Vom Ende des Ramadan und dem Anfang im Nahen Osten

Donnerstag «MEIN GOTT», sagte Innocent.
Und schaute aus dem Auto, das keines war. Die Karre, die uns von Kairos Flughafen an die Talaat Harb Street schaukelte, war eigentlich als «Hühnertransport» registriert. Doch leider war es unsere einzige Möglichkeit, mit vier Koffern, einer Apnoe-Apparatur samt Ersatzschlauch sowie Innocents Bettflaschen-Bär, ohne den er keinen Schritt in die Ferne tut, ins Zentrum der ägyptischen Metropole zu gelangen.
Gut. Ein netter junger Mann mit Stutzerschnäuzlein wollte uns in seiner Limousine fahren. Leider fuhr die Limousine nicht umsonst. Und als der Schnäuzerich für die Fuhre gar 50 Dollar verlangte, heulte Innocent höhnisch auf. «NICHT MIT UNS!»
Er klopfte dem Schönen mit seinem Büchlein «Ägypten für Anfänger» energisch auf die manikürierten Finger: «Da drin steht, was Sie für einer sind...»
Dann baute sich Innocent vor einem Polizisten auf: «Where are the regular taxis?» Der Gesetzeshüter nickte charmant: «Yes, yes.» Und dabei blieb es.
Nach einer Stunde warten wäre ich bereit gewesen, die manikürierten Finger des Limousinenfahrers mit dem dreifachen Betrag zu salben, wenn er nur noch da gewesen wäre? aber ausser einem verfederten Hühnerhändler ging das Leben erbarmungslos an uns vorbei.
IMMERHIN? DER VERHÜHNERTE HIELT AN.
Und? oh Glück, oh Wonne, oh Heimatland!? Chicken-Ali hatte in seinen jungen Tagen auf einer Glückliche-Hennen-Farm in Herisau gearbeitet.
Ali erkannte unsere verhühnerte Not. Und weil seine Zeit in Herisau (so erzählte er uns auf der Fahrt nach Kairo) keine schlechte gewesen sei und die Appenzeller ihm beigebracht hätten, wie man aus einem gewöhnlichen Huhn ein glückliches macht, lud er uns in später Dankbarkeit zum einstigen Gastland auf seinen Wagen.
Wir waren nicht alleine. Mit uns fuhren 80 Hennen mit. Keine von ihnen ahnte, dass sie noch vor dem ersten Hahnenschrei Federn lassen musste.
Denn unsere Nahostreise startete mit dem Ende des Ramadan.
Die Gläubigen haben Heisshunger auf alles? besonders auf knusprige Schenkel.
Doch nein? das Federvieh hier im Wagen plusterte sich fröhlich auf und ähnelte in seiner herumgackernden Ahnungslosigkeit einer politischen «Arena»-Sendung.
«OH GOTT», japste Innocent also erschrocken, als die Hühnerkarre vor einer Polizeiabschrankung bei der Talaat Harb stehen blieb. Hunderttausende von lachenden, tanzenden und herumschreienden Menschen verunmöglichten jedes Durchkommen. Mädchen hielten sich Kunststofflärvlein vors Gesicht, Buben hatten Plastikkarabiner umgebunden? die Männer aber mit ihren langen Gewändern trugen ihre kaum wochenalten Jüngsten wie Trommeln über der Schulter, sodass das Ganze einen spukartigen Moment an eine Mega-Formation der alten Kuttlebutzer erinnerte.
Die Frauen kümmerten sich kaum um ihre Familien.
Sie schwatzten in Grüppchen im Tempo von ratternden Nähmaschinen auf die Strassenhändler ein und feilschten um Talmi und Strass.
MITTEN IM TREIBEN STECKTEN INNOCENT, DER BETTFLASCHEN-BÄR UND UNSER GANZES GEPÄCK FEST.
Als wir in unserer Not Madame Hortense von der Pension Fatima anriefen, schickte sie ihr kleines Heer an Frühstückskellnern, Zimmerputzern und Eierköchen zu Hilfe. Noch einmal keuchte Innocent:
«MEIN GOTT!» Das war, als wir von der Talaat Harb in eine Seitengasse abbogen, wo zumeist zahnlose Männer auf umgekippten Harassen an Wasserpfeifen sogen und ein Süssigkeitenhändler mit einem Federnwisch die Fliegen von den glänzenden, honigklebrigen Baklavas wegwedelte.
Das Neonlicht war aus allem Glas entwichen, das den Pfeil in Richtung Pension Fatima zeigte. Es flackerte nur manchmal kurz auf wie die Hoffnung, bevor sie endgültig erlischt.
Doch dann quälte sich ein alter Scherengitterlift vom Himmel herunter und zuckelte uns in den vierten Stock, wo Madame Hortense unter der Türe wartete: «Bienvenue, chers Messieurs? c?est la fin du Ramadan.»
Sie klatschte in die Hände. Die jungen Diener, die nicht mit dem Transport von Apnoe-Maschine und Reisetaschen beschäftigt waren, balancierten Gläser mit eiskaltem Saft von Granatäpfeln an.
Dazu ein Tablett, gespickt mit diesen klebrigen Leckerdingern, die mir schon auf der Gasse glasige Augen machten. Innocent trank das Glas in einem Zug leer.
Dann erklärte er Madame Hortense: «So ein Ganove wollte uns linken... 50 Dollar hat er für die Fuhre hierher verlangt... aber ich bin ja nicht blöd... Gottlob kam der Mann mit den Hühnern und...»
Madame Hortense schenkte vom Saft nach: «Allah findet immer einen Weg!»
Das war wohl so etwas wie das Wort zum Ramadan...

Samstag, 24. Oktober 2009