Hochzeitstag

Erna lag früh wach. Erstens schnarchte ihr Nebenan einmal mehr wie ein Walross. Und zweitens plagte sie ihr Rücken.
"Die Jahre", seufzte sie. Sowohl sie wie die Matratze waren alt geworden. Aber die Matratze konnte man zumindest auswechseln.
Dann flogen ihre Gedanken erfreulicheren Dingen zu: "ob er daran denkt?"
Sie lächelte vor sich hin. Die Chance war gering. Er vergass ihn jedes Jahr. Und wenn sie ihm dann Vorwürfe machte, kam er wie ein verregneter Dackel mit einem Säcklein Pralinen heim. Nougat. Weil er die so gerne mochte.
Sie hasste Nougat. Aber sie liebte ihren Mann. Seit 36 Jahren.
Erna angelte sich die Pantoffeln. Und ging in die Küche. Sie beschloss den Frühstückstisch besonders festlich zu gestalten. Sie schnitt vom Salami auf, den Hugo so liebte. Der Arzt hatte ihn strikte auf die rote Liste gesetzt. Das Cholesterin spielte bei beiden verrückt.
"Naja, für einmal...", lächelte Erna.
Dann setzte sie den Kaffee auf. Jubiläumsmischung.
Als Hugo später im Pijama am Tisch sass, mit einer Hand die Zeitung umblätterte und mit der andern in der Tasse rührte, da wusste sie: "WIEDER NICHTS!".
Wie jedes Jahr ging sie das Gedankenspiel durch: "werf ich ihms gleich an den Kopf... lasse ich ihn ein bisschen zappeln?... lege ich mit Vorwürfen los... und was schinde ich aus seinem schlechten Gewissen heraus?... Das Jäckchen von Missoni?... oder die kleinen Ohrringe mit den Brilläntchen?".
Hugo angelte sich mittlerweilen ahnungslos vom Salami. Schaute dann verwundert auf - und schüttelte missbilligend den Kopf: "Du weisst doch, dass Wurst eine Cholesterin-Bombe ist..."
Er streifte das Rädlein wieder von der Gabel.
Erna griff danach und strich im Frust auch noch fingerdick Butter auf den Gipfel: "Hugo - was werden wir zwei heute abend anstellen?" (also das war ja dick genug mit dem Zaunpfahl gewunken - wenn er's jetzt nicht schnallte...)
Hugo schaute erstaunt von der Zeitung auf: "Ich weiss nicht, was Du anstellst. Aber ich werde mit Otto kegeln gehen..."
"Aha", sagte Erna. Und begann nun doch leise zu sieden. In Gedanken kaufte sie die Ohrringe und das Missoni-Jäckchen.
"Hugo - welchen Tag haben wir heute?"
Nun schaute Hugo wirklich verärgert von der Zeitung hoch: "MITTWOCH - sonst würde ich ja nicht kegeln gehen!"
Eine Stunde später als Hugo bereits im Geschäft war, nervte sich Erna, dass sie ihn einfach szenenlos hatte ziehen lassen. Aber "MITTWOCH!" hatte ihr den Gong versetzt.
Sie beschloss Catherine, ihre beste Freundin zum Nachtessen einzuladen. Sie deckte einen kleinen Festtagstisch mit einem Blumenmilieu, dessen Preis Hugo zu Schweissausbrüchen getrieben hätte. Dann steckte sie sich die neuen Brilläntchen ins Ohr.
Catherine sah später die Missoni-Jacke sofort: "Steht Dir grossartig!"
"Er hat's wieder vergessen" schnüffelte Erna. Und Catherine wusste bescheid.
Als die beiden Freundinnen beim Kerzenlicht sassen und die Männer auseinander nahmen wie Witwe Bolte ihre Hühner, kam Hugo herein. Er trug ein Päckchen mit Pralinen in den Händen. Nougat vermutlich.
Vorwurfsvoll schaute er seine Frau an: "Erna - weisst Du eigentlich welchen Tag wir heute haben?"
"MITTWOCH", sagte sie.

Montag, 9. Mai 2005