Vom Fluch des Handys und dem italienischen Autobahnpolizisten

Der Polizist schaut mich streng an: «Führer­ausweis!» Eigentlich sieht er nett aus. Der Polizist. Nicht der Führerausweis.
Natürlich geben Uniformen immer etwas her. Da lasse ich mich nicht blenden. Es gibt ja Männer, die können nur in Militärkluft mit Stiefeln und so ? aber da erzähle ich Ihnen nichts Neues.
Der Polizist hier war mehr als Alltag ? wirklich heiss. Schnauzer. Und Augen wie der Himmel über der Arktis: graublau. Und eine eisige Ausstrahlung.
«Sie wissen, dass ich Ihnen den jetzt wegnehmen muss?» ? Er wedelt mit meinem Ausweis, als gelte es tausend Mücken zu verjagen.
O Gott ? EIN BRUTALO! EINER, DER GANZ ­WÜSTES MACHT! GELEBTER SADISMUS DER HANDSCHELLEN-ART!
Ich kenne meine Rolle. Schlage devot die Augen nieder, wie mir das meine Freundin Catherine beim Besuch von wild lebenden Gorillas bei­gebracht hat. Und entdecke so auf meinem Kittelrevers ? SCHOTTISCHER KASCHMIR! ? einen Eierfleck. (Das war das Frühstück. Ich wollte eigentlich gar kein Rührei. Aber die rührende ­Pensionsinhaberin in Bologna hats mir auf­geschwatzt. Und dann ist es mir wohl von der Gabel gefallen, als ein älterer Herr, der das ­Zimmer neben mir bewohnte, fröhlich auf meinen Rücken klopfte: «JA HIMMEL ? SIE HABEN ABER EINEN LAUTEN SCHLAF. SIE HABEN SICH BIS ZU MIR DURCHGESÄGT!» )
Der Polizist baut sich nun wichtigtuerisch auf: «Sie stehen mitten auf der Notfallspur. Sie wissen, dass man hier weder fahren noch stehen darf?»
DIE ITALIENER!
Sie haben für Notfälle eine Autobahnspur gebaut. Und wollen die immer leer haben. NUR DAMIT DIE POLIZEI UNGESTÖRT DARAUF RUMBLOCHEN KANN.
«Es ist ein Notfall», flüstere ich.
Der Uniformierte lacht höhnisch: «Das sagen alle!»
Also ? es kam so: Ich fuhr in angemessenem ­benzinsparendem Tempo in Richtung Piacenza. Und da düdelte mein Handy in der Reisetasche.
Die Reisetasche sass auf dem Beifahrersitz. Das MUSS so sein. Denn erstens sind in der Tasche immer vier, fünf Schokoriegel für den Ernstfall geparkt. Zweitens: die kleinen Lutschtabletten gegen Magenübersäuerung, wenn der Ernstfall eingetreten ist und die Schokoladenstängel in meinen Magenwänden ein Feuerwerk zünden. Drittens: Kleenex- Tüchlein, Feuchttüchlein, ­Sonnenbrille. UND EBEN DAS HANDY.
Nun bin ich nicht der handlige Handy-Typ. IM GEGENTEIL. Mir geht diese Telefoniererei eh auf die Eier. Wenn ich heute irgendwo bedient werden möchte, schauen mich die Verkäuferinnen oder Kellner strafend an: Sie halten so ein ­Kleinding am Ohr und ich habe sie beim Austausch irgendwelcher Witze gestört. Oder beim Handy-Flirt. Oder bei «Mammi, könntest du mal schauen, ob ich die Herdplatte mit dem Sugo drauf abgestellt habe?»
Früher erzählte man einander die Witze am Stammtisch. Flirtete beim Cha-Cha-Cha. Und liess die Küchen runterbrennen.
Da fand das Privatleben erst nach Ladenschluss statt. Heute begleitet dich der Alltag der andern von Schritt zu Schritt, von Ohr zu Ohr ? du wirst 24 Stunden nonstop Zeuge vom Chaos deines unbekannten Nächsten. Ja, es scheint, dass das Leben der Menschen eh nur noch via Kleinst­apparate und Knopf im Ohr gelebt werden kann ? jedenfalls laufen sie dir reihenweise wie die Schafe vor das Auto, den Blick stur aufs SMS gerichtet.
Mein lieber Freund Innocent hat als Elektronik-­Freak natürlich immer die allerneusten Modelle. Er will mich seit Jahren ebenfalls auf solche heiss machen. Er, der Ariels Seifenpulver für die Wasch­maschine mit dem Espresso­löffel abmisst, lässt es im Bereich der Elektronik ­krachen. Immer wieder schleppt er Neues an. Auf ­seinem Kleinstapparat kann ich parallel die Tagesschau von zwölf Sendern sehen. ABER MUSS ICH DAS TRISTE DIESER WELT IMMER BEI MIR TRAGEN?
Ich sage NEIN. NEIN. UND NOCHMALS NEIN. Ich ­verweigere mich dem Trend. Und habe noch immer dieses alte Modell, das man «den ­Knochen» nennt. Es düdelt ­ziemlich unschön und hat kein ­eingebautes Fernsehprogramm.
UND EBENDIESER KNOCHEN HAT IN MEINER REISETASCHE ­GEJAMMERT! Da man aber am Steuer nicht telefonieren soll, fahre ich in die rechte Spur. Halte an. Und habe ­Innocent am Apparat. Er ist verärgert: «Keine einzige Flasche Olivenöl im Haus!»
Das war der Notfall. Und weil seine Freundin Gisèle den Salat nur mit ­Olivenöl verdaut, wars auch einer.
Natürlich kann ich das dem ­Lederstiefel-Baron so nicht ­verkaufen. Ich halte ihm einfach wortlos meinen alten Handy-­Knochen hin. UND SIEHE DA ? seine eisigen Augen ­zeigen ­Bestürzung. Bedauern. Er stiert ­fassungslos auf meinen abgegriffenen ­Apparat. Und fast hätte er mir mit ­tränenden Augen über den Kopf gestreichelt.
Er belässt es aber mit einem: «DASS ES DAS NOCH GIBT. DAS IST TATSÄCHLICH EIN NOTFALL! SIGNORE, HABEN SIE DENN NOCH EMPFANG DAMIT?»
Er zeigt mir seinen Apparat. Auf dem Kleinstbildschirm des iPhones läuft ein Skirennen.
Wir freuen uns beide über den ­Slalomsieg des Italieners. Dann ­tauschen wir die Handy-Nummern aus. Und ich darf weiterfahren.
Bei Mailand kam mir in den Sinn, dass noch eine Flasche Olivenöl im Keller ist.
Das habe ich Innocent dann zu Hause gesagt. Doch da sass Gisèle bereits seit zwei Stunden ­durch­fallend auf dem Klo. Mein Freund tobte. «Im Keller? ­Weshalb rufst du nicht an? Wozu gibts denn Mobiltelefone?»
Es gibt Wichtigeres als ein Handy ? zum Beispiel sofort den Eierfleck auf dem Kaschmir zu entfernen!

Sonntag, 3. Februar 2013