Helden sind mir SUSPEKT.
Vater war einer. Zumindest hielt Mutter ihn dafür. Er hatte sie aus einem bürgerlich gehäkelten Leben erlöst.
Als die zu Erlösende ihren Abenteurer der Familie vorstellte, soll die Oma ihre Augen himmelwärts gerichtet haben: «Mein Gott!»
«Mein Held genügt» - grinste Vater. Und jeder wusste, da kam einer, der mit dem Schwert das Eng-Gestrickte der Töchter auseinanderbeineln würde?
Vater gefiel sich im Bild des Abenteurers. Er war bergsüchtig. Und folgte dem Ruf der Berge. Er bestieg die Jungfrau noch vor dem Duschen.
Oft kam er mit abgefrorenen Fingern von diesen Abenteuern heim, die er mit Zwieback und Teekocher in notmässig gebauten Schneebiwaks erlebt hatte. Zu Hause verlangte er dann vorgewärmte Teller.
Später gab er mit noch eingebundenen Händen die Fotos herum, die ihn mit aufgeschwollenen Lippen in der schneeumtobten Eislandschaft zeigten.
«Mein Held», seufzte Mutter.
«Mein Gott», sagte die Oma wieder.
An jenem Tag, als Vater mit seinem besten Freund in die Kletterwände loszog, alleine zurückkehrte und ich ihn zum ersten Mal weinen sah, beschloss er dem Abenteurer-Leben ein Ende zu setzen. Der gute Wille war da. Er dauerte drei Wochen - dann kam wieder dieser Ruf der Berge?
Held sein wollen ist eine Sucht wie der Schrei nach Heroin. Oder nach Schnaps. Nur die Etikette ist romantischer.
Im Fernsehen hatte 3-Sat nun eine Serie im Kasten, die uns Abenteu(r)er der Eisklasse vor Augen führte. Sie zeigte Männer, welche zu Fuss durch die Arktis laufen wollten (und nach zwei Tagen wieder mühsam gerettet werden mussten). Wir sahen Abenteurer, deren Schiff einfror wie der Eiswürfel im Tiefkühlfach. Und sie zeigten Menschen, die mit ihren Abenteuern hoch hinaus wollten - genauer: auf über 8000 Meter. Ein Mann wurde von Kulis verletzt zurückgetragen. Ein anderer verkündete strahlend, wie er sich mehrmals die Hosen vollgeschissen habe. Und eine Frau mit Herzklappenfehler erzählte, wie der Anblick von zwei eingefrorenen, toten Männern ihr schier den Gong gegeben hätte. Sie werde diese Bilder immer in ihrem Herzen tragen.
BINGO.
Gottlob hatte sie für dasjenige mit dem Klappenfehler Coramine dabei.
Als kleines Kind habe ich mehrmals meine Mutter heimlich weinen gesehen. Eine bleierne Ungewissheit lähmte das Leben im Chalet. Und die vom Abenteuer Ausgeschlossenen stierten immer wieder aufs Telefon, wo man seit Tagen auf eine Nachricht von Vater wartete.
Ich weinte nicht.
Ich haderte nur mit dem Helden, der uns solches antat. Ich betete zu den Himmlischen, sie möchten sich doch endlich seiner und unser erbarmen. Damals begann ich die Berge zu hassen, die den Helden nicht in Ruhe lassen konnten.
Später, als Vater mit 80 Jahren immer noch voller Stolz die Erinnerungen herumreichte, die ihn verwildert auf einem Schneegipfel zeigten: («? hier hatten wir alle mit dem Leben abgeschlossen!»), da habe ich ihn einmal gefragt, was denn das Ganze gebracht habe.
Er schaute auf: «Gebracht? Es hat mir eine Genugtuung gebracht - ich wollte es einfach schaffen!»
Derselbe Held hatte Mutter in Panik an die Türe geschickt, als der Pfarrer beim Konfirmandenbesuch über die seltsamen Neigungen des Kindes sprechen wollte.
Das Kind hatte einen andern Ruf als die Berge?
Helden
Dienstag, 30. Januar 2007