Vom Fenchel im Januar und der Grappa-Lösung

Innocent linst über den «Tirreno».
Der «Tirreno» ist die Ortszeitung dieser Insel.
Im Gegensatz zu den Fischen, die am Aussterben sind, überlebt hier die lokale Zeitung wunderbar. Das tut sie vor allem wegen des Sports. Und der Seite, die man hierzulande «Cronaca» nennt.
Cronaca ist das, was mir meine Putzfrauen jeden Tag brühfrisch vom Hafenort servieren: «Wussten Sie schon, Signore?» Dann berichtet sie mir, dass der Bürgermeister in einem grünen Latex-Anzug in einem Pornonest aufgegriffen worden sei..., dass der Pfarrer mit der «Kasse des Erlösers» Lotto gespielt habe..., dass ein Metzger seinen Vater mit einem Schlachtbeil ins Jenseits beförderte.
Kurz: Ihr wisst nun, was «Cronaca» bedeutet.
Aber ich bin wieder mal vom Thema weggeeiert. Das Thema ist die Lokalzeitung, die Innocent jeden Morgen liest. Dies, obwohl er ausser «troppo caro» und «vino della casa» kein Wort Italienisch kann.
Er räuspert sich (was nie ein positives Zeichen ist): «Hast du acht Kilo Fenchel bestellt?» Ich sage nichts und mache auf schwerhörig? eine Art von Alterserscheinung, die Innocent nicht unbekannt sein dürfte. Wieder Geräusper: «ICH FRAGE DICH, WAS ACHT KILO FENCHEL FÜR ZWEI MENSCHEN, VON DENEN EINER FENCHEL NOCH NIE GEMOCHT HAT, SOLLEN?» Ich erwache aus meiner Schwerhörigkeit: «Fenchel ist sehr gesund. Ämmel gescheiter als diese drei fetten Mettwürste, die du aus Basel mitgeschleppt hast!» Gefährliches Räuspern: «Ich liebe Mettwurst. Aber ich hasse Fenchel. Hast du eine Erklärung?» Die Erklärung ist Gianni. Da uns über die Festtage immer wieder Maria und Hugo Mozzarella auf der Insel besuchen, musste frischer Fenchel her. Maria liebt ihn nur leicht blanchiert. Sie sagt, er tue ihrer Aura gut. Hugo isst ihn roh gegen saures Aufstossen. Da wollte ich dienlich sein. Und gab Gianni im Oktober den Auftrag: «Wir sollten im Januar frischen Fenchel im Garten haben. Ist das möglich?!» Es war.
Aber Gianni ist nun mal nicht der Gärtner, der halbe Sachen macht. Da er nun schon mal das untere Feld mit dem Traktor umackern musste, hat er in die Vollen gegriffen. Und? sagen wirs mal so? mit grosser Hand angerichtet.
Die acht Kilo, die Innocent den Gong geben, sind nämlich nur die Ouvertüre zur Oper. Auf dem Feld warten etwa vier Zentner von den weissen Knollen mit dem blassgrünen Kopfputz.
Ich finde ja Fenchel mit seinem zarten Stengelgrün so etwas von schön und tuntig? sicherlich ist es das tuntigste Gemüse neben dem lila Spargel und der violetten Eierfrucht im Gartenparadies unseres Schöpfers. Und nicht umsonst rufen die Machos unter den Italienern jeder Tucke «finocchio» nach, was so viel wie «du heisser Fenchel» heisst.

Osterklee. Unser Feld ist also ein Meer an lindengrünen, zarten Finocchio-Stauden. Da das Weitsichtvermögen unseres Freundes Innocent jedoch parallel zu seiner Lauscherstärke rapide abgenommen hat, taxierte dieser die grüne Pracht als eine Art von frühem Osterklee. Er hatte keinen blassen Schimmer, was da unter dem Grün steckte. UND NUN KRIEGT ER SICH NICHT MEHR EIN: «WAS HEISST DAS, EIN FENCHELFELD!? ICH WILL KEIN FENCHELFELD... Wenn Hugo Mozarella sich durch den Fenchel beissen will, soll er sich ein Viererpäckchen im Supermarkt kaufen. Und...»
Ich hole die Grappa-Flasche. Normalerweise beruhigt ihn das: «Es geht um die Aura... darum, den Fenchel frisch aus dem Boden zupfen zu können. Wir leben hier mitten auf dem Land. Das müssen wir doch nutzen.» Innocent schenkt sich hastig ein Glas voll vom Feuerwasser ein. Dann in Panik: «WAS HAST DU SONST NOCH ANPFLANZEN LASSEN?» Ich spiele die 25 Fruchtbäume und die drei Beete mit Kopfsalat wohlweislich herunter: «Ach, nur ein bisschen Obst... und zwei, drei Salätlein! Es gibt doch nichts Schöneres als so einen frisch geschnittenen Wintersalat!»
«DA SIND EIN PFUND RAUPEN DRAN ODER KÄFER. MIR IST DER SALAT VON BETTY BOSSI LIEBER. DER IST SCHON GEPUTZT.»
«Es geht um die Aura!», versuche ich noch einmal das Schöne der Natur einzubringen. Aber Innocent, der einen Schluck vom Grappa runtergestürzt hat, schüttelt sich wie ein Hund nach dem Schlammbad: «UMHIMMELSWILLEN? DIESER GRAPPA SCHMECKT JA ENTSETZLICH!»
O.k. Ich habe ihn ein bisschen aufgewässert, weil mir sein Arzt gesagt hat, dass Innocent nichts Hochprozentiges mehr trinken sollte. «Ja spinnst du denn? das war ein Grappa von Sassicaia! Und du schüttest einfach Wasser dran.»

Gesöff. Ich bringe die weinerliche «Hab dich doch lieb»-Tour: «Ich will ja nur dein Bestes... Ich habe Angst um deine Gesundheit..., ich...»
«UND ICH HABE ANGST UM DEINEN VERSTAND», knurrt er. Immerhin ist er doch gerührt. Er wischt sich die Augen und behauptet aber, die Tränen kämen von diesem gotteslästerlichen Gesöff. Abends nimmt er Gianni ins Gebet: «Wenn man dir den Auftrag gibt, zwei, drei Fenchel zu pflanzen, so sind damit nicht fünf Äcker gemeint! Was machen wir mit so viel Gemüse und...»
Gianni klopft sich den Schollendreck von der Hose: «Wir könnten den Fenchel zu Grappa brennen... Das ist eine toskanische Spezialität... Mein Bruder hat einen Brennofen und...»
DIE HOCHPROZENTIGE GRAPPA-LÖSUNG!
Morgen wird geerntet.
In unserm Hof stehen 200 leere Schnapsflaschen. Ein Ungetüm mit tausend Röhren. Und ein weisser Berg voller Fenchelknollen, denen diese Barbaren den zartlindigen Kopfputz wegrasiert haben.
Innocent ist «molto allegro», um es musikalisch im Finale dieser Fenchel-Oper auszudrücken: «Ich lasse mir von Myrha ein Etikett entwerfen? INNOCENTS BELLO FINOCCHIO!» Wie gesagt: Italienisch ist nicht seine Stärke. Die Frage ist nur noch: Was mache ich mit den 280 Kopfsalaten «und immer einem Pfund Raupen dran!»?

Samstag, 22. Januar 2011