Vom Hundebiss am Bosporus und Istanbuls Regeln

Es war ein wilder Hund. Mager. Struppig. Und mit diesem leicht wirren Blick, den wilde Hunde so zeigen.
Nun gut. Vielleicht habe ich mir das mit dem Blick auch nur eingebildet. Jedenfalls machte die englische Lady ein Riesentheater. Und das animierte den Hund natürlich. Er beschnüffelte sie. Knurrte ein bisschen. Und stand dann bei ihr auf. GEKREISCHE. GEJAMMER. Und vermutlich der Einzige, der bei dieser verwitterten Barbie noch aufgestiegen ist.
Die Frau benahm sich unmöglich. ABER WIRKLICH TOTAL SCHRÄG. Sie zitterte, dass ihr platter Busen wie zwei Kastagnetten zu klappern anfing. Und sie stiess derart hohe Töne aus, dass jeder Hund durchdrehen musste.
Ich bin mit Hunden aufgewachsen. Und habe keine Berührungsprobleme. Deshalb ging ich auf den Kläffer zu. Packte ihn am Kopf: «Jetzt sind wir aber ein ganz braver Hund.» Und der liess sofort von der Englischen ab.
Er machte einen weiten Bogen. Um mich dann von hinten in die Pobacke zu beissen.
ARSCHKARTE GEZOGEN!
Hinterhältiger Feigling, das!
UND ICH SCHWÖRE, SO WAR ES!
Nach meinem Biss war die Aufregung rund um den Taksim-Platz riesig. Die Engländerin bebte im Heulkrampf. Moderne türkische Frauen zeigten mir das V-Zeichen. Und ältere Männer wollten unbedingt sehen, wo der Hund zugebissen hatte.
Die Polizei kam ebenfalls in ihren lotterigen Hosen. Und stellte Fragen:
«Ein Hund hat Sie angebissen?!»
«Nein. Er hat einfach mal hinten geschnappt, weil er verärgert war, dass ich ihn von der Schlotterfrau da weggezerrt habe ?»
«SIE WISSEN, DASS ES IN ISTANBUL VIELE WILDE HUNDE GIBT ?»
Ich flüstre: «Politisch möchte ich mich hier nicht über Ihr Land auslassen ?»
«? UND WILDE HUNDE SOLL MAN RUHEN ­LASSEN. WIE DIE TOTEN. DA GEHT MAN DOCH NICHT EINFACH AUF SO EINEN LOS! WOLLTEN SIE DEN HELDEN SPIELEN?»
Hätte ich zusehen sollen, wie er das englische Tussi zerfleischt? Polizisten können manchmal schon seltsam weltfremd sein.
«Wir wollen den Biss sehen», befahl der Schlotterhosen-Polizist nun in diesem Tonfall, der mir schon an meinem einzigen Tag Rekrutenschule auf die Eier gegangen ist:
«HOSE RUNTER!»
Ich meine: Da kann jeder kommen! Und immerhin bin ich ein alter Mann, der sich da nicht einfach zur Gaudi der Polizei auf dem Taksim-Platz eine Blösse gibt. Deshalb. «Nein? der Hund hat nur ein bisschen geklemmt ?»
BITTE WAS? «Er hat nicht richtig zugeschnappt ? nur gepfätzt (ja Himmel, was heisst pfätzen auf Türkisch?? GÜPFÜTZII!»). Da kam auch schon Blaulicht. Und man führte mich ab? direkt ins deutsche Hospital.
Hier hub nun ein eifriges Hin und Her an. Sie besahen sich alle das, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Und endlich meldete sich der Oberarzt zu Wort: «Ik seh nix!»
Es war ein alter Ossi. Und ich war ja schon glücklich, dass er mich verstehen konnte, auch wenn er nichts sah: «Ich habe bereits gesagt, dass es nichts sei. Der Hund hat nur leicht zugeleckt ? Ihr macht jetzt wirklich ein Riesentheater ?»
«HUNDE SOLL MAN NICHT BERÜHREN! SCHON GAR KEINE WILDEN HUNDE! IN ISTANBUL LEBEN ÜBER 10 000 WILDE HUNDE!»
Ach ja?
«SIE LEBEN AUF PARKPLÄTZEN UND IN BAU­RUINEN. WIR WOLLEN SIE DEZIMIEREN. ABER DER TÜRKISCHE HUNDESCHUTZ DREHT DA VÖLLIG DURCH ?»
Ich nahm an, dass jetzt eine Salve gegen den Tierschutz abgeschossen würde, und wollte deshalb rasch gehen, bevor ich mich vergessen sollte: «Danke. Mir tun eure Hunde leid ? wo kann ich bezahlen?» «SIE HABEN AUCH SCHON EIN KIND ZERBISSEN!»? pfefferte der olle Ossi noch einen drauf. Und: «War uns ein Vergnügen ? Sie werden hier gratis behandelt!» Na also, das war dann doch eine grosse Überraschung. Bei uns verlangen sie als Erstes die Versicherungskarte? erst dann geben sie dir den Totenschein.
Vor meiner Wohnungstüre wartete schon die ganze Selim-Familie. Wie ein Lauffeuer war mir das Drama vorausgeeilt: «Der helvetische Dickbauchmann ist gebissen worden. Von hinten ?»
Afet kam händeringend auf mich zugewatschelt. Afet ist Selims ledige Schwester. Und obwohl Afet auf Türkisch «die Schönheit» heisst, schnallt jeder, weshalb Afet bis heute ledig geblieben ist. «ICH WERDE DIR MEINE KRÄUTERMISCHUNG AUF DIE WUNDE STREICHEN», flüsterte sie mir ins Ohr.
«Da ist gar keine Wunde», gab ich gereizt zurück. «Ein Schnäppchen! Mehr nicht!» Afet wollte sich das Schnäppchen nicht entgehen lassen. Ich musste mich also auf die Coach legen. Sofort pappte mir Afet etwas Brennendes, Unangenehmes auf den Hintern. Dann legte sie Tücher darüber und meinte, in 14 Tagen sei alles wieder wie neu!
SO EIN SUPPENHUHN! ALS OB ICH MEINE ISTANBUL-TAGE MIT EINEM GEWÜRZTEN HINTERN VERSAUEN WOLLTE.
Im Badezimmer kratzte ich den ganzen Matsch wieder runter. Und rief von Heimweh getrieben Innocent in Basel an (weinerlich): «Ein Hund hat mich gebissen ? toll vor Wut ? du weisst ja, wie heisse Hunde auf mich reagieren ?»
Innocents einzige Sorge: «Du hattest hoffentlich keine der neuen Hosen an. In Istanbul tragen alle nur alte Hosen, weil so viele Hunde hineinbeissen und ?»
AUFGEHÄNGT.
In der Nacht träumte ich von einer wilden Polizisten-Orgie. Die Gesetzeshüter tanzten mit gezückten Schwertern um mich herum und sangen: «Wir killen den Hund ? wir killen den Hund»? ich aber rief immer wieder zwischen ihren Schlabberhosenbeinen hindurch. «Lauf weg, Hundi ? lauf weg ?»
Na ja? jedenfalls bin ich schweissgebadet erwacht. Und hatte leicht Fieber. Überdies brannte mein Hinterteil höllisch. UND DA BRAUCHTE ICH KEINEN GESETZESHÜTER, DER MICH WARNEN SOLLTE, ES SEI MATTHEI AM LETZTEN.
Also zurück ins Hospital. «Vermutlich ist doch ein bisschen Tollwütiges in meiner Backe ?», sagte ich zum alten Ossi. Und zeigte nach hinten.
Er betrachtete alles genau. Dann schüttelte er mit diesem Blick, der Kummer gewohnt ist, den Kopf. «Sie haben einen Hautausschlag. Sieht ganz so aus, als hätte Ihnen jemand Pfeffer auf den Arsch gestreut ? überdies haben Sie eine kleine Grippe. Wissen Sie nicht, dass man in Istanbul im Winter nicht kurzärmlig herumlaufen soll! Ja was wisst ihr Journalistendeppis eigentlich?!»
OKAY? WIR KENNEN JETZT DIE GOLDENE REGEL VOM BOSPORUS: HÄNDE WEG VON HUNDEN!
UND NIE PFEFFER AUF DEN ARSCH!

Dienstag, 17. Dezember 2013