Kein Zweifel: Es ist das süsseste Frühstück der Welt. Nichts mit Schinken von der Sau und gerührten Eiern.
NUR SÜSS. SÜSS. SÜSS. Dolce in tausend Varianten: Waffelrollen, zart wie Hostien. Sie sind mit feinster Ricotta oder goldgelber Safrancreme gefüllt. Mit kandierten Früchten gespickt. Und mit einem Kilo Staubzucker verpudert.
Dazu Marzipantorten, mindestens sechslagig. Und bei jeder Lage liegst du flach... Mandelgipfel, die glänzen, als hätte sie eine Fee in Honig eingetaucht... Milchreis mit Zimt und kandierten Zitronenstückchen... Pistazienpatisserien, die in dunkler Bitterschokolade baden gingen.
UND FÜR MICH EIN JOGHURT NATURE.
Gut. Gestern waren es einfach sechs Arancini zu viel. Bei diesen gebackenen Risotto-Vulkanen kann und konnte ich nicht widerstehen. Eher gehen bei mir 20 Risotto-Vulkänchen runter als ich den Ätna-Vulkan hinauf.
Ja, hallo! Eine Nacht lang hab ich mich im Bett herumgewälzt. Dabei habe ich die Glut des Ätna vor dem Fenster und seinen frittierten Reis im Bauch gehabt. Hochheilig wurde Besserung gelobt? DESHALB JOGHURT. Sie nennen es hier «YOURT». Und ganz ehrlich: So schmeckt es auch.
Paolo holt mich schon früh mit der Vespa ab. Der Ätna kocht und schickt wolkige Grüsse. Der Asphalt kocht auch. Denn obwohl noch immer der Mai auf dem Kalender steht, hält sich hier kein Schwein an die Jahreszeiten. Und schon gar nicht an die Geschwindigkeiten. Wir haben 35 Grad.
Und leichten Aufwind unter dem Roller? vermutlich hätten wir eben abgehoben, wenn da nicht die Kathedrale und dieser nette kleine Elefant auf dem Platz gewesen wären.
«Dort ist ein Elefant», brülle ich nach vorne.
«Ich dachte, du wolltest zum Theater?», brüllt es zurück. Aber die Sizilianer haben ein grosses Herz. Und deshalb stehen wir jetzt vor dem Elefanten, der ähnlich wie in Rom das Minerva-Rüsseltier einen Obelisken auf seinem Rücken trägt.
«Ihr solltet den Elefanten mal richtig schrubben!», galoppiert bei mir die Schweizer Hausfrau durch. Das Tier ist nämlich schwarz wie die Nacht. Und: «So ein bisschen Seife dürfte der Verkehrsverein doch noch aufbringen!»
Paolo nennt mich eine «checca scema» was in etwa «dumme Kuh» bedeutet. Der Elefant sei aus Lavastein gehauen. Und dieser komme vom Ätna. Wer nun hier wohl der Dummdussel sei.
Dann führt er mich in diese riesige Kathedrale, die der heiligen Agatha gewidmet wurde. Und natürlich zünde ich ihr sofort eine Kerze an, weil es ja meine Lieblingsautorin ist. Wer mordet schöner als Agatha? Eben!
In der Kirche, die in ihrem Innern eher rudimentär, um nicht zu sagen: kasernenhaft wirkt, treffen wir dann einen Engel aus Marmor.
Dazu die Anfangsnoten der «Gioconda»? Bellinis meistgesungener Oper. «Hier ist der Meister begraben»? flüstert Paolo in Ehrfurcht. Über sein furchiges Ex-Fussballer-Gesicht geht nun ein Zittern, als hätte er ein Eigengoal geschossen. WIEDER EINE KERZE.
Ich schaue zu den Noten im weissen Marmor.
Summe von dem dramatischen Grabesengel angetörnt ein paar Takte. Und schon winkt Paolo genervt ab: «DU RIESENHIRN! Das ist die?Casta Diva?. Nicht?Gioconda!?» Ich schweige verstimmt.
Und bitte die Callas wie auch ihren Hauskomponisten für den kleinen Misston um Verzeihung.
Die Hitze knallt dich dann draussen wie ein Faustschlag nieder. Ich möchte mir das Schöne von Catania und seinem Elefanten-Platz reinziehen.
Dies sitzend. Aber da war Alt-Catania vor mir da. Eng hocken ein paar 80- bis 90-jährige Männer zusammen auf der schwarzen Eisenbank. Gemeinsam bringen sie es vielleicht auf sechs Zähne. Aber ihre Lebensfreude ist ungebrochen. Sie singen irgendwelche Volkslieder. Der Älteste kann sich kaum auf den Füssen halten, dirigiert jedoch wild vor den Sängern hin und her. Die Sänger haben sich untergehakt. Sie wippen Schulter an Schulter langsam hin und her.
Wenige Touristen halten die Szene auf Video fest. «Dös is jo wia unser Musikantenstaaderl...», freut sich eine prächtig Trächtige aus Bayern Süd. Und applaudiert den Männern geziert zu.
Die spucken verlegen aus. Und machen Pause.
«Wir haben viele Alte, die gerne singen», lächelt Paolo stolz. Tatsächlich treffe ich später immer wieder auf solche kleinen, summenden, trällernden und wippenden Grüppchen auf Plätzen und in Parks.
Paolo bleibt vor dem Teatro Massimo stehen. Die Stadt hat dieses wohl stimmungsvollste aller Opernhäuser dieser Welt 1890 für ihren berühmtesten Sohn erbauen lassen. Die Königsloge trägt noch immer das Wappen der Savoyer. Und das Foyer ist dem Teesalon der Buckinghams an Glanz und Gold ebenbürtig.
«Man sagt, dass die Götter dem Himmel über Catania eine Melodie geschenkt haben. Und jeder hier versucht sie zu intonieren. Bei Bellini hats geklappt. Er hat den Himmel von Catania in die ganze Welt hinausgetragen.»
Paolo schaut mich herausfordernd an: «Jetzt kannst du deine?Casta Diva? schmettern? mit?Norma? wurde dieser Tempel nämlich 1890 eröffnet.»
Also habe ich ein paar Takte geträllert. Und die Männer auf den Bänkchen vor der Oper haben gewippt. Einer hat gar: «bravissimo» gekrächzt.
Aber wie gesagt: Die Sizilianer haben ein grosses Herz.
Vom Musikhimmel über Catania und singenden Alten
Samstag, 2. Juni 2012