Vom ewigen Stunk mit Weibern

Von der Pasta Norma, die zu Sizilien gehört wie die Marzipan-Oliven oder dieser gesalzene Ricotta, der dir die Tränen in die Augen jagt? also von der Pasta Norma habe ich euch doch erzählt?
Gut.
Aber nicht von den Pachino-Tomaten. Sie gehören nämlich ebenfalls zu Sizilien, so wie Marlon Brando zur Mafia (im Film, ihr Lieben, im Film!) oder der lindengrünliche Zuckerguss über die abgesäbelten Biscuit-Brüstchen der heiligen Agatha (nicht im Film? in der sizilianischen Pasticceria!).
«Ich möchte diesen heiligen Ort besuchen, wo Italiens beste Tomaten ihren Duft verströmen?», erklärte ich am Mittagstisch, als Nonna Adele diese glänzend frittierten Auberginen im goldbraunen Eiermantel mit Minzenblättern servierte. «Sehr weise!»? nickte die Nonna. «Ohne Pachino-Tomaten geht in Siziliens Küchen gar nix!»
«Das ist doch ein verfressenes Schwein!», grinste Lucia, das Betthupferl meines Freundes Umberto applausheischend zu ihrem Freudenschwengel.
«Du denkst echt nur an deine Gelüste!», seufzte der Verräter zu mir. Und Lucia, diese giftige ­Natter, saftlos wie ein abgelutschter Pflaumenstein, nickte glücklich: «Dabei ist er doch schon so fett...!»
Da ich weiss, dass sizilianische Männer nicht auf abgelutschte Pflaumensteine stehen, sondern im puddingweichen Runden ihr Glück finden, kann ich mir ein überlegenes Lächeln leisten. Ich streichle meinen Bauch. Und sage: «Wer hat, der hat!»
Die Stimmung ist gereizt. Und Lucia schmollt. Umberto fährt nämlich einen Egoisten-Karren. IN DIESEM CABRIO-ZWEISITZER IST KEIN PLATZ FÜR GIFTIGE PFLAUMENSTEINE! Die Kotz-Kuh muss also zu Hause bleiben.
GEPRIESEN SEI E R IN SEINER GÜTE? NIRGENDS IST DER ALLMÄCHTIGE GERECHTER ALS AUF SIZILIEN!
Umberto jagt die Küstenstrasse entlang. Der Wind fegt meine letzten paar Haare wild durcheinander. Und Umberto fegt noch Windigeres nach. «Du solltest Lucia nicht immer ärgern. Sie verdient Respekt. Sie ist meine Verlobte!»
«Ich mag den Zahnstocher nicht!»
«Aber ich werde sie heiraten. Das ist abgemacht. Sizilien ist nicht wie der Norden!»
Ich weiss, dass Umberto nach der Heirat todunglücklich sein wird. Tausendmal haben wir das durchgekaut. MAN HEIRATET HEUTE NICHT MEHR AUS «WAS SAGEN SONST DIE ANDERN?!»-GRÜNDEN.
Tausendmal dieselbe Antwort. «Das verstehst du nicht. Du lebst nicht hier. Hier ist die Mentalität anders?»
Nein. Ich schnalle das wirklich nicht. Es sollte doch jeder so leben und lieben können, wie er will. Auch auf Sizilien.
«? und für den Zahnstocher ist das ja auch nicht lustig!»
Abrupter Stopp, sodass mir die Sonnenbrille (Gucci) von der Birne hüpft: «ICH BIN EIN ­RICHTIGER MANN. ICH KANN JEDE FRAU ­HUNDERT MAL BEFRIEDIGEN!»
Ach ja? Ist dies die Lösung? Ein befriedigter Zahnstocher?
Ich sage nichts mehr. Und wir kommen nach Noto, diesem wunderschönen Barock-Örtchen, das ich jedem Fan von barocken Kirchtürmen und ­eiskaltklirrender Granita aus Mandelmilch nur empfehlen kann: von beidem das Beste!
Ich möchte mir das winzige, prächtige Theater anschauen? eine sizilianische Mailänder Scala im Taschenformat. Alles aus dem frühen Jugendstil: Königslogen, viel Samt und eine hutschachtelgrosse Bühne, auf der die grosse Tina di Lorenzo als dramatische Schauspielerin ihr Debüt gab.
Ein altes Jugendstil-Plakat, das auf einen Schauspiel-Abend der Lorenzo anno 1880 hinweist, klebt am Eingang.
«Wenn Sie das teurere Ticket nehmen, können Sie noch den Spiegelsaal im Regierungsgebäude besuchen», näselt die geschäftstüchtige Kassiererin.
«Ich will Tomaten aus Pachino sehen», gebe ich zurück.
«Emmbe?», sagt sie nur. Aber das tönt so ungefähr, wie wenn der Zahnstocher bellt.
Im Parkett des Kleinods knipst eine etwas zu hoch gewachsene Amerikanerin wild mit ihrem iPhone herum. Sie streckt mir ihren Telefonapparat hin: «Could you please??»? Dann posiert sie sich vor der Bühne mit dem geschlossenen, roten Samtvorhang.
Die gut zwei Meter lange Lady bleckt ihre Implantate zurecht. Die zweite Schaufel links ist mit etwas Lippenstift verschmiert.
Ich sage nichts. Drücke ab. Und freue mich, dass sie sich ein Leben lang über den leicht rötlichen Zahn ärgern wird.
«Weshalb gibst du bei Frauen eigentlich immer gerne den Kotzbrocken?», knurrt Umberto.
«Ich l i e b e Frauen», schleime ich, «besonders Nonna Adele, weil sie so gute Pasta Norma kochen kann?»
Und dann setze ich noch ein kleines Crescendo drauf: «Und die Frauen lieben m i c h?» Dramatische Kunstpause. «? ohne dass ich sie gleich ­heiraten muss!»
«DAS IST ETWAS GANZ ANDERES?!», fauchte Umberto.
«Psssst», fistelt die Kassenfrau (die mit dem Billett für den Spiegelsaal) jetzt total ohne nasalen Ton genervt in der hintersten Reihe. Sie legte wie das Kindergartenfräulein den Zeigefinger auf die Lippen: «Psssst? das hier ist ein historisches Monument und nicht der Marktplatz!»
«Na, dann wollen wir mal zu den Tomaten», posaune ich. Und hake bissig nach: «Wenn hier schon die Gurken Stunk machen!».
In diesem Moment kam die hohe Amerikanerin auf mich zugesegelt. «Oh dear?».
Sie streckte mir ihr schreckliches Phone mit meinem noch schrecklicheren Bild hin. Der rote Zahn blinkte wie ein Stopp-Signal an der 5th Avenue aus ihrem Gesicht. «I am so sorry? but could you once more?»? sie hatte sich jetzt ihre Kachel tatsächlich blankgerubbelt. Und strahlte mich so liebevoll an, dass ich nicht anders konnte. Und sie erneut fotografierte.
«Na also? du kannst doch auch zu Ladys nett sein», freute sich Umberto, als wir das Theater verliessen, um auf die Tomaten-Felder ins benachbarte Pachino zu brettern.
Ich lächelte. Und sagte nicht, dass ich den Kopf der Langlatten-Lady etwas verwackelt hatte?

Dienstag, 19. November 2013