Vom geplatzten Napoleon und der Kostümfrage

Donnerstag - Zu dieser frohen Vorfasnachts-Zeit kommt immer die Gossdüm-Frage.
Und die erste Frage ist stets: Verdammt - wie schreibt man Gossdüm? Goschdym. Costume. Kostüm. Oder Gossdym.
SCHEISSKLEIDER!
SCHEISSRECHTSCHREIBUNG!
SCHEISSRECHTHABER!
Innocent ist letzterer: «Man schreibt?Costume?. Es kommt von?le costume?. Und sag nicht, Du hättest nichts anzuziehen...»
Das wäre die zweite Frage gewesen: Was ziehe ich an?
ICH HABE NICHTS ANZUZIEHEN!
Es entwickelt sich ein Zwiegespräch, das auch nach 38 Jahren inoffiziell und anderthalb Monaten offiziell eingetragener Partnerschaft NICHTS an Frische, Schärfe und Spitzen verloren hat.
IHR LIEBEN: DIE KLEINEN STREITIGKEITEN SIND DIE LETZTE GROSSE LUST ALTERNDER PAARE.
Innocent also vor dem Kellerkasten. Er schaut mich vielsagend an: «UND WAS IST DAS?!»
Das sind alte Kostüme. Pardon: «costumes». Ein Teil stammt noch aus der Zeit meines lieben Vaters, der auf irgend einem Fasnachtswolkentief hockt und nun hämisch grinst, weil ich nicht in seinen Napoleon passe.
Als er Napoleon war, war er noch schlank. Und ritt.
Damals, als die Geschichte mit dem Kostüm passierte, hatte er die Olymper durch die Fasnacht geritten .Und wollte einen «Näppi nach Mass».
Nun gut.
Mein Vater war stolz auf seine Masse. So mussten die Beinkleider hauteng sein. Damit alles, was verborgen war, auch gesehen werden konnte.
Mutter nannte das Napoleon-Gossdüm «die Gockelparade», weil Vater sich damit und darin vor dem Spiegel fotografieren liess. Er konnte kaum atmen. Aber da er ja nur ein Pferd zu zügeln hatte und nicht piccolomässig im Einsatz war, wurde dies als «Bagatelle» abgetan.
Etwas harziger wurde die Sache allerdings, als Napoleon aufs Pferd steigen sollte. Die Bewegungsfreiheit war so eingeschränkt, dass sie meinen Vater wie eine Schaufensterpuppe in den Sattel trugen.
Von höherer Sphäre grüsste er dann huldvoll die Menge. Doch er grüsste nicht lange. Als da nämlich einer seiner Freude am Strassenrand stand, als die Olymper hinten den Whisky Soda brausten und vorne Vaters Pferd ganz anderes brausen liess - wie er also der Schönen im Getöse zuwinkte und sich ein bisschen vom Sattel hob, um grösser zu wirken, (weil er - zumindest was die physische Länge betraf - dem französischen Heeresführer sehr ähnlich sah), wie er sich also aufraffte, da spürte er plötzlich die Enge dieser Welt nicht mehr. Ein herrliches Gefühl von Befreitheit durchströmte seinen Körper. Und die so stilvoll Gegrüsste stierte entsetzt auf Napoleons Hose, die von oben bis unten aus den Nähten geplatzt war.
DER FRANZÖSISCHE KAISER SAH AUS WIE EINE GESCHÄLTE BANANE.
Er wurde sofort abgesetzt. Und provisorisch zugenäht.
Tausend Mal hat Mutter dann dieses Happening an Familientagen und Bridge-Kränzchen ausgeschmückt. Vater ging als «der geplatzte Näppi» in die Geschichte unserer kleinen Welt ein.
Diesen geplatzten Näppi zieht Innocent nun aus dem Kasten: «Und? Ist das nichts? Steig rein!»
Ich stieg.
Und Napoleon platzte wieder - diesmal ohne, dass ein paar Schöne in der Nähe gewesen wären.
(Die Schönen hiessen «Cailler mit Nuss» und waren dem Drama pfundweise vorangegangen.)
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Sonntag - etwa drei Dutzend Kostüme hängen im Kellerkasten. An ihnen wiederum hängt dieser eigenartige Mief von Naphtalin, Kellerhurd und verpfiffenen Fasnachtstagen.
«Du kannst doch wieder mal als Kardinal gehen», versucht Innocent das Sparbudget zu retten.
DAS KANN ICH NATÜRLICH NICHT.
Das habe ich nun drei Jahre lang getan. Und in einer Zeit, wo der neue Papst immer so frisch aussieht, als käme er direkt aus dem deutschen Quelle-Katalog kann unsereins ja nicht als abgetragene Klerikal-Zicke im Offside stehen.
NEIN. MIR IST NACH AUFBRUCH.
«Ich werde als weisse Braut aufkreuzen... ist ja sinnig...» - das war ich.
Ein Blick durchdolcht das arme Kind: «Wenn Du das machst, sind wir noch vor Ostern geschieden!» - das war Innocent.
(Und was mache ich jetzt mit den 80 Metern Tüll? Wolkenvorhänge?)
«Geh als Erdbeben - das wäre eine Charakterrolle», grinst der liebe Mitregistrierte.
WAS KANN DIE WELT VON EINEM, DER DIE DREI SCHÖNSTEN TAGE AUF DEM RIGI VOR HEISSEM FLÜSSIGKÄSE VERBRINGT, SCHON ANDERES ERWARTEN!

Dienstag - Tom, mein fitter Vetter, steht mit einem Stoffbündel unter der Türe: «Ich wollte nur kurz zeigen, was Dein Vorträbler sich heuer an den Ranzen klatschen wird!»
Er hält erschreckend wenig Stoff in den Händen. Ok. Er hat die Grösse seines Patenonkels, des geplatzten Napoleons, geerbt. Da brauchts nicht viel Material.
Aber drei Minuten später steht er in hautenger Strumpfhose da. Die an Stahlmaschinen übertrainierten Beine sehen darin aus wie Parmaschinken in Trauer.
Auch hier wird mehr gezeigt, als verdeckt. Und: «Ich bin der neue Spider-Man-Bond 07. Was sagst Du?»
Nun ja - die Nähte beben schon...

Donnerstag, 15. Februar 2007