Verbunden

Mein Sitznachbar (Bodybuilder-Typ, um die 40) hat auf seiner linken Arschseite einen Kakadu tätowiert.
Nichts dagegen.
Und nicht etwa, dass mich das interessierte.
Doch ob man will oder nicht: Das ganze überfüllte Tram kommt in den Genuss seines Vogels.
Nun ist der Muskelgebildete nicht etwa der Typ, der die Hosen runterlässt. Nein. Er hat den Knopf im Ohr. Und telefoniert in der Lautstärke einer Alarmsirene.
«? ja klar, Pfludderchen, ich wollte ganz bestimmt das Herz mit deinem Namen. Doch da hat der mich auf den Vogel heiss gemacht.»
Ich schaue betont unbeteiligt zum Fenster hinaus. Und was sehe ich: lauter Menschen mit Knopf im Ohr. Es ist, als wären Steiff-Bärchen mobil geworden...
«Nein. Du darfst mir jetzt nicht den Gaul machen. Ich habe ja immer noch die rechte Backe frei. (Hier wusste das ganze Tram, dass der Vogel auf der linken sich mausert.) Und diese ist ganz für dich reserviert. MEGAGROSSESEHRENWORT. Aber erst morgen. Zwei Mal am Tag hält diese Tortur kein Mensch aus... das haut die stärkste Sau um.»
Ich finde das Bild von der starken Sau irritierend. Überdies saudumm. Denn Säue sind nie stark. Sonst würden sies nicht bis zur Wurst kommen lassen Aber ich sage nichts. WÄRE AUCH SINNLOS. Denn der Kakadu-Mann hat seine Umwelt auf off gestellt. Er hört sie nicht. Seine Ohren sind mit diesen Lautsprecherlein vollgepflastert, von denen man nie weiss, ob es sich um einen Hörapparat handelt oder um ein Mobiltelefon.
«Klar ist der Vogel vollfarbig. Kleiner Mehrpreis. Aber dein Herz macht er mir billiger? ein Schnäppchen. So ein Herz ist bei denen Dutzendware. Sie führen es in ihrem Sortiment wie Hertie die Salzgurken. Was hast du damals für deinen Salamander über dem Nabel geblecht?»
Leider höre ich nicht, was der Salamander auf Pfludderchens Bauch gekostet hat. Doch das Vieh muss die totale Abzocke gewesen sein.
«... da haben sie dich aber zünftig über den Tisch gezogen. Du hättest auch zum Stich-Seppi gehen sollen. Total cool, sage ich dir? zuerst dreht er dir einen Joint. Dann nadelt er los!»
Weshalb muss ich mir diesen Scheiss eigentlich anhören? Ist das der Fortschritt der Technik? Die junge Frau, die mit einer Hand krampfhaft ihre quengelnde Göre bändigt, brüllt auf die andere Hand ein, wo sie weitaus zärtlicher das neuste Nokia-Modell hält.
Manchmal wirft sie einen giftigen Blick auf den laut dröhnenden Kakadu-Arsch. Und wird um ein paar Phones stärker: «... da habe ich zu Tom gesagt:?Tom, du Scheissstück von einem Vater?, habe ich gesagt? wenn du die Alimente noch einmal so spät ausschleimst, gehts dir an den Sack, und du kannst Leine ziehen. ABER FÜR IMMER!»
Im Tram bin ich online für alles. Und für jeden.
Die dicke Frau keucht asthmatisch ihre Probleme von den offenen Beinen ins Apparätchen... beim gepiercten Glatzkopf, der ständig einhändig am Hosenladen rumfummelt, bekomme ich mit, dass er eine gewisse Hanna «in diesem Hotel, du weisst ja welches», treffen will. Und der alte Rentner brüllt immer wieder: «Was hast du gesagt, Hildi?! Man versteht hier sein eigenes Wort kaum? ja, Omeletten, aber OHNE Konfitüre. Die Zuckerwerte sind wieder RAUF... nimm Hackfleisch!»
Bereits 1860 hat ein gewisser Philipp Reis in Frankfurt ein Telefon entwickelt. Aber keiner wollte es haben.
In Amerika hat dann 1876 ein Graham Bell seine Telefonerfindung patentieren lassen.
1889 kam die Wählscheibe.
1910 waren es weltweit bereits zehn Millionen Menschen, die herumtelefonierten.
1958 wurde hierzulande das erste Mobilfunknetz eingeführt.
50 JAHRE SPÄTER MUSS ICH ZUHÖREN, DASS MEIN SITZNACHBAR EINEN KAKADU AUF DEM ARSCH HAT!
Noch nie war die Welt so verbunden miteinander, wie heute? und trotzdem: noch nie so weit von einander entfernt...

Montag, 19. Mai 2008