleinstkarre mit dem ersten Teil des Gepäcks. Ich fuhr zum Entladen.
Dann kam der zweite Gepäckteil. Dazu Bibsi und Käthy sowie drei Blumensträusse und Käse. Die zwei Männer blieben beim Platten. Und köpften schon mal eine Flasche aus der Kiste. «Bis diese Italiener kommen, kann es Mitternacht werden?», entschuldigten sie den lauten Zapfenknall.
«19.58», sagte ich.
«Das glaubst du?», grinsten sie.
Tatsache ist, dass ich ? kaum waren Käse, Blumen und die Damen abgeladen ? wieder zurückspulte. Parallel dazu spulte auch ein Abschleppwagen an. DABEI ZEIGTE DIE UHR ERST 19.23!)
«Was sagt ihr jetzt?!», blaffte ich. Schleimte dem Abholdienst einen 50er in die Hände («per un caffè!») und dafür versprachen die Kerle dann auch , dass das Plattrad innert zwei Stunden wieder prall sei.
Dann fuhren sie mit dem Luxusschlitten ab.
Und wir stiessen auf das Glück im Unglück an.
Wir stiessen nicht lange. Denn als alle in meinen VW-Kübel einsteigen wollten, durchbrach ein gelbliches Blinken die Nacht. Es war 19.58. Und ein Abschleppwagen tastete sich langsam in die Kurve.
Zwei Männer hüpften heraus. «Hallo? da sind wir. Sie haben angerufen?»
«Ihre Kollegen waren schon da?», sagte ich.
Doch noch während ich es sagte, wusste ich, dass wir ein Problem hatten. Dass es keine Kollegen gab. Und dass die Banditen mit Käthys gemietetem Luxuskarren vermutlich bereits über alle Berge waren?

Dienstag, 5. November 2013