Heisser Kaffee

Ohne geht gar nichts. Sorry. Aber da bin ich wie der Motor ohne Öl.
NICHT ZU GEBRAUCHEN.
Das war schon mit der Omi so. Morgens um halb sechs hangelte sie nach ihren abgeschlurbten Pantoffeln. Kratzte sich im Haar. Und humpelte in die Küche.

Bald schon züngelten blauzitternde Gasflämmchen vom Eisenherd. In einem Pfännchen kochte sie ein teerschwarzes Gebräu auf: der Restkaffee der letzten drei Tage.
Schliesslich schüttete sie alles in eine der grossen, roten Tassen mit den weissen Tupfen drauf. Im zweiten Pfännchen wollte mittlerweile eben die Milch hochräuseln. Hurtig goss sie die Omi zum schwarzen Kaffee - etwas Undefinierbares, Graues dampfte nun aus der Tupfentasse.

Der absolute Schocker: Oben auf dem Kaffee schwammen wulstige Fetzen - Rahmpelzchen, weil die nicht uperisierte noch entrahmte Milch jener Zeit beim Aufkochen «Schlämpen» abgab.
Diesen verrunzlten, dicklichen Rahm hat Mutter stets abgesiebt und in einem Krüglein aufbewahrt. Am Freitag, dem sogenannten Wähentag, wurden die «Schlämpe» dann mit Eiern und Zucker verrührt.
«Das gibt den besten Wähenguss!» - wurde das Prozedere, das Vater jeweils grün anlaufen liess, verteidigt.
Naja. Vater hat stets auf die Wähe verzichtet und einen Klöpfer verlangt.

Zurück in die Tasse der Omi.
Diese (die Omi) bröckelte ein Stück vom alten Tessinerbrot ins dampfende Gebräu. Gebannt hingen wir Kinder an ihrem zahnlosen Mund, der mit lauten Schmatzern und schlürfenden Geräuschen die graubraunen Brocken reinzog.
«So etwas gehört gesetzlich narkotisiert!», regte sich Mutter jeweils über die Omi und deren ganz spezielle Kaffee-Inhaliererei auf. «Sie tönt wie ein asthmatischer Gartenschlauch!» - das ging vorwurfsvoll an Vater, die Adresse der «anderen» Familien.
Und direkt zur Omi: «Mit deinem Gebräu könntest du spielend den halben Erdteil ausrotten!.»

«Mir schmeckts», mümmelte die Omi seelenruhig am letzten durchweichten Brotfetzen herum.
Und Mutter schoss Blicke himmelwärts: «Und dafür hat Brasilien die Kaffeebohne geschlitzt!»

Ähnliche Vögel bekam das Eheweib meines Vaters auch an den Bauernzmorgen, zu denen wir in Adelboden immer wieder von Oeschter?s Gottfried gebeten wurde, wenn Vater ihm einen Brief an die Regierung in Bern schreiben musste.
Die Oeschtersippe hockte am langen Tisch in der dunklen Küche. Hier hing der Rauch des offenen Feuers in jeder Ritze. Oeschters Marie kippte die goldbraune Röschti von der Gusseisenpfanne auf einen grossen Holzteller. Der wurde in die Tischmitte platziert. Vor jedem stand ein «Mucheli» mit Milchkaffee - eine ähnliche Brühe wie bei der Kembserweg-Omi.

UND NUN DER GONG: alle Oeschters stachen mit ihren Kaffeelöffeln von der Röschti ab, tauchten diese in den Kaffee ein - Und mümmelten sich so die Kartoffeln rein.
Mutter würgte. Denn auf dem braunen Kaffee schwammen nun nicht nur die weissen Rahmschlempen. Da gabs auch goldgelbe Fettaugen.
Und:«Wir haben schon gefrühstückt, ihr Lieben!», heuchelten meine lieben Eltern. Und schütteten später zu Hause als Erstes die «Wienermischung» im Melittafilter an.

Heute?
Kaffee ist schlempenloser, fettarmer und stärker geworden.
Knopfdruck.
UND ESPRESSO SCHWARZ!
Ohne geht gar nichts. Siehe oben.

Montag, 13. März 2006