Vom honduranischen Kaffee und 18 Kaninchen

«Zigarren!», lächle ich dem Mann im honduranischen Zollhäuschen entgegen. Ich lächle so freundlich, wie es eben geht. Denn seit anderthalb Stunden geht gar nichts mehr. Mein gutmütiges Wesen mutiert in dieser ellenlangen Kolonne zur schreienden Interjektion:
«JETZT SCHIEBT MAL EURE ÄRSCHE VORWÄRTS!»
Hinter mir schleppt ein Mann mit Gehstock einen Korb.
Es ist ein Schlangenkorb, in dem? sage und schreibe? vier dieser ellenlangen, giftgrünen Biester rumfummeln.
Manchmal öffnen die unternehmungslustigen Tierchen den Deckel. Und züngeln mir seufzend an die sonnenverbrannten Waden. Mit einem Stock schlägt der Alte sie wieder zurück in den Korb.
Er beruhigt mich mit undeutlichen Worten, die er aus seinem zahnlosen Mund rausschmatzt.
Vor mir: eine junge Frau. Mit einem regenbogenbunten Stoffbeutel. Sie balanciert ihn auf schwarzgelacktem Haar. DAS IST ZIRKUS PUR. Im Beutel krähen nämlich zwei verärgerte Hähne? an ihrer Brust wiederum kräht ein Kleinkind. Allerliebst. ALLERLIEBST. Aber die Kinderstimme überkräht selbst die Hähne. Dazwischen also: INNOCENT. Und seit wir in dieser Schlangen-Schlange stehen, liegt er mir mit seinem Genörgel wie Kleister in den Ohren: «Nicht einmal ein Bierlein hats auf dem Flug gegeben. Teuer genug war er doch. Und dies alles für einen Kartonbecher mit Wasser.»
Kurz: Wir sind endlich in San Pedro Sula gelandet.
Und mit uns viele, viele andere. Einer gar mit drei abgefuckten Ziegen, die einen derart apathischen Blick werfen, als hätte man sie mit Marihuana zugedröhnt.
Der Beamte im Zollhaus runzelt die Stirn. Er lässt seine Stahlzähne blitzen.
«Zigarren», schleime ich nochmals. «Ich komme wegen der Zigarren hierher. Und ein bisschen wegen Maya...»
«MAYA», nickt er nun erleichtert. Zigarren kennt er nicht. Denn Rauchen ist auch hier, wo so viele Raucherdinge gedreht werden, VERBOTEN.
Wieder leuchtet die Halle im Stahlschein. Dann stempelt der Beamte mich durch. Und Innocent schleimt als nächster. «BIER. ICH KOMME WEGEN EINES BIERS... und ein bisschen wegen Maya!» Erneutes Stempelknallen.
ENDLICH SIND WIR DURCH. Und:

«BENVENUDOS IN HONDURAS», nimmt uns Herr Meier in die Arme.
Herrn Meier haben wir in Guatemala kennengelernt.
Er ist Experte für Maya. Und deren Geschichte. Nun lässt er uns von Linu nach Copan fahren.
Linu ist ein seltsamer Name. Aber ein wunderbarer Chauffeur.
«Die Ruinen von Copan sind etwas vom Allerschönsten, das aus der Mayazeit erhalten blieb...», beginnt Herr Meier seine Tour.
«Das Allerschönste wäre jetzt ein kühles Bierchen!»
(Da brauche ich wohl nicht anzumerken, wer hier dazwischengerufen hat.)
Also stoppen wir vor einer Hütte, aus deren einzigem Fenster eine Kette von Päckchen mit Kartoffelchips hängen. Herr Meier unterhält sich mit der jungen Frau hinter dem Chipsberg in dieser Sprache, die immer so tönt, als ratterten zwanzig Nähmaschinen in einem Coutureatelier. Siehe da? aus einem gasbetriebenen Eiskasten zaubert die Schöne eine Büchse Heinecken hervor. BINGO? DER TAG IST GERETTET!
Die Fahrt nach Copan wird dann zum fünfstündigen Slalom. Sie führt durch eine zauberhafte Berg-und-Hügel-Welt. Vögel, bunt wie ein Paket voller Gummibärchen, hocken auf Ölpalmen und Kokosbäumen.
Felder mit Weihnachtssternen lodern wie Buschfeuer.
Über Orchideen gaukeln Schmetterlinge, tiefblau wie ein samtener Königsmantel und gross wie zwei Boxerhände.
Daneben schlagen einem junge Männer mit armlangen, rostigen Säbeln Kokosnüsse auf und schälen mit der Fingerfertigkeit von Spitzenklöpplerinnen das schneeweisse Fleisch aus der Schale. Es schmeckt nussig, süss und cremig. «Ist das nicht EINE TRAUMWELT VOLLER CANDYFARBEN UND PARADIESDÜFTEN...», kicke ich Innocent aus seinem Schlummer.
«Jaaa», strahlt er, «und Heinecken haben sie auch...»
Herr Meier seufzt: «Seit dem Umsturz kommen die Touristen nicht mehr. Schrecklich. Wir haben in Honduras eine schlechte Presse... San Pedro Sula hat die höchste Mordrate der Welt... dabei sind die Menschen hier sanft. Friedlich. Und arbeitsam... Dort seht ihr übrigens eine Kakaoplantage. Und die roten kleinen Kügelchen an den Sträuchern hier sind Kaffee... Honduras hat Guatemala in der Kaffeeproduktion übertroffen.»
Tatsächlich fahren wir immer wieder an Haziendas vorbei, wo Kaffeebohnen getrocknet werden. Und wo die Leute Leinensäcke mit den getrockneten Bohnen anbieten? «die Rösterei ist das Geheimnis. Die Rösterei und die Bohnenmischung. Der Kaffee schmeckt hier besser als in Neapel...» DAS MUSS MIR KEINER ZWEIMAL SAGEN. Deshalb: «Kaffeepause!» Es kam heisses Wasser. Und eine Dose Nescafé. «Die Amerikaner wollen das so...», seufzte Herr Meier.
Die Hazienda San Lucas liegt etwas ausserhalb des alten Städtchens Copan. Der Weg führt an einem kleinen Fluss vorbei, in dem Mütter mit ihren Kindern baden. Und Väter ihre Pferde zum Tränken hinführen.
Die Hazienda empfängt uns mit 1000 Kerzen.
«Das wäre nicht nötig gewesen...», schüttle ich Donna Flavia, der Besitzerin, gerührt die Hand: «Doch», lächelt sie, «wir verzichten nämlich hier auf Strom. Und da sind die Kerzen nötig.»
«DIO MIO», denke ich laut. Denn so ganz ohne meinen Elektrorasierer und Innocents Apnoemaschine wird das nix. «Für solche Fälle haben wir die Sonne», strahlt Flavia. «Solarenergie. Denn Sonne gibts hier mehr als genug.» «WUNDERBAR», juble ich. In diesem Moment ziehen erste, schwarze Wolken über den Maya-Ruinen von Bocan auf. Es ist, als würde Uaxaclajuun Ubb? ahh K?awill uns Gringos zürnen. Der Name bedeutet übrigens «18 Kaninchen». Er ist so pompös wie das Gewitter, das uns der Mayakrieger jetzt schickt.
Die Sonne erlischt.
Und damit legte «18 Kaninchen» am andern Morgen auch den Elektrorasierer flach.

Samstag, 10. März 2012