Vom Kochen in Kairo und der Hygiene

Donnerstag Natürlich gehen die Uhren von Kairo anders.
In dieser Stadt, wo die Strassen so verstopft sind, wie die Kembserweg-Omi nach 300 Gramm dunklen Pralinen, kann man keine «Auf die Minute»-Pünktlichkeit erwarten.
DA MUSS JEDER SCHON FROH SEIN, WENN ES BEI EINER STUNDE WARTEZEIT BLEIBT.
Ahmed holt mich jeweils um sechs Uhr abends ab. Er hat dann seinen Arbeitstag beendet. Aber der? HÖRT! HÖRT!? beginnt bereits um sieben Uhr in der Früh. Jetzt wirbelt unser Freund bereits auf der ersten Baustelle Staub auf. Die Baustellen befinden sich übrigens mitten in der Wüste. «NEW CAIRO», so heisst die City, die da für rund acht Millionen Menschen aus dem Sandboden gestampft wird.
Als Erstes stehen die Banken. Die Welt bleibt sich überall selber treu...
New Cairo sieht aus wie eine Geisterstadt. Hunderte von Häusern stehen leer. Meistens sind es Prunkgebäude mit pyramidenhohen Säulen und alles im Stil einer Neoklassik, die zum Himmel geigt. «Die Leute wollen das», versichert mir Ahmed. Immerhin ist er für alles Bauwerk in und um Kairo verantwortlich.
Das ist nicht einfach: «Natürlich habe ich auch le Corbusier studiert... natürlich kenne ich die Bauten von Herzog & de Meuron... Renzo Piano... aber so etwas geht hier nicht. Für diejenigen, die mitten in der Wüste wohnen, muss das Haus prunkvoll und dem Essgeschirr angepasst sein.
Das Essgeschirr von Ahmeds lieber Mama wird nur in Zitronenwasser gespült. Die Schüsseln haben goldene Ränder, dick wie Kletterseile.
UND DAS IST DANN DAS DEZENTE VOM CHIC!
Ich habe von Tellern gegessen, die mit Swarowskis falschen Brillern eingefasst waren.
ABER WAS ICH EIGENTLICH SAGEN WOLLTE: FÜR MENSCHEN MIT SOLCHEN TELLERN BAUT MAN KEINE SCHLICHTE SACHLICHKEIT.
Nun warte ich also schon eine geschlagene Stunde mitten auf der Muhammad-Ali-Strasse. Millionen von Menschen! Aber kein Ahmed! Es kann einen schon auf die verstaubten Palmen bringen!
Ich stehe nicht alleine da. Um mich herum stehen etwa ein Dutzend Plastiksäcke voll mit Gemüsen, zwei Hühnern (frisch geschlachtet und handgerupft), einem halben Lamm, ausgepelzt aber noch mit diesem Kopf dran, dessen tote Augen genau so hoffnungslos zum Verkehr blicken wie ich auf Ahmed, der nicht kommt.
Gestern hatten wir nämlich eine Nilfahrt. Ahmeds ganze Familie tuckerte mit. Sie wollten dem Gast etwas Besonderes bieten. Also engagierten sie zwei Musiker mit diesen seltsamen Zupfinstrumenten, scheppernden Rasseln und einer Stimme, die in ihrem weinerlichen Unterton stets an die Lohnforderungen von Putzerin Annick erinnert.
Kaum tuckert der Dampfer los, ja die Musik hatte noch nicht einmal ihre Klagesongs gestartet, da fütterten sie uns schon mit all diesen herrlichen Sachen, die immer ein bisschen zu viel in Kreuzkümmel gebadet worden sind.
Ich will nicht klagen. Ich habs gegessen. Und selbst als mir diese ägyptische Omi persönlich sechs frittierte Eierfruchtschnitten in den Mund stopfte, selbst da habe ich mit Schweissausbruch alles geschluckt.
Als dann aber diese alte Sphinx mir klar machen wolle, dass es keine bessere Küche als diejenige östlich vom Nil gebe, habe ich der Tante doch klar und deutlich aufzeigen müssen, was Sache ist: ICH WÜRDE MORGEN FÜR ALLE KOCHEN! (ach Gottchen, nach dem siebten Glas Pepsi-Cola redet manch einer so einen Stuss daher). Und wie mich der Muezzin heute Morgen in aller Allahfrühe weckte, wartete die ägyptische Omi bereits in der Küche. Sie schaute mich listig an: «We are looking forward to your dinner!»
UND DA WILL ICH DIE SCHWEIZER GOURMETKÜCHE NATÜRLICH NICHT BLAMIEREN.
Als ich dann in einem Seitengässchen der Sharia-Muhammad-Ali in den Lebensmittel-Suk eingebogen bin, wie da die Fliegen um abgehängte Rinder und Schafe surrten, als da die Milz offen neben frisch gewonnenem Honig lag? also da musste ich doch ein bisschen an den grossen Wind denken, den unsere Lebensmittelinspektoren bei Basler Beizen und Marktständen machen, wenn sie in winzigen Ampullen fingernagelgrosse Proben wegen der Hygiene abfüllen.
Ich habe mich also mit Fleisch und allerlei Gemüsen eingedeckt, habe mir Couscous und Reis abfüllen lassen und die Nummer von Barilla vergeblich gesucht (ich plante das Kairo-Essen mit Räppli-Spaghetti zu starten? nun wirds halt ein Auflauf!).
Die Händler haben jeweils aufgejault wie angefahrene Hunde, wenn ich um die Preise feilschte. Aber wer am Petersplatz einen Messestand führte, dem macht man NICHTS vor!
So kommt es also, dass ich mit all meinen Taschen mitten im Millionen-Verkehr auf Ahmed warte.
Die ersten Fliegen summen schon.
Doch ich werde heroisch durchhalten und für unsere Schweizer Qualitätsküche Ehre einlegen? damit die Cheops-Mutti sieht, dass die beste aller Küchen westlich vom Rhein liegt...

Donnerstag, 16. April 2009