Tanzen als 17. Schwan

Als ich mit acht Lenzen zum ersten Mal Schwanensee sah und beschloss, eines der vier kleinen Schwänchen zu werden, bekam mein Vater ganz arg Vögel. Er liess bei Mutter Dampf ab: "Ja spinnt denn dieser Junge? Erstens ist Tanzen nur etwas für schwule Männer. Und zweitens bekommt man Plattfüsse davon..."

Das mit den Plattfüssen stimmt.

DAS ANDERE NICHT.

Ich habe in meiner spätern Laufbahn als siebzehnter Schwan im vierten Glied viele Tänzer kennen gelernt. Sie waren so wenig schwul wie mein Kaminfeger. Oder Omi's Metzger. Ok. Ein bisschen steckts eh in allen - aber der Plattfuss auch.

Meine Mutter, welche zwischenmenschliche Beziehungen nicht so schieneneng sah wie der bimmelnde Trämler-Vater, sagte: "Nicht jeder Güggel ist auch ein Gockel, Hans". Da Vater Mutters intellektuelle Ausbrüche fürchtete, gab er sich geschlagen. Und das Weihnachtskind brachte Ballettschuhe, ein Trikot und einen Ballettmeister.

Letzterer taxierte den kleinen Schwan bei den ersten Hüpfern als "hoffnungslose Ente". Herr Orlikowski war Russe und man weiss ja, was das für welche sind - sentimental-brutal und stets mit einem Schluck Feuerwasser im Kopf.

Da die gute Mutter für ihren Sprössling ein Trauma befürchtete, hat sie den kaukasischen Teufel mit drei Harassen Wodka bestochen. So durfte der Kleine künftig zum forschen Klavierton einer sibirischen Emigrantin in die Knie gehen. Er schob mit Ach und Krach die Füsse in vier Positionen und bog den Rücken in ein -S- durch, so dass er Jahrzehnte später noch Hexenschuss bekam, wenn er einen Fleischerhaken auch nur sah...

Der dickliche Junge tanzte also drei fröhliche Saisons lang in "Dornröschen" aussen links. Die Mutter sass stolz im Proszenium und bewunderte die siebte der zwölf Ratten, die schon die Presse während ihres 20-Sekunden-Auftrtts verblüfft hatte "Schreiend komisch war die torkelnde Mickey Mouse".

In der letzten Saison haben dann allerdings auch zwölf Harassen Wodka nichts mehr genutzt. Der russische Ballettmeister brüllte "njet!". Da das tanzende Rättchen nämlich seine bescheidene Gage immer flugs in Karamel Muh und Schoko-Bohnen umsetzte, mutierte es bald einmal zu einem asthmatischen Meerschwein. Und "... ist nix mit tanzig, da zu ranzig", tobte der kaukasische Teufel bei der lieben Mutter in Reimen. Und da wusste die Intellektuelle nichts mehr zu erwidern. Der Vorhang fiel für immer und ich wechselte ins Sumo-Ringer-Lager über. Vater atmete auf. Er hatte nie etwas von einem schwulen Sumo-Ringer gehört. Erst als er zusehen musste, wie sie mir an die Wäsche gingen und ich dabei verschämt zu kichern begann, erwachten in ihm Zweifel.

Nach Sumo ging ich als erster Tenor in den Männerchor. Schliesslich kam die Zeit des Tango-Kurs und ich verbrachte meine freien Stunden mit stark gebogenem Rücken. Ähnlich wie kleinknäblich als Schwan. Nur diesmal vorwärts.

Nach der dritten Bandscheiben-Operation schüttelte der Chirurg in der Aufwachstation seinen Zeigefinger: "Zzzz - Tanzen! In Ihrem Alter. Und dann noch mit platten Füssen..."

Ich lächelte matt. "Kennen Sie das dritte Schwänchen...?"

Er tätschelte mir die Hand und flüsterte dann zur Oberschwester: "Gebt ihm nochmals eine Dosis - er halluziniert".

Montag, 29. November 2004