Vom letzten Geschenk der Kembserweg-Omi

Donnerstag OKAY. DIE BÖRSE IST NULL.
ZERO. AM ARSCH!
Und Innocent macht ein Gesicht wie dieser Ballon, dem nach der Messe die Luft ausgegangen ist.
ABER IST DAS EIN GRUND ZU JAMMERN? IST DAS EIN GRUND, MICH JEDEN TAG MIT EINER LEICHENBITTERMIENE UND DEM DRINGENDEN APPELL «Um Himmels willen? kauf keine Geschenke. Wir haben doch alles... und wir haben ja nichts mehr!» ZU BELÄSTIGEN?
Hat nicht schon die Kembserweg-Omi «Schenke, so lange du kannst? Hauptsache wir sind gesund!» gesagt? Und dann ihr Putzgeld, das sie sich auf ihren tortenplatten grossen Knien reinschrubberte, für uns alle ausgegeben?
Als sie damals, um die Weihnachtstage rum, vor ihrem Abgang in eine bessere, putzfreie Welt in der sterilen Krankenstation des Altenheims im Eisenbett unter dem leidenden Heiland in den Kissen lag, konnte ich kein einziges Wort hervorbringen. Ich streichelte ihre Hand. Und schluckte die Tränen runter.
Die Omi aber griff unters Krankenkissen. Und knübelte ihr Portemonnaie hervor: «Da, nimm dir zwei Franken. Und kauf einen Lebkuchen für Weihnachten...»
Schenken war für die Omi wichtiger als Geschenke zu bekommen.
In ihrer Familie, wo man sich nichts gönnte (oder eben: nichts gönnen konnte), war Heiligabend der einzige Tag im Jahr, wo alles üppig wurde. Essen und Geschenkberg. Für einmal wollte man aus dem Vollen schöpfen. Entsprechend fieberte die Familie 364 Tage darauf hin? und die Omi machte Weihnachten zum Fest.
Wenn meine Mutter ihre Schwiegermutter dann auch als «bösesten Witz, den mir das Schicksal in diese Ehe reingemischelt hat» herumbot, so liess sie sich zur Weihnachtszeit doch immer von der Geschenkeuphorie der Omi anstecken. Auch in unserer Familie war erst Weihnachten, wenn der Päckliberg vom Baum bis an die Stubentür wucherte.
An jener Weihnacht etwa, als alle Schmuck geschenkt bekamen (Mutter hatte eine Cousine, die eben eine Boutique mit Strass- und Talmi-Colliers eröffnet hatte, und natürlich musste die Arme unterstützt werden), ja, als da selbst unser Zwirbelhund neben dem traditionellen Klöpfer noch ein Glasbrillanten-Halsband und mein Vater, der in seiner Freizeit immer nur Rollkragenpullover trug, einen falschen Rubin als Krawattennadel geschenkt bekamen, gerieten die Päcklein natürlich klein. Und wenn es auch immer heisst, DIE KLEINEN SIND DIE BESTEN, so war dies für das üppige Geschenkberg-Bild nicht ideal. GANZ UND GAR NICHT!
Mutter behalf sich, indem sie nützlichen Alltagskram wie Toilettenpapierrollen, Melitta-Filter (damals noch!) und Tupperware-Plastik-Dosen schön verpackte. Und so den Geschenkberg volumenmässig aufrüstete.
Dennoch waren wir froh, als die Cousine pleite machte und nur noch Vaters roter Rubin auf der schwarzen Trämler-Krawatte an jene Bescherung erinnerte, bei der Tante Irmgard neben einem üppigen Ansteck-Kakadu aus verschiedensten Glassteinen mit verärgertem Kopfschütteln («Also das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, Lotti») noch eine Packung Roland-Zwieback und ein weiteres Geschenkpaket mit sechs Rollen Küchenpapier ausgepackt hatte.
Unvergesslich ist auch jene Weihnachtsfeier, als ich den frischgebackenen Anwalt aus besserem Hause erstmals zu unserer Familienfeier mitnahm. Als er Mutters traditionelles «Schüüfeli auf Bohnen» schnupperte und sich altbaslerisch einschleimte («Ahh? das schmeggt aber wonnig. Gits ebbe Baischungge?»), wurde er von Alphonse ziemlich derb zurechtgestutzt. Mein Lieblingsonkel schaute mich kopfschüttelnd an: «Wo hast du bloss diesen Rechtswixer aufgegabelt?» Dann nahm er den armen Innocent auch gleich ins Visier: «Bei uns wird kommunistisch gewählt, junger Mann? und das Vögeli-Vischer-Vau gebrauchen wir nur beim Geschlechtsverkehr, uahahaha!»
Stumm hat Innocent den miesen Fusel zum Apéro geschluckt und sich auch tapfer durch die zähen Dörrbohnen gewürgt. Den Gong bekam er erst, als das Glöckchen alle ins Weihnachtszimmer schellte und dort kaum die Tür geöffnet werden konnte, weil der Geschenkberg wieder einmal alles versperrte. Weiss wie ein Leichentuch schaute Innocent auf all die vielen Päckchen am Boden: «MIR WIRD SCHLECHT... DAS IST JA PERVERS!»
Erst später habe ich den Ausbruch verstanden, als ich in seiner Familie mitfeiern durfte und als Bescherung jedes Familienmitglied ein dünnes Stammbuch-Bändchen von Gustaf Adolf Wanner auspacken durfte. Dazu ein etwas krummes, aber gutgemeintes Anisbrot mit dem Wappen der Sippe in Cellophan verpackt und mit Seidenschleife (die dann wieder eingesammelt wurde).
UND JETZT ALSO: «Die Verluste sind enorm? hast du gesehen, wie tief die UBS-Aktien stehen?»
Habe ich.
Und gleich mal eingekauft. Jede einzelne wird in eine Schachtel gelegt. Schön verpackt. Alles wie damals bei Mutter und dem Toilettenpapier.
DAS WIRD EIN RIESIGER GESCHENKBERG!

PS: Der Lebkuchen der Kembserweg-Omi steht heute noch auf meinem Schreibtisch. Er hat seinen Duft und Glanz verloren? nicht aber die Erinnerung an die Omi. Und ihre Worte: «Schenke so lange du kannst? Hauptsache wir sind gesund!»

Donnerstag, 18. Dezember 2008