Also mit der Sissi hat mich Innocent geködert. ABER NUR ZWEI MAL! DAS ERSTE UND DAS LETZTE MAL. Freund Innocent kann mir künftig das Klunkerdiadem der Kaiserin vor die Füsse werfen, und ich werde nicht mehr so grottendumm sein und mir deswegen ein paar Walking-Nikes an die Füsse schnallen. Besonders da diese platt und geschunden sind.
Der Plattfuss kommt noch aus dieser gar lieblichen Ballettzeit, wo wir auf Zehenspitzen ein kleines Rättlein für Herrn Orlikowski tanzen mussten. KLARES SPITZENERLEBNIS FÜR EINEN ROSIGEN TANZBUBEN MIT ÜBERGEWICHT!
Das Rättlein erschien im Gefolge der 13. Fee von Dornröschen. Aus unerklärlichen Gründen verhedderten sich meine Füsse in einem Kabelgewirr. Plötzlich donnerten Tonnen von Scheinwerfern zu Boden. Und dann war zappeduster.
«DU LETZTES MAL KLEINES RATTE GETANZT!», zischte Frau Bajoratis, welche für das Kinderballett und die Wollschwänze zuständig war.
Dann warf man mich aus der Ballettschule. Ich bin später immer mal wieder von einer Schule geflogen. Aber keine hat mir vorher die Füsse so platt gedrückt wie die Stunden im alten Ballettsaal bei Orli. Noch heute bekommt jeder Orthopäde, wenn ich ihm meine beiden Omeletten mit den schiefen Zehen zeige, einen Schluckauf. UND IST DANN GENAUSO PLATT WIE DIE FÜSSE: «Dass Sie damit überhaupt gehen können!»
«Die haben sogar schon die Ratte getanzt», sage ich eisig. Und bekomme wieder Einlagen angepasst. MIT NIKE UND EINLAGEN ALSO ZU SISSI!
Innocent will mich ja immer mal wieder zu einem längeren Ausflug animieren. Er hat das meinem lieben Vater auf dem Sterbebett versprochen.
«Schau, dass er endlich was für die Fitness macht!», hatte der ihm den Eid des Sportverrückten abgenommen. JETZT HABEN WIR DEN SALAT! Kaum dass irgendwo ein geschnitztes Holzschildchen einen fröhlichen Spazierweg vorgaukelt, werde ich darauf losgelassen: «Denk an deinen lieben Vater... vor allem denk an deinen dicken Ranzen... du tust beiden einen Gefallen!»
SO WANDLE ICH ALSO SEIT STUNDEN AUF EINER TEERSTRASSE, WO ALLE 20 METER GOLDGELBE SCHILDER VIELVERSPRECHEND «ZUM SISSI-WEGLEIN» FLÜSTERN. Es ist ein sehr, sehr weiter Weg von Meran zum Sissi-Weglein und dem Schloss Trauttmansdorff. Ja, es stellt sich die Frage, wie Sissi in eleganten, hochhackigen Seidenpumps stilgerecht auf diesem zerrissenen Asphalt herumgehen konnte. Ich schaffe es kaum mit flundernflachen Nikes. Deshalb zweite Frage: WO IST DAS NÄCHSTE KAFFEESTÜBERL? Dritte Frage: UND OB SIE DORT WOHL APFELSTRUDEL MIT VANILLESAUCE HABEN?
Die Fragen erübrigen sich. Denn es ist Sonntag. Und da haben die Kaffeestüberln geschlossen. JETZT KÖNNT IHR EUCH MEINE LAUNE VORSTELLEN!
«Du hast genau gewusst, dass heute Wirtesonntag ist!», jammere ich Innocent die Hucke voll. UND WAS TUT DER? Er zupft tatsächlich einen dieser kindskopfgrossen Herbstäpfel vom Baum und säuselt: «Die Natur verteilt ihre Gaben an die Fleissigen!» ALS OB SO EIN HARTAPFEL EIN ERSATZ FÜR WEICHEN STRUDEL MIT VANILLESAUCE WÄRE! Kommt dazu, dass eine Stimme bellt: «Jo wos mochens denn doo?!!... dös isch Privotaigentum... Y zaog si on beim Grücht, wenns dies wunderboore Opferl net sofort bezohln!» Wir hätten für den Preis 28-mal Apfelstrudel mit Sauce bekommen. Doch wie gesagt: Wirtesonntag. Und nun war auch Innocent mit den Nerven fix und foxi. Er machte mich für alles Wüste verantwortlich: «DU HAST DOCH DIESEN GOTTVERDAMMTEN SISSI-FIMMEL. ICH NEHME DAS ALLES NUR FÜR DICH IN KAUF UND...» Ja, hallo? Sissi ist ja gut und recht an Weihnachten vor dem Fernseher. Aber nicht an einem Spätsommersonntag, wo die Konditoreien von Meran geschlossen sind. Wir sagen einander nun einiges Wüstes auf dem Weg, sodass die wenigen Passanten mitleidig das Kreuz schlagen und ihre Rosenkränze kneten.
Noch immer ist das Schloss der Kaiserin nicht in Sicht. Und doch muss es hier irgendwo versteckt liegen, denn immerhin hat die Gute hier 1870 samt Gefolge die Lunge vom Klima gesundblasen lassen.
DAS DENKMAL IM BLUMENPARK KANN SICH DOCH NICHT IRREN! Dort sitzt die Schöne nämlich in Stein gehauen auf dem Bänkchen. Wenns so ein Hitzesonntag ist wie jetzt, laufen ihr Ameisen über die kühlen Backen. Es ist nicht immer nett, als Promi in Stein gehauen zu sein, besonders wo da die Tauben immer mal wieder... Aber wir kommen vom Thema ab. Und das Thema heisst: WO SIND DIE PRÄCHTIGEN GÄRTEN VON SISSIS SCHLOSS?
Das Sisserl war nämlich eine lustige Wandersfrau. Sie liebte es, in der Natur frei hin und her zu wandeln. Entsprechend hat sie im Flaumeichenwald Kiesweglein anlegen lassen, um darauf spazieren zu gehen. SIE IST ALSO MITNICHTEN VON MERAN BIS ZUM SCHLOSS TRAUTTMANSDORFF MARSCHIERT WIE UNSEREINS. Ja auf Kiesweglein kann jeder Trottel Seidenschuhe tragen. Auch hochhackige. Das ist kein Stundenmarsch. ABER HIER AUF DEM ASPHALT TROPFT MIR DER SCHWEISS UND MEIN T-SHIRT MIT DER AUFSCHRIFT «BE HAPPY» ZEIGT SCHWARZE FLECKEN UNTER DEM ARM. Von wegen happy!
Endlich sehen wir es: ein schlossähnlicher Kasten, vor dem Hunderte von Autocars düstere Abgaswolken rausstottern. Die Chauffeure spucken Tausende von Sissi-Verehrern auf die Kiesweglein.
«ALSO DAS MUSS ICH JETZT WIRKLICH NICHT HABEN!», motze ich gereizt. Just in diesem Augenblick surrt ein Taxi, das ein amerikanisches Ehepaar zu Sissis Vergangenheit geführt hat, in unserer Gegenwart an. Ich winke aufgeregt und höre nicht auf Innocent, der brüllt: «Frag zuerst, was es kostet!» Ich frage gar nichts. Und geniesse die Rückfahrt im Fond. Manchmal winkte ich den Verschwitzten, die da auf dem Asphalt zur Kaiserin humpeln, huldvoll zu und stelle mir vor, der Taxifahrer sei Josef Meinrad und der alte Opel die goldene Kutsche. «DU HAST SIE DOCH NICHT ALLE...», seufzt Innocent. Stimmt. Aber wenn ich sie alle hätte, hättet ihr nicht diesen Bericht hier...
Vom ellenlangen Marsch und keinem Vanillestrudel
Sonntag, 30. September 2012