Donnerstag Ilschen wars wieder mal drum: «Spürst du das zarte Brausen...»
DIESES BILD IST FALSCH. Brausen ist nie zart. Aber Ilschen ist voll mit falschen Bildern? wie die Delikatessenläden jetzt mit diesem Kaviar, der gar keiner ist.
Zu Ilschens Brausen: Das alte Mädchen spürt ganz einfach den Frühling. Und deshalb? siehe oben? wars ihr drum: «Wir könnten doch wieder mal probeliegen...»
Sie kichert. Das mit dem Probeliegen ist ihr alberner Witz vor jedem Friedhofsbesuch. Aber nun ist Ilschen schon voll auf Dampf: «Man schmeckt die Wonnen des Mais in jeder Pore... zieh dir die Einlagen unter... wir gehen auch zu Tante Frieda. Das ist ein weiter Weg. Aber immerhin hast du ja ihr Sechser-Set mit den Servietten geerbt...»
Frieda liegt ganz oben. Fast schon am Waldesrand. Das Schlimme an Frieda ist, dass man sie so schlecht findet. Sie hat die Nummer 2-352-1. Und sie hat auch einen ziemlich wuchtigen Stein. Grauer Marmor. Goldene Hände? diese schlicht zum Gebet gefaltet: «Ihr Leben war geben.»
DAS IST EINE DIESER LÜGEN, DIE IMMER WIEDER DEN TOTEN MIT UND AUFS GRAB GEGEBEN WERDEN.
Frieda hat die Hände nämlich nie, gar nie grosszügig geöffnet. Sie war eine Knauser-Trine. SCHLIMMER? sie war grottengeizig.
Bis zu ihrer letzten Fahrt hat sie die Taxichauffeure ihr Gepäck jeweils sechs Treppen hoch vor die Türe schleppen lassen, um dann mit erschrockenen, aufgerissenen Augen ins Portemonnaie zu stieren. «Ohhh... ich habe gerade kein Kleingeld. Ich gebe Ihnen das nächste Mal etwas...»
Sie gab nie. Denn diese offenen Hände waren immer sparsam zum Gebet gefaltet. UND HABEN SICH NIE GROSSZÜGIG GEÖFFNET.
Die Steinplatte, die das ganze Grab abdeckt, habe ich übrigens immer übertrieben gefunden (das Erbe waren ja nur sechs Servietten, und diese waren nicht einmal bestickt). Ein Holzkreuz, schlicht, mit dem Einbrand «Hier liegt Frieda», hätte m. E. genügt. Aber Mutter wollte das nicht. Frieda war der Gifttropfen in Mutters Leben gewesen? die Ursache aller Gallensteine.
Und: «... der Stein, den ich ihr auf das Grab lege, kann gar nicht schwer genug sein», hatte Mutter beim Bestatter klare Order gegeben. «Ich will sicher sein, dass sie dort unten bleibt...»
Es wäre mir nie im Traum eingefallen, Frieda auf dem Grab mit den goldziselierten Händen im Marmor zu besuchen. Aber Ilschen will. Grund:
«Wir haben hier die schönste Aussicht auf die Stadt... und dann diese gute Luft... eines muss man der Frieda lassen: Sie hatte immer ein Auge fürs Schöne!»
Das ist Blödsinn. Denn meine liebe Mutter hat zusammen mit dem Bestatter die Grabstelle ausgesucht. Und auch bezahlt. Sie hatte sich für den Waldrand entschieden, «weil hier auch kein einziges Minütchen die Sonne hinkommt. In Friedas Wohnung wars stets so eisig wie auf dem Jungfraujoch. Ihr Geiz verbot ihr zu heizen. Ja, sollen es ihre toten Gebeine nun besser haben? Eben! Hier ist der Boden selbst im August so kühl wie das Grab, haha.»
Mutter hatte eben einen ganz speziell morbiden Humor. Und ihr schönstes Kind hat den prompt geerbt.
Wie oft haben wir doch in Wien gemeinsam den grossen Friedhof besucht. Die andern haben sich Musicals und Mozart reingezogen. Wir aber gingen zu den Prunkgräbern mit den Totenköpfen aus Gusseisen und den gekreuzten Gebeinen.
Froh gestimmt trällerten wir Kreislers Weise von den vergifteten Tauben im Park.
Und nun suche ich mit Ilschen also schon seit einer Stunde nach Frieda. Ilschen ist ausser sich: «Die kann doch nicht einfach über Nacht verschwunden sein... sie war immer drei Reihen nach dem Grab mit den steinernen Bergschuhen. Und dort? der Engel ist auch hier... erinnerst du dich?»
Wer könnte diesen Engel vergessen. Er sieht aus, als wäre eine Grauer-Star-Operation schiefgelaufen. Das eine Auge schaut runter zum Grab, wo eine «Martha Schreck» in Frieden ruht. Das andere Auge aber guckt konträr zum Himmel, wo es vermutlich die Flugzeuge zählt.
Jedenfalls gibt dieser Missgriff des Bildhauers dem Engel etwas total Gefallenes, Wirres. Verirrte Seelen, wie unsereins, die wir orientierungslos über die Gräber grasen, haben uns jedoch bis anhin an dieser Horrorskulptur orientierungsmässig halten können.
UND JETZT IST FRIEDA WEG!
Wir marschierten schnurstracks ins Büro, wo sie über alles Tote Buch führen. «Wo ist Frieda Mauser?» Die nette Dame manipuliert an ihrem Computer rum. Dann schenkte sie uns ein fröhliches Lächeln: «Frau Mauser ist ausgemausert, wenn Sie ein Scherzchen erlauben.»
«WAS HEISST DAS?»
«Das heisst, dass die 25 Jahre rum sind. Ihre werte Frau Mutter hat das Grab für 25 Jahre bezahlt? dann muss neu berappt oder ausgezogen werden! Wir konnten niemanden benachrichtigen. Und mussten Frau Mauser ausquartieren!»
Ich bedanke mich. Und besuche dann noch die Gruft meiner lieben Mutter.
«Sie ist ausgebüxt», sage ich zu den vielen Stiefmütterchen, die hier wie tausend alte Gesichtchen im Regen weinen. Da weht ein leiser Wind über das Grab. Und die Stiefmütterchen zeigen ein erstes Frühlingslächeln. Summend ziehen Ilschen und ich zum schmiedeeisernen Ausgangstor.
Wir trällern das Lied von den Tauben im Park.
Vom Besuch an Friedas Grab und den Tauben im Park...
Donnerstag, 19. März 2009