Der Abschied von Belize fiel schwer.
Die Pelikane flogen eine Adieuparade. Die Affen warfen uns schreiend Orangen zu? und das Krokodil hatte Tränen in den Augen. Krokodilstränen. Und ich kann euch sagen: Eine Träne füllt schon fast die Badewanne.
Judith drückte uns heulend an den Busen. Sie hatte uns von ihrer hauseigenen Pfeffersauce eingepackt, auf deren Verpackung knallrot das Wort «DANGEROUS!» sowie ein Totenkopf warnen: «ONLY THREE DROPS!»
Ich weiss nicht, wie Judith das teuflische Gewürz zusammenmixt. Aber ich kann euch sagen: Soll mir keiner in die Nähe kommen, wenn ich pfeffersaucenrotsehe. Agatha Christie hätte mit der Chili-Tunke mindestens sieben Morde hingekriegt.
Der Flughafen von Belize City ist kaum grösser als eine Schuhschachtel. Die Leute tun sich mit unserem üppigen Gepäck ziemlich schwer. Innocent verteilt Schuldgefühle nach links und rechts: «ICH HAB DIR JA GESAGT, DIESER ELEFANTENGRÄUEL IST EINFACH ZU VIEL!»
Ach jerum? das arme, alte Männchen im Dschungel hat sich so Mühe gegeben, dieses Holz einigermassen in Form eines liegenden Elefanten hinzukriegen. «DER ALTE HAT MIR LEID GETAN! WIR SCHICKEN AN WEIHNACHTEN TONNEN VON GELDERN IN DIE DRITTE WELT. ABER HIER KONNTE ICH MAL VON HAND ZU HAND HELFEN!» Innocent macht auf tranig: «ABER DA MUSST DU IHM DOCH NICHT GLEICH EINE BANK FÜR FÜNF PERSONEN ABKAUFEN!»
Wie gesagt: Innocent und das Flugpersonal bauten die Krise, und die einzige Möglichkeit, dieses wunderbare Möbel zu transportieren, bestand aus einem privaten Frachtflugzeug? UND ICH BRAUCHE JA NICHT GROSS ZU SCHILDERN, WIE EIN GEWISSER HERR DA ZU TOSEN BEGANN!
Na ja? es fand sich ein netter Mann, der zufällig ein Frachtunternehmen führte und mit Onkel Nudelstadt aus Basel befreundet war. Er anerbot sich, die Kostbarkeit auf dem Schiff- und Lastwagenweg nach Basel zu schicken. Innocent drückte ihm einen Dollar in die Hand: «Wenn das Ganze unterwegs absäuft, tun Sie mir einen grossen Gefallen, guter Mann!»
JA, HÖRE ICH DA RICHTIG?? IM ZEITALTER DER GRÜNEN WILL HERR INNOCENT DAS MEER ALS ABFALLHALDE NUTZEN!
Ich hustete ihm etwas. Und dann flogen wir nach Miami. An Bord wurden heisse Maishühner serviert, und als wir landeten, war mir so schlecht, dass der Einwanderungsbeamte meinte, ich sei vollgestopft mit Heroinkapseln. Das machte wohl der grünliche Teint. Jedenfalls winkte mich der Mann in diese Kabine, die dich bis ins letzte Detail blossstellt. Und wo die ganze Untersuchungswelt mit Röntgenaugen den winzigsten Körperteil ausspionieren kann.
NATÜRLICH GIBT ES BEI MIR KEINE WINZIGEN DETAILS. ALLES HAT SEINE RICHTIGE GRÖSSE.
Zwölf uniformierte Spanner schauten sich jedenfalls den Body bis auf die Knochen an. Dann nickten sie: «Kein schöner Anblick. Man weiss nicht, wo das Huhn anfängt und der Bauch aufhört...» Sie brüllten über ihren Witz wie die Mainzer Garde. Und ich wusste: Das ist Miami, wie es singt und lacht.
Unser Hotel lag in Miami Beach. Es liegen viele dort. Die Vornehmeren vorne am Strand. Wir lagen in der neunten Reihe? also ganz hinten.
Unser Zimmer ging auf einen Autofriedhof? und bereits morgens um sechs Uhr wurden die ersten Blechleichen angekarrt. Entsprechend gutgelaunt ging ich zum Frühstücksbuffet, das aus Wassermelonen und Kaffee bestand. Das Melonenwasser hatte mehr Konsistenz als der Kaffee. Und so besorgte ich mir im nächsten Drugstore diese Dose von der guten alten Tante Maxwell und pulverte die Brühe und mich mit Elsass-Extrakt etwas auf.
Ich weiss nicht, was die Menschen immer mit diesem Miami Beach haben. Es soll ja zur Art-Zeit im Dezember ein hipper Treffpunkt sein. Im Januar aber ist es eine einzige vulgäre Saufmeile mit einer fleischigen Touristenmasse, die wie eine rosige Herde abgebrühter Mastschweine durch den Sand wabbelt.
Auch wir wabbeln. Immerhin ist das Meer blau und angenehm leer. Das heisst: Kein Mensch geht hinein. Alle lümmeln wie gestrandete Walfische im Sand herum. Also schwadere ich mutterseelenalleine in den Wellen. UND DANN SPÜRE ICH DIESES SCHEUSSLICHE BRENNEN AN ARM, BAUCH UND BEIN.
«HEEEELP! HIIILFE!» Ein Bademeister, strammgetrimmt wie aus dem Film «Der geile Hai», kommt herbeigeschlendert und schüttelt den Zeigefinger: «Gehts noch?! Das Meer ist doch voll mit Quallen!» Sie schütten mir eine scheussliche Flüssigkeit über die roten Striemen. Und mein üppiger Körper sieht aus, als hätte der Blitz in die Weichteile eingeschlagen. Abends setze ich meinen Kopf durch und will zum Abschluss unserer Reise ins «Adlon». Es soll hier die besten Sushis geben. Die Hotelhalle aber hat die Gemütlichkeit einer Geisterbahn und die Sushibar unbequeme Hocker. So schmettern wir notgedrungen in einem italienischen Imbiss einen Teller mit Tomaten-Spaghetti rein. Schon nach dem ersten Bissen kommen mir die Tränen? und das Resthuhn in meinem Magen rebelliert.
«Ich will heim», schniefe ich zu Innocent. Der tätschelt auf meine roten Quallenstriemen, sodass ich das Feuer im Elsass sehe: «Morgen fliegen wir zurück!»? 48 Stunden später fährt uns das Taxi vom Basler Flughafen nach Hause. Beim Anblick des Spalentors knallt der Chauvi aus mir heraus wie der Schaum aus einer Bierdose, die zu lange in der Sonne lag: «Es war eine spannende Zeit? aber die wunderbare Ruhe daheim ist auch nicht zu verachten...» Innocent müffelt: «UND FÜR SO EINEN BILLIGEN ABSCHLUSSKOMMENTAR HABE ICH EIN VERMÖGEN BEZAHLT!» Dann stockt ihm der Atem. Vor dem Hauseingang steht ein riesiges Ungetüm. Der hölzerne Elefant aus Belize ist angekommen. Und mit ihm all die Erinnerungen.
Vom hölzernen Elefanten und Quallen in Miami Beach
Samstag, 14. Mai 2011