Freitag - Als Hannchen die drei Falten unter dem rechten Auge zum ersten Mal sah, fiel sie in eine Depression. Sie verschlang schluchzend drei Lagen Mozart-Kugeln, eine Packung Kraft-Scheibletten mit Majo beschmiert sowie den Inhalt einer Kondensmilchtube, die sie in verzweifelter Gier so hitzig aussaugte, dass sich ein Vakuum bildete und die Zungenspitze nur mit energischem Rütteln von der Tubenöffnung befreit werden konnte.
Von Weinkrämpfen durchgeschüttelt, hing sich Hannchen ans Telefon. Sie wählte die Nummer von Eva: «Esss issst so weit», schnüffelte sie, «issss bin ein Frrrrack...»
«Der Eiercognac», dachte Eva als Erstes, «sie hat wieder ins Elend gesoffen.»
Seit Hannchen auch von ihrem dritten Mann verlassen wurde, weil der plötzlich die Spur wechselte und mit seinem «personal Fitness Trainer» abgehauen war (nicht nur um zu joggen), griff die Ärmste noch gieriger zum Eiercognac.
«Ich bin topfnüchtern» - bellte nun Hannchen gekränkt in den Hörer. Aber ich habe drei Falten gesehen. DIREKT UNTER DEM RECHTEN AUGE. Du kennst doch Doktor Mabuso mit diesen Wunderspritzen und...»
«NEIN», sagte Eva heftig. «DAS MACHST DU NICHT!» Du bist keine dieser dummen Zicken, die Lippen und Busen wie Airbags aufblasen lassen. Du wirst auch keine Klinikschwestern tyrannisieren und dann aussehen wie deine eigene Puppe aus Hartplastik. NEIN. DU STEHST ZU DEINEM ALTER. DU STEHST ZU DEINEN FALTEN - SIE SIND DAS RESULTAT VON REIFE UND CHARAKTER!»
«Mein Charakter befindet sich nicht unter dem rechten Auge», brüllte nun Hannchen hysterisch und drückte ihr Handy energisch auf «AUS».
Dann strich sie sich nochmals eine Scheiblette mit Mayo. Und wählte die Nummer von Doktor Mabuso.
Sonntag - Als ich Hannchen erstmals besuchte, befand sich weder jemand im Zimmer noch im Spitalbett. Auf dem Stuhl am Fenster hatte sich eine Tonnage von Verbänden und Gazefetzen getürmt. VON HANNCHEN JEDOCH KEINE SPUR.
Ich schälte mein Erika-Stöckchen aus dem Cellophan, als das Ungetüm von Verbandstoff sich plötzlich zu bewegen begann. Dumpf tönte es hinter dem Mull: «Ich hasse Erika... ich hasse die ganze Welt... ich hasse dich!»
Zwei grüne Augen funkelten aus weisser Gaze hervor. VOM VERNEBELTEN BLICK HER MUSSTEN SIE ZU HANNCHEN GEHÖREN.
«Ach Hannchen», flüsterte ich gerührt und breitete die Arme aus - «Fass mich nicht an. Sonst platzt alles!», hornte die Mumie in Weiss. Und: «Hast du zufällig Kraft-Scheibletten dabei»?
Zufällig hatte ich nicht.
«Egal», seufzte der Mull, «ich wollte nur mal daran riechen. Essen kann ich in dieser Bandage eh nicht. Sie haben mir den totalen Service gemacht. Von Arsch bis Zeh... ich werde frühstens in zehn Tagen entwickelt...»
«Ich dachte, du wolltest nur die drei Fältchen...», räusperte ich mich vorsichtig.
«Ach du dummer Dussel», knurrte nun der Stuhl mit dem Verbandstoff drauf, «natürlich waren da diese drei Fältchen - aber Doktor Mabuso hat mich dann auf mein Kinn aufmerksam gemacht. HAST DU JE BEMERKT, DASS ES DREI GEWORDEN SIND? Dann gings zu den zwei kritischen B: Busen und Bauch - die sollten auch! Und wenn wir schon mal dran waren: Meine Pobacken wackelten aus der Norm. Vielleicht wäre Hubsi nicht mit dem Fitnesstrainer abgehauen, wenn hier...»
Hubsi ist Hubert, ihr dritter Ex. Und das mit den Pobacken ist wieder mal diese typisch weitverbreitete Hetero-Falschmeinung über Liebespraktiken der andern Art.
«Hubsis Fitnesstrainer trinkt Spinatsaft statt Eiercognac», giftelte ich «vielleicht könnte das der Grund gewesen sein.»
Dann packte ich das Erika-Stöckchen wieder ein: «Wenn dus nicht schätzt, kommts eben zu Grosstante Nelly aufs Grab», hüstelte ich verschnupft, weil mein Blumengruss bei der Bandagierten nicht auf das verdiente Halleluja stiess.
«Nelly hats wenigstens hinter sich», brummte der Mull. Dann begann das Bandagepaket plötzlich wohlig zu zittern: «Du solltest Mabuse sehen - ein Knackityp! Traumschön. Ich werde ihn mal zum Tee einladen, wenn bei mir wieder alles straff und tough ist...»
«Tu das!», sagte ich gereizt. Und meldete Nelly, als ich ihr das Erika-Stöckchen vor die «Hier ruht in Frieden»-Platte wuchtete: «Hannchen gehts gut. Sie sieht zwar noch aus wie Nofretete 3000 Jahre nach der letzten Reise. Aber sie wirds packen. Und den Mabuse packt sie auch...»
«So war sie immer!», stieg eine Stimme dumpf aus dem Grab. Und dann: «... ich hasse übrigens Erika!»
Freitag - Als ich Hannchen nach vier Wochen erstmals besuchte, war ich so neugierig wie auf ein neues Hotelzimmer: Wie siehts aus für den Preis?! Und: Kann sie noch lachen?
Das Resultat war wohl falten- und makellos, allerdings noch ein bisschen angeschwollen. Ich knübelte die Orchideenrispe aus dem Papier - Hannchen nickte huldvoll: «Na also!»
«... und Doktor Mabuso?» «Ach der», wischte Hannchen ihren Straffschrauber mit einer energischen Handbewegung unter den Tisch, «der ist mit Hubsis Fitnesstrainer abgehauen. Als die beiden mich besucht haben, funkte es zwischen dem Spinatsaftsäufer und der Silikonspritze wie in einem Kohlenkraftwerk... Na ja - jetzt ist Hubsi wieder bei mir eingezogen...» Eine scheissnormale Beziehungskiste also. Als ob man die nicht auch ohne Schrauben haben könnte.
«Ich war bei Grosstante Nelly auf dem Grab», wechselte ich das Thema.
Hannchen blickte miesgrämig: «Ach die. Die hat mich nie gemocht. Und Erikas übrigens auch nicht...» Sie verzog mühsam grinsend die aufgespritzten Lippen. Da wusste ich, dass es bei Hannchen nichts mehr zu lachen gab.