Ostern und die Lust aufs Ei...

Also. Das mit Ostern war nun wirklich nicht so heiss, wie Weihnachten.
Klar. Der Hase mit dem Nest war ganz okay. Und das «Eierdätsche» hat die ersten drei Mal Spass gemacht. BIS WIR MERKTEN, DASS VATER SCHUMMELTE.
Unser Obergockel gewann auf der ganzen Linie. Und benutzte dafür ein Metallei. Da konnte die Mutter dann noch so lange jammern: «Aber, aber Hans? UNS ALLE SO ZU BESCHEISSEIERN. Du bist doch kein Kind mehr!» FÜR UNS HATTE DER ALTE DEN EIERKNALLWETTBEWERB GESCHMISSEN. Wir kamen uns richtig vereiert vor. UND DIES VOM EIGENEN VATER!
Vor Ostern fehlte und fehlt mir auch heute noch das Verzauberte einer Adventszeit. Dieses Geheimnisvolle, Verträumte.
Kommt dazu, dass im Frühling keine Backwolken durchs Haus schweben, niemand dem Süssmaul Teigresten in den Mund steckt oder Päckchen mit roten Seidenbändeln durchs Haus trägt.

Mein Vater war ein Naturmensch
Die Vorosterzeit war oder ist einfach nur Spinat mit Spiegelei (Gründonnerstag). Kabeljau an Zwiebelschweize (Karfreitag). Und: «Jetzt wollen wir mal schauen, wo der Osterhase die schönen Sachen versteckt hat...» (Ostersonntag).
Das Aufsuchen von harten Zucker-Eilein, weissen Schokohasen und total überzuckerten Gelatine-Hühnchen war nun wirklich nicht mein Sport. Vater verteilte die Dinger als Naturmensch auf allen Bergen. Bis das plattfüssige Kind dann endlich am Nest war, waren die Ameisen schon längst darüber. DA KONNTE DOCH GAR KEINE FREUDE AUFKOMMEN!
Ich erinnere mich an jenes entsetzliche Osterfest, als die arme Drämmlerfamilie dem Ruf der nicht so armen, andern Seite folgte. Die Grossmutter des eleganten Parts verbrachte Ostern nämlich stets am Genfersee. Für einmal wollte sie mit den Enkelkindern dick angeben.
Also wurden wir nach Montreux gepfiffen.
Rosie und ich maulten, weil die Reise mit tausend Ermahnungen gesalbt war: «Popelt nicht in der Nase... lasst das Nägelkauen... und redet nur, wenn ihr gefragt werdet!» Na? FROHE OSTERN!
Und weshalb überhaupt in die Ferne schweifen, wo das Nest daheim so nah?!
Nun gut. Wir wurden im «Palace» vorgeführt wie dressierte Pudel. Mein Vater kam nicht ins Spiel, da die Schwiegermutter ihn als «Chauffeur meiner Tochter» aus dem gesellschaftlichen Verkehr gezogen hatte. Er war so etwas von stinkesauer, dass er sich an der Bar besoff und in Familienkreisen der Tag vor Ostern später nur noch «der blaue Samstag» genannt wurde.
Als die Kleinen am Ostersonntag dann auf die süssen Nester bestanden, stellte sich heraus, dass sich diesbezüglich die Familie ganz auf die Gastgeberin, also aufs Vornehme der Grossmutter verlassen hatte. Diese aber nannte die köstlichen Naschsachen «das süsse Gift des Teufels». Sie legte uns als christliche Alternative eine lausig illustrierte Kinderbibel auf die Frühstücksserviette: «Davon bekommt ihr ein reines Herzlein und keine kaputten Zähne!»

Retourkutsche am Palmsonntag
JA HALLO? DA KAM ABER KEINE FREUDE AUF, KANN ICH EUCH HUSTEN!
Enttäuschter war ich nur noch an meiner Konfirmation, als der Pfarrer mir den Spruch «Du sollst keine Unwahrheiten verbreiten...» in Pergament gerollt in die Hände drückte. Dem alten Knacker waren meine ersten Berichte in der damaligen «National-Zeitung» ein böser Dorn im Fleisch. Er schrieb tonnenweise Leserbriefe, die nie gedruckt wurden. Die Jodelclub-Vereinsberichte seines schlechtesten Unterrichtsschülers brachten die Redaktoren aber gross aufgemacht mit dem Titel:
«ES SINGE, WEM GESANG GEGEBEN.» Da kam grosser Neid im ansonsten so rein aufpolierten Herzlein des Herrn Pfarrer auf. Und am Konfirmations-Palmsonntag dann die Retourkutsche:
HALLELUJA.
Nein? Ostern war als Kind nie mein Fest. Weiss der Himmel, weshalb. Aber für mich hing da stets ein Hauch von Traurigkeit und Tränen über dem Ganzen.
Weihnachten hingegen machte mich glücklich, froh («Lasst jauchzen die Herzen!»). Doch um Ostern wehte stets dieser Wind von Tod, von Marder und leerem Grab. Klar. Die Geburt des Kindes warf hellere Seiten als die Ermordung des jungen Mannes am Kreuz. Da konnte auch der Hase, den sie später zum Fest aus dem Zylinder zupften, die düsteren Schatten nicht mehr wegnesteln.
Ich vermute stark, dass mir vor allem der stark protestantische Einfluss in unserer Stadt Ostern arg vermiest hat.
Ich meine: Karfreitag galt (und gilt heute noch) für Protestanten als höchster Feiertag. Von diesem Freitag stammte auch der Spruch (wenn wir als Kinder etwas gar zu heiter herumtollten): «Wer am Freitag lacht und singt, weint am Sonntag ganz bestimmt!»
AM KARFREITAG GABS FISCH? ABER NIE EIN LÄCHELN AUF DEN LIPPEN.
Die Frauen trugen zum Zeichen der Trauer um IHN Dunkel bis Schwarz.
Die Männer, welche dem Elend in die Beiz entfliehen wollten, sahen sich vor verrammelten Toren: «KARFREITAG GESCHLOSSEN!» Kino zu. Theater: Pause. Dazu kam, dass es an einem Karfreitag meistens in Strömen schüttete? ER verstand sich da auf Regie.
Natürlich hätten wir Kleinen zumindest ausschlafen wollen? ABER NICHTS DA! Wir wurden mit kaltem Wasser gewaschen und in die Kirche geprügelt.
Nach dem vermaledeiten Kabeljau gabs dann den Karfreitagsspaziergang.
In unserem Familienalbum steckt heute noch ein Bild: Frauenreihe in Schwarz mit Pillbox-Hütchen und heruntergezogenen, feinen Schleiergittern.
Als Vortrab der kleine Bub in braunen Knickerbockers und mit Schildmütze. Die Frauen zeigen auf ihren Gesichtern die eiserne Entschlossenheit: «Es gibt nichts zu lachen!» Das Kind aber schaut mit einer solchen Hoffnungslosigkeit in die Linse, die es so nur noch einmal im Leben öffentlich zur Schau trug? damals, als es auch beim dritten Anlauf die theoretische Autoprüfung nicht bestanden hatte.
Man könnte nun meinen: Zuckereier, Schokohasen und die bunten Süssigkeiten hätten das verfressene Kindermäulchen verführen können. KONNTEN SIE NICHT.
Das Kind hatte nämlich nur eines im Kopf: EIN PRALINENEI.
Schon damals wurde dem kleinen Buben klar, wie ungerecht die Geschlechteraufteilung von IHM war. Und welchen süssen Vorteil die Frauen damit rausschinden konnten.
Das Pralinenei war für mich DAS GRÖSSTE. Das Herrlichste. Das Gelbe vom Ei, sozusagen.
Das lag weniger an den Truffeskugeln, Mokkamöndchen und Pistazienplätzchen, welche die Halbeischokoschale anbot? ES LAG VIELMEHR AN DER RIESIGEN SEIDENSCHLAUFE MIT DEM EINGEWOBENEN TÜLLKNÜLLCHEN UND DER STOFFROSE, DIE DAS MAGISCHE EINES PRALINENEIS AUSMACHTEN.

Zuckereilein für den Bub
Und nun das Unverständliche, Ungerechte: Solche Prachttüllseidenschleifen-Eier waren nur für Erwachsene reserviert.
Vater schleppte sie seinem ganzen Harem an. Die Konditoren jener Zeit müssen ein Vermögen an den Eiern meines Erzeugers verdient haben.
Selbst der bissigen Schwiegermutter wurde so ein Seidenschleifenstück zum Giftzahn gerollt? DAS KIND JEDOCH WURDE RINGSUM MIT BILLIGSTEN ZUCKEREILEIN UND GRINSENDEN MILCHSCHOKOHASEN IN CELLOPHANPAPIER ABGESPEIST. DUTZENDWARE, DIE SCHON EINEN TAG NACH DEM HEILIGEN CHRIST AUFS FLIESSBAND KAM. Dass sie diese Dinger dann auch noch versteckten, machte die Enttäuschung nicht geringer. Tausendmal hatte der kleine Bub um ein grosses Ei mit Schleife gebettelt. Tausendmal wurde ihm gesagt: «Der Osterhase bringt das nur für Erwachsene!» Und tausendmal hat es den Osterhasen für dessen enghasenhirniges Schablonendenken zum Teufel gewünscht.

Die Hoffnung aufs Pralinenei
Später, als der Bub zum Mann heranreifte, wurden ihm eh keine Nester mehr gelegt. Nur der Vater schleppte seinen Weibern noch immer die Seidenschleifigen an. DIESBEZÜGLICH WAR ER DEM NEST NIE ENTWACHSEN!
Der junge Mann hoffte nun auf das Pralinenei. Aber wieder kam der herbe Schlag mit dem Schablonendenken:
«DAS IST DOCH NICHTS FÜR MÄNNER... DAS IST NUR FÜR FRAUEN!»
Es kann sehr wohl sein, dass diese kleinkarierte Eier-Schablone meine etwas frustrierte Haltung zu Ostern beeinflusst hat.

Fisch? aber nie ein Lächeln
Natürlich könnte ich mir heute selber so ein Schleifen-Ei legen. Aber wer tuts schon selber? Ist doch nicht dasselbe... Fisch? aber nie ein Lächeln. Die wahre Freude an Ostern habe ich erst viel später in Italien entdeckt.
Hier ist Weihnachten kein Thema. Die Geburt von IHM wird zwar in den Kirchen mit viel Singsang umsummt, aber Geschenke für die Kinder gibts nur am Dreikönigstag. Und den Weihnachtsbaum schmücken sie auch erst, seit die amerikanischen Housewife-Serien auch der calabresischen Nonna den lustigen Father Christmas in die Stuben geschleppt haben.
DOCH OSTERN? JA HALLO! Da geht der Hase richtig ab. Allerdings nur sprichwörtlich. Meister Lampe sieht man auf dem Stiefel nämlich nur selten? und wenn, dann höchstens an Rotweinsauce.
Im Vordergrund steht vielmehr seine Freundin: das Huhn. Und dann die Taube, die in gebackener Biscuitform auf jeden Osterfrühstücks-Tisch geflogen kommt.

Das Schlemmerfest an Ostern
Enorm wichtig ist die Esserei.
Ostern bedeutet in den südlichen Ländern nämlich noch für viele: Ende der Fastenzeit. UND NUN RAN AN DEN SPECK!
Nie sind die italienischen Tische üppiger als an einem Ostersonntag. Das Lamm ist Tradition. Vorher gibt es die verschiedensten Pasta-Gerichte. Im Norden serviert man gebackene Gemüse, Lasagne mit jungem, grünem Spargel, Carciofi fritti? im Süden: gebackene Calamari, gesottene Tintenfische, eingemachte rohe Sardellen, Zuppa di Vongole und alles, was das Meer zu bieten hat.
Ein richtiges Ostermahl sollte aus 66 Gängen zusammengesetzt sein. Das Schlemmerfest beginnt nach dem Kirchgang. Und hat um Mitternacht noch immer nicht aufgehört.
Das harte Ei auf Salat ist nicht sonderlich populär? beliebt jedoch sind Überraschungseier.
In allen Konditoreien locken sie kindergross und wunderschön mit Zuckerblumen verziert. Das Tolle: Ein italienisches Überraschungsei birgt stets ein Goldklunkerchen, eine Gucci-Stola oder zumindest eine Espressomaschine im Innersten. Man(n) bringt das Geschenk zum Konditor. Und der baut die Eiergeschichte darum herum.
Wen wunderts, dass mir neben dem schweizerischen Seidenschleifen-Exemplar dieses haushohe Überraschungsei ebenfalls so richtig ans Herz gewachsen ist.
Allerdings, als ich meine Freunde darauf ankickte und diesbezüglich meinen Wunsch durchblicken liess, löste das Ei-tel Erstaunen aus: «Heee, ragazzo! DAS IST DOCH NUR FÜR FRAUEN!»
Ostern wird auf der ganzen Welt immer wieder anders gefeiert? NUR DAS SCHABLONENDENKEN RUND UMS EI IST ÜBERALL DASSELBE GEBLIEBEN!

Sonntag, 8. April 2012