Kleinkind

Natürlich kann ich nicht mitreden.
WIR HABEN JA KEINE.
Es wurde immer wieder versucht. Umsonst. Innocent und ich sind 38 Jahre ohne geblieben.
Aber natürlich waren wir selber mal welche. Wenn auch sehr unterschiedliche.
Innocent soll - wenn man der Begeisterungssülze seiner Basler Kathrinchen glauben soll - «ein allerliebstes Kind» gewesen sein. Noch heute ufert sie total aus: «Immer hat er gestrahlt wie ein ganzes Atomkraftwerk? kurz: Er war einfach ein Schatz, den man knuddeln musste. Und alles knuddelte?»
NA DANKE.
Ich habe die Resten von all dem Schönen bekommen. Und das ist nicht mehr viel.
FRAGE: KANN DIE ZEIT SO GRAUSAM SEIN?
Wie gesagt: Ich hätte gerne welche gehabt. Alleine schon, damit mir jemand die Schuhe putzt, den Kaffee ans Bett bringt und den Tisch deckt.
KLAR. DENN SO ETWAS MUSSTE ICH ALS LIEBREIZENDES KIND NÄMLICH AUCH. Wenn ich rummaulte, bekam ich eine hinter die Ohren geklebt. Und als ich das Milchmanngeld im ganzen Quartier aus den Kesseli klaute, den Arsch voll?
Jawohl. Es hat mir geschadet! Ich trinke seit damals keine Milch mehr.
Irgendwie habe ich dieses Kindsein überstanden. Für die Strafen, bei denen ich ohne Nachtessen ins Bett musste, rächte ich mich später als erwachsener Sohn genüsslich: Ich setzte den Alten an einem Ostersonntag unerbittlich Gigot vor. Das Einzige, das Vater und Mutter nach der Silberhochzeit nämlich noch einte: Sie mochten beide kein Schaffleisch. ICH NAHM DEN ÄLTESTEN BOCK. DAS WAR SPASS!
Natürlich kann man sich als ausgewachsenes Kind später für vieles bei den Alten revanchieren. Von «jetzt wollen wir mal alles ausdiskutieren» halte ich nichts. Das bringt ZERO. Wie damals, als mein Erzeuger der Kembserweg-Omi nach 44 Jahren vorwarf, sie habe dem Gatten immer ein Spiegelei mehr gebraten als dem Sohn, der die Eier nötiger gehabt hätte?»
Die Omi fiel aus allen Wolken, als meine Mutter sie daraufhin anfuhr «EIEI - JETZT SCHAU MAL, WAS DU DA ANGESTELLT HAST!: eine Mann gewordene Ei-Psychose!
Kürzlich nun waren wir bei den Mattmüllers zu Gast. Sie haben Nachwuchs. Das Kleinkind windelt noch, wackelt seine ersten Schritte und gibt Laute wie «dada? bibi? guggu?» von sich.
Solches bringt die Eltern total aus dem Häuschen. Sie strahlen dann wie Weihnachtsbeleuchtungen und interpretieren dieses Dada-bibi-guggu-Geblabber so wild wie Feuilleton-Kritiker die Regieeinfälle der letzten Schauspielpremiere.
WENN SO EIN KLEINES SCHREIBALG AUFTRITT, HAST DU NULL CHANCEN, SAGE ICH EUCH. NULL!
Ich hätte an diesem Abend beispielshalber gerne über mein neues Fernsehprojekt gesprochen und über diese hervorragende Rezension meines «Du darfst»-Buchs in der Metzger-Zeitung.
ABER NEIN: DADA-BIBI-GUGGU!
Meine Konversation wird von einem windelscheissenden Kleinbalg einfach im Keime erstickt. DIE STRAHLENDEN ELTERN SIND GEISTIG IN VERKLÄRUNG WEGGETRETEN, WIE JUNKIES AUF DEM DROGEN-TRIP:«Ist er nicht allerliebst??»
Sechs Mal habe ich versucht, meine Person richtig in Szene zu setzen. UMSONST. Jedes Mal hat mir der kleine Scheisser - bibi? guggu! - die Schau gestohlen.
Und sollte mich jemand später mal über ihn ausfragen: ER WAR EIN GRAUENVOLLES KIND!

Montag, 2. April 2007