Das kleine Hotel über dem Atitlansee ist der Himmel? die Temperaturen sind es weniger. Es sei denn, man zähle das Kühlhaus zum Paradies.
Kuba, Mexiko, Belize? da war ja klar, dass wir nur das Leichte in den Koffer nudelten. Ich meine: T-Shirts, Khaki-Shorts und so.
Der See liegt über 2000 Meter über Meer. Das Hotel hat einen kleinen Pool. Der wiederum eine zarte Eisschicht. «Jetzt sei keine Memme. Schau dir den See an? das ist doch Märchen pur Natur.»
Ist er. Zugegeben. Still liegt er da. Die drei Vesuve San Pedro, Atitlan und sein kleiner Bruder Toliman stehen wie dunkle Wächter über dem Wasser. Und überall leuchten Blüten und Blumen, sodass die Luft erfüllt ist von schweren, süssen Düften.
Natürlich will Innocent auf der Terrasse frühstücken. Die Kellner ziehen sich Pelzmützen und Handschuhe an. Dann servieren sie das Rührei. Dieses ist sofort mit einer zarten Schicht von Eis überzogen? und meine Augen tränen. Es ist einerseits die Verzückung über diesen wunderbaren Ort, von dem schon so viele schöne Poeten Lyrisches in Reime gekleidet haben. ANDERERSEITS KOMMEN DIE TRÄNEN VON DIESER ERKÄLTUNG, DIE ICH MIR VERMUTLICH BEIM POOLSCHWIMMEN UNTER EIS GEHOLT HABE.
René, unser Basler-Guatemala-Führer, winkt ab: «Das ist gar nichts? das geht vielen Greenhorns so. Guatemala ist punkto Temperaturen ein Wechselbad. Und da muss man sich eben richtig anziehen. In den heiligen Hochländern hier zum Beispiel mit diesen handgewobenen Hosen, die jeder Maya-Stamm trägt. Jedes Völklein webt und stickt auf eigene Art. Wir fahren jetzt auf den Markt von Chichicastenango. UND DA WERDEN EUCH DIE AUGEN BEI ALL DEN BUNTEN GEWOBENEN STOFFEN ÜBERLAUFEN... DIE FARBEN WERDEN EUER HERZ ERWÄRMEN.»
Da war ich aber im Nu gesund. Markt ist immer gut. Ich liebe Märkte. Innocent weicht allen aus, wenn ich dabei bin. Er hasst das flatternde Geräusch meiner Kreditkarte.
«In Chichicastenango nehmen sie von Touristen keine Kreditkarten», grinst René Meier. «Da geht alles im heissen Tauschgeschäft. Oder mit Dollar.»
Jetzt erst war Innocent beruhigt.
Der Markt findet immer an einem Donnerstag und Sonntag statt. Die Leute ziehen mit ihren Waren von weit her. Legen sich auf ihre Teppiche und Tücher. Und übernachten in diesem Ort, der ausser einem bunten Friedhof und einer Kirche, die auf einem Maya-Tempel aufgebaut wurde, auch sonst Lustiges zu bieten hat.
Wir sind früh da? und werden schon bald von Händlern mit antiken Steinfröschen aus der Maya-Zeit umschwirrt. Die Frösche sind so falsch wie das Lächeln der Verkäufer. Aber äusserst dekorativ. Und sie passen zu den Fröschen, die ich schon in Yucatán gekauft habe. Vermutlich kommen sie alle aus einer chinesischen Froschmacherei? aber ich stelle mir meinen kleinen Steintisch auf der Insel mit den Steintieren vor. Dann ein paar Geranien darum herum. Und: «SPINNST DU? WEISST DU WAS DAS WIEGT! UND WIR HABEN JETZT SCHON IRRES ÜBERGEWICHT!»
So werden einem die Frösche zur Sau gemacht!
Am Übergewicht leide ich mein ganzes Leben. ABER DA FIEL MEIN AUGE AUF EINE AUSLAGE VON STICKGARN. Und die Sache mit den Fröschen war gegessen. Stickgarn war federleicht und nun wirklich das, was ich für die liebe Freundin meines Vaters selig brauchte. Dieselbe stickt nämlich auf Teufel komm raus? UND SOLCHE FARBEN HAT SIE NIE GESEHEN: 30 verschiedene Gelbtöne, von Zitronenfalterhell bis Eidotterig dunkel, dann Lila-Schattierungen in den Farben römischer Kardinalsmützen bis zum Regenbogenrosa, daneben das schreiende Flammenrot vom Teufel und die Mohnfarbe nach den Socken des Papstes? ES IST ALLES DA. Und das Wunderbare: alle diese herrlichen Garnfarben wiederholen sich im bunten Angebot, das uns die Marktfrauen in ihren Körben vor die Füsse legen: samtgrüner Broccoli und violette Eierfrüchte, getrocknetes Rosenrot und milchigweisse Baumwollknäuel, die von andern Frauen in der Markthalle zu Fäden gesponnen werden.
«Ich will von jeder Farbe fünf Stränge», erkläre ich dem Garnhändler. Der lädt mich zum guatemaltekischen Kaffee ein. Und Innocent erkundigt sich schon einmal, ob es auf diesem Markt auch Überseeköffer zu kaufen gebe...
«Das sind noch wunderbare Naturfarben», erkläre ich Führer Meier. Der dämpft aber meine Garneuphorie gleich ab: «Das sind chinesische Chemiefarben. Mit denen färben die Frauen die Fäden. Ein schweres Problem für den Atitlan-See.»
OHGOTT!? WIEDER SO EIN ÖKOFUTZI IM GEPÄCK! Ich trinke den Kaffee und schränke meinen Kauf auf zehn miese, dünne Stränglein ein.
Meier paukt uns nun zur Kirche. Die Mayas sitzen auf den Stufen. Verbrennen Weihrauch und Myrrhe sowie seltsame Hölzer. Selbst in der Kirche verstreuen sie Pulver vor den Heiligenbildern. Und schleppen ihre Kranken dorthin, um deren Übel auszuräuchern. Es ist eine Mischung von Gottespalast und Geisterhaus. Vor 200 Kerzen sitzt der Älteste des Dorfes. Er schiebt rote Bohnen auf einem Holztisch hin und her. Dabei hört er sich das Wehklagen einer Frau an, deren Mann die Stärke zwischen den Lenden abhanden gekommen sei. WAS IST ZU TUN? Die Bohnen sagen es. Das Weib soll die Schwäche bei ihrer Schwägerin suchen, wo der Ehemann nicht nur zum Hühnersuppenschlürfen ein- und ausgehe... Dann komme ich dran. «FIEBER», sage ich «RUNNING NOSE AND HÄHÄHÄ!»? (ich imitiere einen Hustenanfall). Er schiebt wieder die Bohnen. Dann reibt er mir die Stirne mit einer Salbe ein, die? so übersetzt Reiseleiter Meier geniesserisch? aus Hodenfett, Ziegenmist und Hochland-Honig zusammengemörsert worden sei. MACHT 20 DOLLARS! Ich ziehe in solchen Fällen immer die Moulin-Rouge-Kugelschreiber aus der Tasche. Man bekommt sie auf dem Montmartre für 3 Euro. Sie zeigen eine knapp verhüllte und buntbefederte Nachtclub-Tänzerin. Wenn man den Kugelschreiber um 180 Grad dreht, fallen die Hüllen. Die Federn bleiben. Der Bohnen-Wahrsager ist zufrieden. Wie gesagt: entweder kalte Dollar. Oder heisser Tauschhandel.
Vom Markt in Chichicastenango und dem Wahrsager mit Bohnen
Samstag, 16. April 2011