Vom Mann mit dem Sack und Inseltricks...

Donnerstag - Jedes Mal wenn ich den greisen Glatzkopf mit seinem Sack sehe, überfällt mich ein schlechtes Gewissen. Ich meine: Unsereins hockt sackfaul im Auto. Das Männchen aber marschiert jeden Tag eisern mit seinem prallvollen Sack über die Insel.
Es stellen sich Fragen.
Ist der alte Mann einer dieser fragwürdigen Sportfanatiker, der dem ruhenden Pol dieser Erde mit seiner Herumwalkerei ein schlechtes Gewissen einstampfen will?
Ist er auf dem Weg zu einem Guinness-Rekord?
Oder ist er nur plemplem?

Fragen über Fragen - doch diejenige, die mich am meisten bewegt: WAS IST IM SACK?

Nun sind wir eigentlich eine recht friedfertige Insel. Doch erst kürzlich hat der Kleinbauer Ernesto in Porto Ercole seine Alte mit dem Beil tranchiert, weil die ihm den Schnaps weggeschlossen hatte.
Imelda Saccuzzi wiederum hat ihre leibliche Schwester Mariza innert vier Monaten mit Arsen durchgefüttert, damit sie an das Familienerbe kommt. Sie verabreichte der Bemitleidenswerten das Gift in schnapstriefenden Savarins, die sie hier «Baba» nennen. Mariza war auf diese sogenannten «Babas» ganz verrückt. Das nutzte die habgierige Schwester aus. Das Weib wäre ungestraft ans Erbe gekommen, hätte die gutherzige Mariza nicht ihren letzten «Baba» mit dem Briefträger geteilt. So gab es eine Doppelbeerdigung.

Rinaldo war der letzte Fall. Er war der Wildsaujäger der Sonderklasse, ein Meister des Schusses - ein Roger Federer des wilden Schweinischen, quasi.
Jeder Treffer sass.
Aber leider hatte Rinaldo nicht nur die Sauen im Visier. Er pirschte auch die Weiber an. Meistens diejenigen mit Eheringen - das gab ihm den gewissen Kitzel.
Rinaldo liebte es, seinen Kameraden Hörner aufzusetzen. «Cornuti» nennen sie die Gehörnten hier. Und Alfredo war ein solcher. Allerdings von der begriffsstutzigeren Sorte. Sein Geweih wog bereits drei Zentner, als ers endlich merkte.
Dann aber gings ruckizucki. Bei der nächsten Wildsaujagd stand Rinaldo versehentlich vor Alfredos Flinte. «Es war ein Unfall» - so versicherten 27 Cornuti dem Obersten der Carabinieri am Tatort. Dieser war der 28. Cornuto und damit der Fall klar: Freispruch.

DIE FRAGE NACH DEM SACKINHALT MEINES LÄUFIGEN MÄNNCHENS IST ALSO BERECHTIGT. Sind nicht erst vor zwei Tagen wieder vier Berliner Touristinnen vermisst gemeldet worden?
Ich halte mein Auto, kurble die Scheibe runter: «Wollen Sie mitfahren?» Ich erwarte eine Absage. Aber hols der Teufel: Der Alte steigt ein. Den grossen Sack hält er auf seinen Knien. Geredet hat er noch kein Wort.
«Wohin?» Das Männchen nuschelt etwas zwischen drei braunen Zahnstümpfen hervor. Also eines ist klar: FÜR DIE ZÄHNE IST DAS LAUFEN GAR NICHTS! DIE LAUFEN DAVON AN...

Nun weisen mir ledrige Hände den Weg. Bald schon keucht und holpert mein alter Karren auf Naturwegen. Der Auspuff knallt im Protest und der Motor kotzt sich aus, wie mein lieber Papa, wenn es mal wieder zu spät und ein Fläschlein zu viel geworden ist...
LANGSAM WIRD MIR MULMIG: Ich alleine mit dem Mann, den würgenden Lederfingern und seinem seltsamen Sack!
«Ecco» - hustet der Alte.

Wir sind vor einer kleinen Hütte. Und er macht ein Zeichen, dass ich im Auto warten soll. Schliesslich kehrt er mit einer Flasche Wein zurück: «Mia uva» - sagt er. «Von meinen Reben!»
Ich bin gerührt und nehme die Flasche so huldvoll entgegen, wie Sissi das Zepter.
«12 Euro» - hüstelt der Mann. Und streckt mir die Hand hin.
UND DAFÜR HAT SICH MEIN MOTOR AUSGEKOTZT!

Samstag - Vor dem Fischladen treffe ich Gianni. Seit seine amerikanische Freizeitbeschäftigung mit Namen «Mary-Lou» in New York nach ihrem Blumenladen sieht, ähnelt Gianni einem Gummibaum, den man zu giessen vergessen hat.
WO KEIN GUSS, IST KEIN GENUSS!
Schliesslich schaue ich mit ihm zu, wie Adolfo harassenweise Fische aus dem Camion hievt.

«Die Orate und Spigole kommen alle aus der Aufzucht», knurrt Gianni und spuckt auf den Boden. «So verarschen die Fischhändler heute die Kunden. Diese glauben doch alle noch an das Fischerboot, das früh morgens aufs Meer fährt und...» «GIANNI!», fahre ich das Lästermaul zackig an, «Du bist nur stinkesauer, weil deine Freudentrine weg ist. Und...» Er grinst: «Sie sind derselbe Depp, Signore. Da faseln Sie mir ständig von einem Alten, der Ihnen seinen selbstgebrauten Naturwein verkauft habe... nur die ganz grossen Deppen fallen auf diese Kiste rein. Arturo kennt hier jeder. Die Masche "alter Mann mit Sack" ist uralt. Schon Luigi hat sich damit eine goldene Nase verdient. Die Touristen halten mitleidig an - bringen Arturo zu seiner Hütte. Und hier dreht er ihnen von seinem Wein an...» Der Depp schweigt beleidigt. Dann siegt die Neugier: «... und was trägt Arturo in seinem Sack?!»

Gianni zeigt auf den Supermercato, wo der alte Glatzkopf eben einen dieser Drahtwagen herausbuxiert. Der Wagen ist voll mit Tetrapackungen. Und in den Tetrapacks hats Wein vom miesesten.

MEINEN WEIN FÜR 12 EURO, die umgefüllte Flasche!
Arturo packt den Kochwein in den Sack. Dann zieht er los.
Ein Wagen aus Winterthur hält schon...

Dienstag, 26. April 2005