Vom ewigen Strassenbau und Brombeerkonfitüre

Nirgendwo auf der schönen Welt verlochen sie so viel Geld in die Strassenbauerei wie in Basel. DIESE LÖCHER LÖCHERN MICH. Vor meinem Lieblingscafé an der Allschwilerstrasse rattern seit etwa einem Jahr die Baumaschinen. GELEISEARBEITEN!
Der Cappuccinoschaum tanzt von den Tassen. Die Espressolöffel klingeln ohne Unterlass. Und die herrlichen Schokoladenkuchen sind immer mit einem Hauch von Staub überzuckert.
ABER ICH MEINE: WESHALB BRAUCHEN SIE HIER FÜR EIN STÜCKLEIN STRASSE MONATE, JAHRE?
In Rom wohne ich mitten im Centro storico. Würde hier eine Baustelle länger als 72 Stunden dauern, kann die Familie den Bauleiter gleich beerdigen. DA VERSTEHEN DIE RÖMER KEINEN SPASS. Bei Behinderungen durch Strassenbau werden sie rabiat. Sie schmeissen mit den herumliegenden Pflastersteinen. Und sie tun in ihrer Rage all dies, was sie mit Berlusconi schon lange tun sollten: SIE PROTESTIEREN LAUTHALS!
Der Alimentari-Händler tobt, weil die Leute seine Mortadella-Panini nicht mehr kaufen... die Weinhandlung schmeisst mit Flaschen, weil die etwas bequem gelagerten Römer den Umweg von vier Metern nicht auf sich nehmen, um ihren Frascati einzukaufen. Und der Coiffeur steht drohend mit dem Rasiermesser vor der Türe. Er brüllt, dass er den Strassenarbeitern persönlich die Eier abschneiden werde, wenn diese Sauerei nicht innert dreissig Minuten aufhöre...
Das Resultat: Keiner will abrasierte Eier. Also arbeiten die römischen Strassenbauer ohne Unterlass. 24 STUNDEN NONSTOP. Nach spätestens drei erbaulichen Tagen und Nächten ist das Kopfsteinpflaster wieder zu. Der Alltag normal. Und der Coiffeurmeister so beruhigt, dass er nur noch Bärte abrasiert.
BEI UNS?? WOCHEN, MONATE. BAUSTELLEN. BAUSTELLEN. BAUSTELLEN. Ja sind denn die Strassenbauer dieser Breitengrade derartige Pfeifen, dass ich meinen Espresso seit WOCHEN vor Abschrankungen, aufgerissenen Tramschienen und einem träge hin und her sutternden Kleinbagger einnehmen muss? HALLO? WAS STIMMT DA NICHT?
Ich will keine neuen Bundesräte (Halt! Falsch! Natürlich will ich die alten Nüsse nicht mehr... Bei denen dauert der Moment bis zum Rücktritt mindestens ebenso lang wie die Strassenbauerei vor meinem Lieblingscafé)? ICH WILL FÜR DIESES LAND EINEN SCHNELLEREN STRASSENBAU!
Auf dem Weg zum Münsterplatz bin ich an der abgesperrten Rittergasse vielen Leitungsröhren begegnet. Die Röhren? so gross wie das Mundwerk von Zürcher Parlamentariern? warten auf die Strassenbauer. Die armen Menschen dort tun mir heute schon leid? ob sie in ihrem Leben wohl noch einmal eine wieder intakte, zugeteerte Rittergasse sehen werden?
Herr Zanussi, mein Haarschneider, ist deprimiert. Sein Schritt ist längst nicht mehr so fedrig wie einst, als er um den Sessel tänzelte und sich an mein üppiges Haar machte («Nur die Spitzen, um ein bisschen Form zu kriegen!»).
Die Bauarbeiten vor seinem Geschäft liegen ihm wie Blei in den Krampfadern. Und er versteht die Welt nicht mehr : «Wenn wir so Haare schneiden würden, wie die Geleise sanieren, hätten wir nur Neandertaler in dieser Stadt!» Herr Zanussi ist ein wunderbarer Gemütsmensch. Aber hier haben sie ihm mit seiner Strasse auch das Gemüt aufgerissen und nie mehr zugeteert. Das nervt. Ebenso geht die ganze Bauerei der Frau mit der Fahrschule auf den Keks: «... und jetzt erklären Sie mir mal, wie ich meine Schüler empfangen soll? Auf dem Mond? Hier ist doch alles abgesperrt. Und auf den letzten drei, vier Parkplätzen des Quartiers stehen Baumaschinen...»
Wie gesagt: In Italien lassen sie zwar den Präsidenten weiterwursteln. ABER BEI STRASSENARBEITEN HÖRT DORT DER SPASS AUF! Ist ein Gässlein mehr als zwei Tage abgesperrt, ändert die Regierung! Bei uns?? Wartende Röhren.
Ginetta bringt mir Brombeeren. Seit ihr Mann Umberto in Pension ist, spazieren die beiden täglich in den Wald. Und ramschen dort alles zusammen, was es zu essen gibt: vom Kaninchen über feuerrote Hagenbuttenkugeln bis zum Maggikraut. Sie kennen alle Stellen, wo im frühen Frühling die Morcheln morcheln, im späten Herbst die Pfifferlinge pfeifen und Schneewittchen mit den Zwergen tanzt.
UND DESHALB: VIER KILO WILDE BROMBEEREN AUF MEINEM KÜCHENTISCH. Sie kommen mit Gelierzucker in die Konfitürenpfanne und blubbern fröhlich vor sich hin.
Nun mischelt mir das Schicksal Evchen in den Tag. Sie ruft auf mein Natel an. Total von der Rolle: «... meine Schlüssel sind weg. Nicht mehr im Auto. Im Konsum sind sie auch nicht. Und...»
DAS LIEDLEIN KENNE ICH. Verlorene Schlüssel verfolgen uns ein Leben lang wie aufgerissene Strassen!
Evchen (verzweifelt): «Du hast doch einen Schlüssel zu meiner Wohnung und...» Zehn Minuten später sind wir bei ihr. Erlösen sie von dem Bösen. Mittlerweile hat sie die Gesuchten allerdings im Fitnesssack gefunden. Und kann herzlich lachen: «Komm? ich lade dich zu einem Kaffee ein!»
Wir nehmen den Espresso in Birsfelden. Vor dem Café reissen sie eben die Strasse auf? die Kaffeelöffelchen zittern beim Quintett der Bohrmaschinen. Im Hosensack zittert auch mein Handy. Es ist die Feuerwehr, die sich vibrierend meldet: «Leider ist Ihre Küche schon arg schwarz...»
Ich vermute, dass es keine Brombeerkonfitüre mehr geben wird. Und danke dem Himmel sowie der Feuerwehr, dass Letztere hier schneller ist als in Rom.

Samstag, 11. September 2010