Vom Besuch in Grasse und einem polnischen Autocar

Donnerstag Also Grasse ist voll krass.
Ich meine: Wir haben ja alle die Nase ins «Parfum» gesteckt. Und wir haben alle mit Grenouille diese Wolken von Duftmischungen eingesogen, dass einem beim Lesen die Nasenflügel vibrierten wie Omis automatischer Hüftspeck-Massagegürtler auf Stufe «Vollgas».
Im Film, bei dem auch unsere Basler Fussballpräsidentin das «Parfum» co-gemixt hat, zeigten sie gar liebliche Weiden, wo sich der Lavendel im Winde verneigte, wie die SVP vor Bundesrat a. D. Blocher.
ICH HABE MIR ALSO GRASSE SO ETWAS VON DUFTEND UND LAVENDELIG VORGESTELLT, DASS DER ÖDE VERKEHRSKREISEL, DER UNS ALS ERSTES ERWARTETE, EIN ECHTER SCHOCK WAR.
Es hitzte 40 Grad im Schatten, wenn es da irgendwo Schatten gegeben hätte. Aber am Kreisel kreiselte nichts. Die ersten Düfte, die uns in Grasse erwarteten, waren ein Gemisch aus Diesel und Abgasen und ein ganz leiser Hauch von Onkel Nudelstadts Mundpastillen (LOLLO MENTA).
«Wartets ab!», machte der Onkel auf gute Hoffnung.
Und dann: «Weshalb fährt dieses Arschloch da vorne nicht?! HUUUP MAAAL!»
Ich: «Wir sind Gast in diesem Land!»
Onkel: «HUUUP DIESEN VOLLTROTTEL EINFACH WEG... ÜBERHOOOL IHN!»
Neben, hinter, vor mir: AUTOS! EIN BLECHLAWINENSTAU.
Unser VW hätte zum Überfliegen jamesbondmässige Autoflügel haben müssen.
Aber es ist ein Modell 1989. Das einzig Heisse an ihm ist sein Kühlwasser. Deshalb ich: «Halt jetzt den Rand... DU WOLLTEST JA UNBEDINGT NACH GRASSE!»
Onkel: «Ich enterbe dich!»
Daraufhin allseits gereiztes Schweigen. Und Innocent, dessen Hörapparate plötzlich synchron zu fiepsen anfangen: «HAT JEMAND ETWAS GESAGT?!»
Später sehen wir dann einen Autobus, der die Strasse blockiert. Der Bus ist aus Polen. Und noch älter als mein VW.
Die Insassen benutzen die Panne, um rasch mal Pipi... JA UND DA IST DANN ERSTMALS DIESER DUFT, DEN SÜSSKIND SO WÜRZIG BESCHRIEBEN HAT.
Onkel: «ICH HABE IMMER GESAGT: ES WAR EIN GROBER FEHLER, EINEN POLNISCHEN PAPST ZU WÄHLEN. JETZT HABEN WIR DEN GAU...»
Innocent: «Ja ja? der Stau. Am Gotthard stehen sie auch...»
Tantchen, das seit Cannes stoisch seine Patiencekarten auf dem seidenen Schal von Prada ausgelegt hat, meldet sich nun auch zu Wort:
«Gotthard? Ich dachte, wir wollten zu den Parfüm-Heinis...»
ES SIND SOLCHE MOMENTE, IN DENEN SICH DER MENSCH SEHR EINSAM FÜHLT. «Gib mir ein Lutsch-Lollo!»
Lutschen tröstet.
Anstelle von traumschönen Blütenpflückerinnen, vornehmen Parfümerien mit Kristallflacons und nackten Frauenleichen hinter Glas erwarten uns «MUTTIS IMBISSECK MIT WURSTEL», viel Beton und ein Supercenter, wo sie Badedas-Schaumbad im Doppelpack anbieten.
«Wir gehen in die Fabriken», flüstert mir der Onkel verschwörerisch zu. «Da wirst du dann Augen und Nasenlöcher aufsperren...!»
Vor der Fabrik treffen wir wieder auf den polnischen Reisecar. Mit einem gestrickten Strumpf haben sie den Auspuff provisorisch festgebunden? die Menschen schauen düster, als machte ihnen ein arges Leberleiden zu schaffen. Nur ihr Landsmann, der in päpstlichem Outfit über dem Steuerrad baumelt, hat das zarte Lächeln desjenigen, der ein eigenes Papamobile sein Eigen nennt.
Und den Stau nur aus der Bibel kennt.
Kaum dass die netten Verkäuferinnen meinen Onkel im Blick haben, lassen sie ihre papierene Duftstäbchen fallen: «Ohh... Bonjour Monsieur Nüüüdelstatt...» Sie haben dieses falsche Lächeln von implantierten Zähnen. Und einen Ton, der so süss ist, wie der arabische Moschus im Suk.
Der Onkel platzt schier vor Stolz:
«Was sagst du jetzt? die kennen mich alle...!» Dann sülzt er in die duftende Runde: «Bongschuuur, scheer scholli filll... Ssa sse Mössieur minü... Il wö le Parfäää contre le starki Transpirassion... hähä... il meggelet nämmlig gomm sö autibüs de Krakau, hähää...»
In diesem Moment baut sich einer der Polen vor dem Onkel auf. Es ist ein Paket wie der kalifornische Senator Schwarzenegger in seinen muskelbepacktesten Tagen: «Was hast du da eben gesagt, du Pinscher?»
Onkel: «Oh... nix... nix... Alles paletti... Krakau ist schön und sauber... Wollen Sie ein Lutsch-Lollo, lieber Mann?!»
Polnischer Schwarzenegger: «Steck dir dein Lutsch-Lollo irgendwohin... Und wenn ihr Käsekuchenschweizer keine Sprache sprechen könnt, heisst das noch lange nicht, dass wir hinter dem Eisernen Vorhang gepennt haben!»
Onkel: «Jawohl, der Herr... Wünsche, guten Duft zu haben!» Und zu mir: «Wir hauen ab, bevor es dem noch ganz stinkt...»
Im Auto herrschte nun ein anderer Wind? ein Gemisch von süsslichen Veilchen, Zitronenblüten und Jasmin. DANN NOCH EIN HAUCH LOLLO MENTA. Dies alles bei mittlerweilen 43 Grad im VW-89, in dem die Klimaanlage im Jahre der Euro-Einführung den Geist aufgegeben hat.
«Meine Patience ist aufgegangen», meldet die Tante im Fond.

Donnerstag, 13. August 2009