Vom Hang nach Luxus und Gutmenschen

«Wir könnten doch in Meran für einmal in diese gemütliche Pension Apfelbaum mit den Arvenzimmern und?»
Das war Innocent. Und mein Blick stoppte ihn mit Notbremsung.
Jedenfalls verhedderte er sich sofort ins Weinerliche: «WESHALB MUSST DU EIGENTLICH IMMER DIE LUXUSSAU RAUSLASSEN? DU SCHLÄFST IN EINEM PENSIONZIMMER GENAUSO GUT WIE AUF FÜNF STERNEN?»
Luxussau? hat er gesagt. Ein Wort, das seiner Familie nie über die Lippen gekommen wäre. Das er aber von meiner kommunen Seite angenommen hat. Und jetzt genüsslich immer wieder ausspuckt.
Mein Hang zu Luxushotels basiert auf dem Stroh. Vater war Hüttenromantiker: Massenlager. Schnarchende Männer links und rechts? streng duftende Socken. Alles im Heu. UND SONST NICHTS LOS!
Das konnte bei mir kein Jauchzen werden.
Mutter hätte wohl das Geld wie auch das Begehren nach Luxus gehabt. Aber sie war die Gute. Oder einfach das, was man heute «GUTMENSCH» nennt. Also fügte sie sich dem Ton der Masse. Und dem Lager. Sie schlief aus Solidarität zur Weltordnung ebenfalls im Heu. Abgesondert im Frauenteil ? wo es übrigens auch nicht besser duftete, als bei den feuchten Männersocken.
BEI MUTTER KONNTE SO EBENFALLS KEINE FREUDE AUFKOMMEN.
Erst als mein Vater dann in politischer Mission nach Peking aufbrach, um im schönen Lande Maos den Kommunismus vorgefüttert zu bekommen, als er dort mit einer seiner Parteifreundinnen in einer Luxussuite abstieg und seiner Gattin als Trösterchen einen Jade-Elefanten als Schlüssel­anhänger heimbrachte, da war dann «genügend Heu unten» (wie der Volksmund so sagt). JETZT WAR ENDLICH FERTIG MIT HEUSCHLAFEN! BESONDERS ALS SICH DER KOSTBARE JADE-ELEFANT AUCH NOCH ALS GESTANZTES MASSEN­SOUVENIR AUS KOREANISCHEM PLASTIK ENTPUPPTE.
Damals hat meine Mutter unsere Koffer gepackt. Und in New York zwei «Waldorf»-Räume bestellt. «Jetzt lassen wirs krachen? hier siehts ja keiner», klopfte sie mir im Flugzeug fröhlich auf die Schultern.
Sie steckte sich eine Zigarette an und streckte die Beine: «? ich habe an der Börse gewonnen!»
BITTE? SO ETWAS KONNTE MAN DAMALS NOCH: Rauchen im Flugzeug? die Beine ­strecken? und an der Börse gewinnen!
Als ich den (allerdings sehr dünnen) Frühstückskaffee aus dem Silberkännchen serviert bekam und der livrierte Kellner (schwarz? mit weissem Dinner-Jacket, was ihm sehr gut stand) mich gar «Mister» nannte, da wusste das Kind: Es ist für fünf Sterne geboren.
Mutter drückte nun doch das Gutherz durch? und sie versuchte zu retten, was noch zu retten war: «Bedenke, dass nicht a l l e Menschen Kaffee im Silberkännchen serviert bekommen? unser Ziel sollte es sein, dass jeder auf dieser Welt seinen Kaffee trinken kann!»
DAS SOLLTE MIR RECHT SEIN.
Die Welt hat auch fest an diesem Ziel gearbeitet. Heute bekommen ja wirklich alle ihren Kaffee serviert? allerdings in diesen gigantisch hässlichen Kunststoffbechern mit dem Deckel drauf. So tragen sie ihr Morgen-Glück ins Büro und hoffen, dass das Gesöff ihnen den Tag macht.
HALLO! HALLO! DAS DANN DOCH NICHT!
Deshalb: «Mein lieber Innocent? wir werden im?Königshof? vorfahren?» Und dann setzte ich einen drauf: «Es ist das einzige Haus an Ort, wo du deinen Grappa im Glas mit dem Eismantel bekommst!»
DA STRECKTE ER SEUFZEND DIE SEGEL?
Der «Königshof» ist ein Haus, in dem schon Sissi aus laubblattdünnen Tässchen chinesischen Tee reingekippt hat (so steht es im Prospekt. UND PROSPEKTE SIND WIE POLITIKER? SIE LÜGEN NIE!).
Die Zukunft ist aus dem alten Kasten wegge­sperrt ? der Gast inhaliert auf Schritt und Tritt die königlich, kaiserliche Vergangenheit. Und manchmal auch ein Wölklein Staub. Aber der Staub ist entschuldigt. Wissen wir doch, dass er direkt aus der Urne vom Kaiser-Vater aufge­stiegen ist.
«Haams die Herren e guate Rais ghobt?», öffnet der Türsteher, der dafür verantwortlich ist, dass nur die alte Zeit das Haus betreten darf, unsere Wagentüre. Schon hält er die Falle unseres alten Polo in den Händen. Das verdammte Ding klickt immer wieder ab. Aber ich weigere mich, ein neues Auto zu fahren, seit Roger Federer einmal während seiner Gewinner-Zeit fünf Minuten auf dem Beifahrersitz gesessen hat.
Archi wedelt etwas verunsichert mit dem Metallgriff, hackt dann aber seine frisch polierten Lederlatschen zusammen und hilft Innocent aus dem Wagen: «?s ist uns a Fraid, Herr Generaldirektor?» Das Wort GENERALDIREKTOR posaunt er laut in Richtung neugierig stehengebliebener Gäste, welche die nouvelarrivés aus diesem miesen Schlitten naserümpfend beäugen.
«Ein Euro genügt nicht!», zische ich zu unserm Freund, der drei Mal zehn, einmal 20 und einmal 50-Cents in Münz zusammenkratzt. Und da ich weiss, dass es ihm das Herz bricht, wenn er in die Noten greifen muss, mache ich einen Fünfer locker, den Archi (wie gesagt: Archibald, der Türsteher) wie ein Zauberer in seinem Ärmel verschwinden lässt. Er quittiert die noble Geste mit einem (ebenfalls dem staunenden Publikum zugewandten) ­lauten: «Jo vergellts Gott, der Herr Professor!»
Ich meine: SILBERKÄNNCHEN UND PROFESSORENTITEL. DAFÜR HABEN WIR GEKÄMPFT!
So waren auch die Kaffeeflecken auf meinen ­Kaki-Shorts, das verschwitzte T-Shirt von H&M sowie Innocents offene Turnschuhe ohne Bändel kein Thema.
Als Innocent nach dem frugalen Abendessen die etwas allzu schwer liegenden «Schlutzkrapfen» jedoch mit einem «Grappa im Eismantel» ertränken wollte, hob der aus östlichem Land importierte Kellner in der etwas allzu grossen cremefarbigen Jacke und den flatternden Totengräberhosen bedauernd die Augenbrauen: «Is nix mit Eis?is kaputt Maschin? is altes Hotel!»
DA EXPLODIERTE INNOCENT. UND SCHRIE NACH VERÄNDERUNG!
So grüssen wir Sie hier alle herzlich aus der Pension Zum Apfelbaum, wo die stämmige Wirtin sich ihre fleischigen Hände an der Schürze abtrocknete und uns laut willkommen hiess: «Na kummts rein, ihr Vaganten?»
Den Frühstückskaffee gibts aus dem Melitta-Glas. Und statt geeisten Grappas serviert das Haus einen «Höllenfurz» aus der Korbflasche.
Ist nicht so das? aber ganz okay.

Dienstag, 1. Oktober 2013