Das einzige Schmuckstück, das die Kembserweg-Omi besass, war ein dünnes Silberkettchen, an dem ein Amulett baumelte. Das Täfelchen zeigte die heilige Barbara und deren gütiges Lächeln. Das Lächeln war gegen Gicht, saures Bier und Krampfadern.
Bei den Klunkern meiner Mutter rümpfte die Omi die Nase: «Alles viel zu protzig gefasst - solche Briller tragen sie nicht mal auf dem Strich?» Und Mutter gab ihr die Gemeinheiten hochkarätig zurück: «Wir können nicht alle fassungslos durchs Leben stampfen, liebe Anna!»
WIE GESAGT - DAS WAR ZU EINER ZEIT, ALS DIE SCHMUCKMESSE NOCH MIT DEM MAGGI-BOUILLON UNTER EINEM DACH STECKTE.
Natürlich hätte die Kembserweg-Omi auch gerne Klunker gehabt. Deshalb griff sie in ihren Märchen tief in die Schatullen und behängte bei den Erzählungen sämtliche Königsfamilien mit «Diamanten, so gross wie Kinderköpfe». Als ich die Omi einmal fragte, weshalb sie selber denn keine Briller trage, klopfte sie mir eine Kopfnuss: «? Dummilein, soll ich damit die Besen schmücken? Leute wie unsereins freuen sich schon, wenn das Bierfläschlein funkelt?»
Mutter nahm mich auf die Seite: «Das war sehr unfein, deine Grossmutter auf ihr schmuckloses Äussere anzusprechen? Doch selbst wenn wir sie mit Ketten und Funkelsteinen behängen würden, wäre das Ganze so unpassend wie ein Dreikaräter an der Bratwurst. Für Schmuck muss man geboren sein?»
Zoff gabs dann, als ich zum Kirchgang die bernsteinigen Rosenkränze meiner anderen Oma um den Hals baumeln liess. Frau Zimmerli, meine protestantische Religionslehrerin schüttelte den Kopf: «Ach -minuli. Das ist doch die andere Gilde? und schon gar nichts für einen grossen Buben...»
ZU HAUSE ERWARTETE MICH DANN DAS GESCHREI DER GROSSMUTTER: «DU HAST DAS ROSARIUM ENTWEIHT!» Rosarium? Es war bloss meine Eigeninszenieurng von «Frühstück bei Tiffany».
Als das pubertäre Alter kam, wo ich Frösche küsste und hoffte, es würden Prinzen mit Kronen draus, erbarmte sich Mutter.Und versprach mir zur Konfirmation einen Goldring. NA BINGO - ER WURDE EINE RIESEN-ENTTÄUSCHUNG. Kein Funkeln, kein Glitzern - nein, ein trauerschwarzer Onix mit dünnem Goldreifchen. Damit hätte die Omi nicht einmal Aschenputtel geschmückt. «Nur Zuhälter und Tanzlehrer stecken sich Brillanten an?», zischte Mutter, als ich den Onix heulend zu den anderen Konfirmationsgeschenken schmiss.
Omi knuddelte mich. «Wir sind nun mal beide nicht dafür geboren!» Mühsam löste sie ihr Silberkettchen vom Hals: «Da - die Barbara hilft nicht nur bei Krampfadern und Gicht. Sie hilft Dir auch ein Leben lang Deine Träume zu bewahren?»
Meine Grossmutter starb schmucklos - aber mit diesem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, das mehr als tausend Brillanten strahlte.