Silberhochzeit

«? Walti hat eine Freundin!»? Elsies Augen tropften wie die Apriltage bei Tiefdruck.
Dem andern Ende der Natelleitung blieb für eine Zehntelsekunde die Luft weg. Dann aber schrie Hildi begeistert in den Hörer: «NEEEEEIN! ERZÄÄÄHL!»
Es kam nur ein tosendes Schnauben und Schneuzen.
Elsie hielt das Handy in der linken Hand? in der rechten: ein dreilagiges Kleenex, in welches sie das ganze Elend durch die Nase liess. Da das Papiertüchlein schon tränendurchtränkt war, gabs dem Elend nach.
«Verdammt!», schluchzte Elsie. Dann hörte man das Rauschen eines Wasserhahns. Und wieder die leidgeprüfte Stimme? diesmal leicht geniert: «Ich habe den beiden nachspioniert?»
«WER IST SIE?», hielt es nun Hildi nicht mehr aus.
Elsies Stimme kippte in ein Wimmern: «Anne-Trudy Brutschin!»
Stille. Dann ein leicht enttäuschter Ton: «Wer ist Anne-Trudy Brutschin?»
Elsie versuchte sich einzukriegen: «Seine Sekretärin? dies schon seit bald 100 Jahren. Und dabei tut diese falsche Schlange mir gegenüber immer so süss?»? Elsie schneuzte sich die Nase nochmals tüchtig durch. Diesmal ins trockene Tüchlein.
«Also: Die Zirngibel hat mir einen Tipp gegeben. Sie hat die zwei nun bereits mehrmals zusammen in den?Löwen? verschwinden sehen.? Da haben bei mir natürlich die Alarmglocken gerasselt. Ich ging ihnen nach? und als sie nach zwei Stunden aus diesem Tingeltangel-Hotel kamen, wusste ich bescheid: Karl war so echauffiert und rot im Gesicht, wie ers sonst nur noch beim «Schieber» wird, wenn das Schicksal ihm vier Bauern mischelt?»
«? und du meinst wirklich, dass die beiden dort??»
Hildi versuchte mit ihrer Skepsis Elsie nochmals anzuheizen.
«NATÜRLICH? JEDER WEISS DOCH, WAS?DER LÖWEN? FÜR EIN HOTEL IST: unten der Walzer? oben der Balzer. Zuerst holt man sich im Dancing beim Tango Appetit? dann wird in der obern Etage die Lust ausgepackt. Ach Hildi?!»
Elsie trat wieder über die Ufer. Und Hildi konnte eben noch den Einwand «Aber Walti kann doch gar nicht tanzen?» einbringen, als die völlig entnervte Freundin in den Hörer schrie: «EBEN! DER GEHT DIREKT NACH OBEN? und so etwas muss ich drei Tage vor meiner Silberhochzeit erfahren?»
Es kam das übliche Lamento: «Alles habe ich für ihn aufgegeben? jeden hätte ich haben können? wenn ich nur an Albert denke, ein so wunderbarer Tänzer, und Walter kann bis heute noch nicht mal den Coiffeurschritt? und dies, wo ich so gerne walzere. Aber nein? jeden Donnerstag muss ich mit ihm zu den Toblers zu einem Schieber. Mein Leben war nur Verzicht. VERZICHT? Hildi. Und dann kommt so eine devote Miefziege, wie diese Anne-Trudy Brutschin und macht ihn heiss? HABE ICH SO ETWAS VERDIENT?!? und wo ich ihr erst kürzlich noch ein Fläschlein «Air du Temps» ins Büro mitgegeben habe, weil sie mit Walter immer Überstunden machen muss und?»
Elsies Selbstmitleid endete in einem Sturzbach an Tränen und dem Vorsatz: «Morgen, am Silberhochzeitstag stelle ich ihn zur Rede. Dann werden die Koffer gepackt? zieh bei dir schon mal das Gästebett an, Hildi!»
«Wird gemacht!», tönte es auf der anderen Seite. Doch dann drückte Elsie abrupt den «Aus-Knopf», weil sie den Gatten an der Türe hörte.
Der rief in die Küche : «Morgen Abend essen wir wieder mal auswärts? wir treffen uns um halb acht vor dem?Löwen?!»
Der Silberhochzeitsmorgen begann dann grau in grau: Aprilregen.
Und kein Blumenstrauss auf dem Frühstückstisch. «Bis heute Abend, Liebes?», lächelte Walter.
«Typisch? Hochzeitstag vergessen!», tobte es in Elsie.
Als sie dann Walter mit seiner Sekretärin vor dem?Löwen? stehen sah, gabs kein Halten mehr: «WAS TUT DIE HIER?!»
Anne-Trudy Brutschin seufzte: «Das frage ich mich allerdings auch? das ist nun schon der zwölfte Nachmittag, wo ihr Gatte mich zur Tanzstunde mitschleppt? aber der schnallt das nie. Hoffnungslos? dabei wollte er Sie zur Silberhochzeit als bravouröser Tänzer überraschen? ach ja: herzlichen Glückwunsch.»
Am selben Abend noch telefonierte Elsie mit ihrer besten Freundin aus dem Dancing im «Löwen»: «Falscher Alarm? du kannst das Gästebett wieder abziehen, Hildi?»
Und am darauffolgenden Morgen liess sie Anne-Trudy Brutschin ein Päckchen mit «Air du Temps» schicken.
Dann salbte sie ihre lädierten Füsse, auf denen Walter einen Abend lang den Coiffeurschritt ausprobiert hatte, mit Wundcreme und rief ihren Mann im Büro an:
«Es war eine wunderbare Idee, Walter? aber künftig halten wir uns wieder an den Schieber?»

Montag, 14. April 2008