Vom Besuch bei der Queen und grossen Hüten für kleine Frauen

Donnerstag - Als Philip mich fragte, ob ich ihn zur Queen begleiten würde, sagte ich das, was ich auch immer zu Innocent sage, wenn er mich fragt, ob ich mit ihm in die Kirche komme: «ICH HABE NICHTS ANZUZIEHEN!»
Philip ist der Hutmacher der Queen. Er hat auch Diana behütet. Und er hütet sich, irgend eine Silbe über die Queen zu sagen - SONST KANN ER NÄMLICH DEN HUT NEHMEN.
Nun aber er: «You could hire?» Das bedeutet so viel wie: WER ZUR QUEEN GEHT, GEHT ZUM KAISER. (Gemeint ist Londons Kostüm-Kaiser.)
Seit Tagen tingle ich mit Innocent, seiner Freundin Anita und einem Gerät, das TOMTOM heisst, durch die englischen Lande. TOMTOM führt uns auf Nebenstrassen durch Überschwemmungen und aufgeweichtes Moorland. Selbst die Enten reissen aus. Nur TOMTOM pfeift uns stoisch durch die Gegend.
England ist nie grüner, als wenn es regnet. Das Grün findet auf diesen weiten Auen statt, wo Engländer nasse Augen bekommen und Beatrix Potter einst ihre Hasen hoppeln liess. Alles grün: Der Tee (Green tea), die Gurkenbrötchen und die Erbsen, die Mint-Sauce und mein Gesicht, wenn Innocent in der Kurve mal wieder eine Hecke kratzt und Anita, die wir hinten auf drei Telefonbücher geschnallt haben, damit die Kleinwüchsige etwas von der Aussicht mitbekommt, schreit: «LIIINKS? LIINKS? UMSHIMMELSWILLEN: LIIIINKS!»
Da Innocent den Hörapparat abgeschaltet hat, lacht er nur: «Ja, ja - auch hier stinkts. Es stinkt überall auf der Welt, liebe Anita?»
IN DIESEM MOMENT BAUT SICH EIN LASTER DIREKT VOR UNS AUF. Innocent kriegt eben noch die Kurve, und hinten hören wir über den Telefonbüchern: «Linksverkehr? LIINKS? Wer rechts fährt, fährt links. Recht ist, wer links verkehrt.»
ENGLAND IST EIN ZIEMLICH KOMPLIZIERTES LAND, MIT EINER EINGEFAHRENEN TRADITION, WELCHE DIE SEITEN NIE WECHSELT?

Freitag - In seinem Hutmacherladen, der von der Königin mit dem Spruch «Honny soit qui mal y pense» zum ritterlichen Behütungsgeschäft geschlagen wurde, also inmitten all dieser Riesentschäpper, auf denen Blumen blümeln und Lätsche schleifeln, betritt Lady Muriel die Szene. Muriel hat einst an der Trauung von Lisbeth mit Philip (nicht meinem Hutigen, sondern irgend so einem deutschen Adligen, der dann ein Leben lang zur Strafe zwei Schritte hinter der Queen hertrotteln musste) - Muriel also hat an jener sagenumwobenen Hochzeit die Schleppe der Braut von hinten aufgerüscht. Für diese jüngferlichen Dienste und in alter Verbundenheit zur Dame auf dem Thron wird Muriel auch immer an den offiziellen Tee der Königin eingeladen. Der Tee findet im Garten des Buckingham-Palastes statt - ein Gartenfestlein, wenn man so will. Bei uns würden wir es Grill-Party nennen, auch wenn bei Windsors nichts Wurstiges auf Holzkohle knallt, sondern die Würstchen im Palazzo ganz anderswo rumwursteln?
Muriel sucht sich also für den Empfang einen Hut aus. Und Philip stöhnt: «Weshalb müssen die kleinsten Weiber auch immer die grössten Hüte auswählen?»
Es ist ihm ein echtes Problem, weil kleine Frauen in grossen Hüten wie ungepflückte Champignons aussehen: «? UND NATÜRLICH BIN ICH DANN SCHULD, WENN SIE NICHT GEKÜSST WERDEN!»
Deshalb ist Philip auch so ein irrer Diana-Fan. IHR STAND EINFACH ALLES.
90 Prozent von Dianas Hüten hat ER entworfen. Und «die andern 10 Prozent waren Schrott!», seufzt er. Dann träumend: «Diana liebte Hüte? sie liess unzählige hüteln?»
Und wo bewahrt man so etwas auf?
«Auf Ständern natürlich!» raunzt Philip. Er sieht in mir das Landei pur. Und ich muss zugeben, dass ich nie so viele Ständer im Buckingham-Palast vermutet hätte?

Samstag - Ich mühe mich mit diesem Schlips ab, den man mir zum gemieteten Anzug als Supplement beigelegt hat. BEI 350 EIERN MIETGEBÜHR HABEN SIE DAS SCHON TUN DÜRFEN. Es sind nämlich englische Eier - macht Schweizer Franken mal 2,4. Innocent weinte einen halben Tag!
Es schifft à gogo. Lady Muriels Riesenradhut tut gute Dienste. Wenn die Dame nicht so klein wäre, könnten wir uns darunter abschirmen lassen. Aber so bleibt zumindest sie im Trockenen und flüstert: «Kommt mit. Ich weiss, wo es in den Palast geht. Innen sind die bessern Gäste?»
So tropfen wir also bei Windsors ein. Die andern Geladenen lustwandeln im grössten Schiff durch den Garten und stöhnen vor Lust. Ich bin froh, dass ich im Trockenen hocke, auch wenn hier nicht viel, sondern nur ein Livrierter mit Brötchenauswahl los ist.
«Gurke», sage ich. «KJUKAMMMBER», übersetzt Lady Muriel. Dann zeigt sie auf ein Nebenzimmer, wo die Queen steht. Und die Menschen ihr stückweise vorgeführt werden - wie an einer Pferdeschau die Gäule vor dem Start.
Lady Muriel nimmt Philip am Arm: «Wir werden sie wohl rasch begrüssen müssen?»
Meine Lippen schreien lautlos: «? UND ICH? ICH?»
Da sind die beiden auch schon im andern Zimmer. Ich versuche durch Grimassen, Hüsteln, lustiges Trällern auf mich aufmerksam zu machen. Ich hänge mir den tropfenden Schirm in den Mund. NICHTS. Die Queen würdigt mich keines Blickes.
Ich sehe nur, wie sie die Hand einem kleinen Pilz entgegen streckt.
Man kann sagen was man will: Aber Grill-Partys sind irgendwie intimer?

Donnerstag, 12. Juli 2007