Klaustrophobie

Als ich vor über 30 Jahren mit meiner Mutter in Kairo war, wollte sie:
Erstens aufs Kamel. Zweitens drei Teppiche. Und drittens in die Cheopspyramide rein.
Bei Kamel und Teppichen machte ich mit. Das Kamel bekam mir allerdings nicht sonderlich. Denn obwohl ich damals noch recht gelenkig war, schüttelte mich dieser kleine Wüstenritt durch. Dann wollte die Mutter, dass ich fröhlich in ihre Scheisskamera winke. Sie drückte ab, als ich sonniglächelnd vom Sattel fiel.
DER EITLE STÜRZT TIEF!
Na, jedenfalls hat sich der Kameltreiber herzhaft den Rock vollgelacht, und Mutter zischte wie die Schlange, die Kleopatra gekillt hat: «Du bist und bleibst ein Bewegungstrottel!» Dass ich beim Tiefflug den Arm total verstaucht hatte, interessierte niemanden.
Wir trafen dort einen Mann, der sich als «Jusef» vorstellte und die Hand nicht nur zum Gruss ausstreckte. Meine Mutter salbte Letztere mit diesen verknitterten Banknoten, die auch heute noch das Leben in Kairo machen. Jusef? mein Gott, sicher schreibt man das anders, aber es tönte einfach so, und was ich gehört habe, habe ich gehört? nahm uns mit zum Eingang der Pyramide. Er zündete eine Kerze an. Und hiess uns zu folgen.
Wir mussten uns tief bücken, um ins Innere zu gelangen. Ich ging für einen Moment hinter Jusefs langem Rock und der Kerze her. Ich hörte noch wie Mutter sagte: «Die stauben hier aber auch nie ab...», und dann drehte ich mich um, sah das kleine Licht des Eingangs und jagte in Panik ins Freie. Als ich das Licht dieser Erde wieder voll um mich hatte, knickte ich ein wie ein Schweizer Militärmesser. Mein irdisches Sein entfloh dorthin, wo die ägyptischen Götter daheim sind.
Später kam ich wieder zu mir und sah als Erstes in den stinkenden Mund eines Kamels. Der zweite Blick ging zu den tadelnden Augen meiner Gebärerin: «Und dafür habe ich fast 40 Pfund ausgegeben? du bist ein Weichei!» Sie war so verärgert, dass sie den Teppichkauf ausliess.
Ärzte in Basel haben mir später erklärt, das Phänomen dieser Art von Panik nenne man KLAUSTROPHOBIE. Es sei weltweit verbreitet.
Wie mich nun Ahmed, mein ägyptischer Freund, mit dem ich in Rom die Schulbank von Dante Alighieri gedrückt habe, nach 30 Jahren wieder vor «seine» Pyramiden schleppt, lasse ich die Kamele gleich mal aus. Sie sind zwar immer noch da und haben immer noch diese Schaufelzähne. Aber: «Ich gehe auf kein Kamel. Und ich gehe in keine Pyramide...»
Ahmed aber hat wie meine liebe Mutter einst den Führer bereits bestellt. Ich erkläre dem Guide mein Problem. Er nickt. Sagt, er kapiere vollkommen. Und er werde mich also in eine der kleinen Grabkammern führen, die erst seit 15 Jahren zugänglich seien? hell und wunderbar.
Dann streckte er mir die Hand entgegen. Und ich nahm, grüsste und salbte sie. Remzi, der Guide, zeigte mir dann alles Wunderbare einer neu erforschten Grabstätte. Es war ein kleiner Raum, gleich unter dem Wüstensand, na sagen wir mal so eine Art Einzimmerwohnung mit Nahrungskammer und Stüblein, wo die Toten sich ihres Lebens erfreuen konnten.
Da die Grabkammer öffentlich nicht zugänglich war, wurde sie von einem alten Mann bewacht. Dieser öffnete ein riesiges Sicherheitsschloss (nachdem ich ihn gegrüsst und gesalbt hatte)? und so kamen wir überhaupt rein.
Dummerweise sah eine japanische Touri-Gruppe die offene Blechtüre. Sie wuselte in die Grabkammer rein. Und das machte den Wärter so wütend, dass er die Meute wie der Höllenhund persönlich rausbellte. Und verärgert das Eisentor zum Grab wieder abschloss.
ABER: ICH WAR NOCH DRIN!
Es gibt nicht mehr viel zu erzählen. Da ich älter und vernünftiger geworden bin, bekämpfte ich meine Klaustrophobie mit dem Absingen schweizerischer Volksweisen. Sie öffneten das Sicherheitsschloss, als ich eben das «Vogellisi-Lied» anstimmen wollte.
Ahmed hat so herzlich gelacht, wie der Kameltreiber damals, als mich das Höckervieh vom Rücken geworfen hatte.
Später habe ich drei Teppiche gekauft. Das hätte meiner Mutter wieder gefallen.

Montag, 23. März 2009