Donnerstag «Vieni con me!»? sülzte Luigi. Dann gab er das Mass aller Dinge an: COSÌ!
Seine beiden Zeigefinger zeigten einen Abstand von gut 80 Zentimetern. Und jede Tusse würde hier sofort rennen? NICHT ICH!
Denn erstens sind die Massangaben der Inselfischer genauso mit Vorsicht zu geniessen wie die Preisvergleiche einer Konsumtante. Und zweitens ist das «vieni con me!» mit einer Schaukelparty sowie viel Tranigem verbunden.
Ganz ehrlich: Ich mag Luigi. Aber wo andere Männer nach Versace 69 oder Hermès pour Hommes duften, weht bei ihm stets ein Hauch von Merluzzo und vergessenem Scampischwanz.
Dazu säuft er. GRAPPA. Vom billigsten Schnitt. Dieses Laster verbindet sich auf saumässige Art mit dem Rauch seiner Toscanini. Die knorrigen Stumpen in der Farbe eingetrockneten Kuhmists stinken, dass Gott erbarm.
Luigi kaut die Zigarren zu Pappe, wobei er den Stängel von einem Mundwinkel zum anderen balanciert. Braune Säfte tropfen in langen Fäden auf sein Matrosenshirt, so dass dieses immer aussieht, als wäre gerade ein Jauchewagen darüber ausgekippt.
Innocent stupft mich in die Seite und zischt. «Sei nicht so zickig? natürlich gehst du mit Luigi aufs Schiff. Wir angeln hier den Fisch zum halben Preis!»
Und dann: «Weisst du, was Fische kosten?!»
Ich weiss es. Fische werden auf unserer Insel so teuer gehandelt wie dieses japanische Rindfleisch, das die Bauern im Land der Madame Butterfly täglich noch von einem Starmasseur kneten lassen. Ich meine: Für eine hundskommune Kabeljauschnitte, die unsere Mütter einst mit viel Zwiebeln und noch mehr Gestank im Öl verbraten haben, für einen kleinen Happen Merluzzo also legst du hier so viel hin wie eine achtköpfige Familie für ihr Sonntagessen im «Ritz».
«Vielleicht kannst du ihm auch ein paar Scampi abluchsen», raunt nun Innocent verschwörerisch.
Scampi sind seit Wochen das Dauerthema an unserem Tisch. Als unser lieber Freund bei seiner Fischfrau Raffaela ahnungslos ein Kilo dieser Langschwanz-Langustchen abwägen liess und dafür dann sageundschreibe hätte 110 Euro hinblättern sollen, hatten wir alle Mühe, den Ärmsten aus seiner Ohnmacht wieder ins Leben zurückzubringen.
Natürlich sind Scampi nun ein für alle Mal gestrichen. Es gibt Sardinen. Doch thematisch tischt Innocent die Scampi bei jeder Einladung auf. «Wisst ihr, was die heute für so etwas verlangen...», legt er dann los, während unseren Gästen die Sardinengräten im Halse stecken bleiben. Luigi zeigt noch einmal mit Augenzwinkern seine 80 Zentimeter: «Na? kann ich dich damit nicht heiss machen?»
Na ja? wenn dieses Heisse nur nicht auf dem Meer wäre. Die Schaukelei auf einem Schiff kurbelt mich nämlich total durch. Als wir damals nach Sardinien fuhren und ich darauf bestand, dass Innocent mir die Präsidentensuite auf dem Kahn buchte, da sah ich die Zimmerflut nur gerade für den Moment, als uns der Cameriere die hohle Hand entgegenstreckte: «Dort ist das Bad? und wenn es Ihnen übel ist, bitte sofort aufs Deck!»
Kaum hatten wir seine Hand mit Lirescheinchen gesalbt, wurde mir mulmig. Es reichte eben noch zur Reling. Und dort hing ich dann von Genua bis Olbia, würgte mich mit herzerbarmenden Geräuschen aus, während Innocent wie eine hysterische Glugge um mich herumflatterte. «... und dafür habe ich also die Präsidentensuite buchen müssen... ja hats dich denn... so kotz wenigstens das teure Bett voll!»
Nun gut? ich will nicht verhehlen, dass ich auf Luigi und seinen 80-Zentimeter-Scampischwanz scharf war. Aber schon als das Fischerboot morgens nach drei Uhr lostuckerte, begrüsste mich das Meer mit klatschnassen Ohrfeigen. Nach zehn Minuten war ich kalkweiss. Nach einer halben Stunde algengrün. Und schon gings los.
Natürlich kümmerte sich keine Sau um den schwer Geprüften, der sich da bei jeder Welle mit wimmerndem Jaulen zu den Fischen beugte. Nicht etwa, dass die Kerle mit Fischfang beschäftigt gewesen wären. Auf diesem Boot waren nur Schluckspechte, die mir hin und wieder von ihrem Fusel entgegenstreckten. «Sauf es runter? das hilft!» Aber schon beim Anblick des vollen Wasserglases kam alles wieder hoch? und «uahhhhhhh!».
Ich weiss bis heute nicht, wie diese Völleriche neben ihrer Sauferei noch zum Fischen gekommen sind. Aber plötzlich zuckelten da Hunderte von Sardinen im Boot und wurden vor meinen weit aufgerissenen Augen filetiert. Sie kamen in Styroporkisten und massen mit Kopf und Schwanz kaum 25 Zentimeter.
Immerhin? in all dem silbrig zuckenden Durcheinander funkelte plötzlich auch etwas in rosiger Farbe. Und obwohl mein Magen noch immer rumging wie Leintücher im Turbo-Waschgang, schnappte ich mir dieses kostbare Stück Scampo. Und schaute Luigi triumphierend an: «Der ist für mich? wo sind übrigens die 80-Zentimeter-Exemplare?»
Er zeigte grinsend auf die Grappa-Flasche: «Hier? 80 Zentimeter lang und gefüllt mit Hochprozentigem. Das ist das Schönste am Fischen!» Zu Hause hat Innocent für den einzelnen Scampo den Grill angeworfen und die Kostbarkeit vorsichtig mit Prezzemolo und Knoblauch gewürzt. Dabei hat er eine riesige Oper um das arme Tier gemacht und dessen Grammgewicht ausgerechnet. «Für den würden wir gut und gerne neun Euro hinblättern... ». Anna-Maria hielt mit ihrer Putzerei inne. Und rümpfte die Nase: «Das ist überhaupt kein Scampo, das ist eine Spernocchia. So etwas fressen nicht einmal die Katzen!» Ich will nicht hadern? aber auch mit Sardinen ist für eine Zeit lang Schluss!
Vom Fischfang mit Grappa und einem 80-Zentimeter-Schwanz
Donnerstag, 19. Juni 2008