Happy Endings

Der Schluss muss schön sein. Happy. Happy Ending, quasi.
Wenn schon das ganze Leben davor eine mühsame Plackerei und magendrehende Achterbahnfahrt ist, so haben wir uns ein karamelsüsses Regenbogen-Finale echt verdient.

Schon die Gebrüder Grimm haben den grimmen Alltag mit Happy Ends versüsst: Man denke an das wachgeküsste Dornröschen, Aschenputtel, die klein karierte Erbsenzählerin wird zur millionenschweren Pretty Woman? Nur Donald Duck bleibt immer der Blödmann. Die Kembserweg-Omi schnüffelte sich durch Liebesromane, die «Herzblatt», «Die Kronengeschichte» oder «Frau im Glück» hiessen.

Und obwohl ihre Schwiegertochter sie deswegen schalt: «? ich verstehe dich nicht - wie kannst du diesen Mist lesen!», holte sich die Omi die Happiness des Alltags aus den letzten Seiten.
Ihr Alltag war so grau wie die ersten 89 Seiten des Romanhefts: Alles lief aus dem Ruder. Der gütige Arzt (Felix) fuhr nicht auf die Krankenschwester (Anne) ab, sondern erlag den Intrigen der schwarzhaarigen Oberin (Elke).
Erst ab Seite 90 weiss Felix den sanften Liebreiz Annes zu würdigen und schlägt endlich den richtigen Weg zum Happy End ein.

Das gütige Schicksal erschlägt nun die Oberin Elke mittels eines alten Röntgenapparates. So durchgerüttelt gesteht die Sterbende auf dem Totenbett ihre Intrigen - sie geht als Schwarzhaarige von hinnen und mit ihr wird das Übel dieser Welt vergraben.
Die blonde Anne aber sinkt überglücklich in Felix? Arme, weint dessen Arztkittel nass - und wenn sie nicht gestorben ist, so heult sie wohl noch heute?

Die Kembserweg-Omi schnaubte und schniefte durch die letzten Romanseiten wie eine Dampflokomotive bei Steigung 100. Dann wischte sie sich die Augen und schaute Mutter triumphierend an: «Die Blonde hat gewonnen?»
Braucht wohl nicht erwähnt zu werden, dass die Schwiegertochter pechschwarzhaarig und damit alles klar war.

Im Übrigen hatte die Omi ihre ureigene Art das Glück auszulesen: Sie las das Happy End zuerst. Falls dieses nicht so ausging, wie es sollte, warf sie das Heft knurrend in den Abfall: «So ein Schutt. Keine Ahnung vom Leben!»

Als meine liebe Mutter mich mit zehn Lenzen Arztromane und «Edelweiss»-Heftchen schmökern sah, griff sie energisch ein. Sie wollte nicht, dass das künftige Weltbild ihres Kindes aus «schwarzhaarig ist mies und blond ist lieb» bestand.
Sie drückte mir alle diese Literatur in die Hände, die eigentlich keine Literatur, sondern der runtergetippte, triste Alltag ist. Nichts endet hier happy. Alles geht mies aus. Die Liebenden gehen auseinander, die Armen verhungern - und die Krankenschwestern zeigen ihre Möpse.

In den Theaterstücken, wo Mutter mich hinschleppte, triumphierte auch immer das Depressive. Selbst bei Virginia Woolf ging alles schief, weil der Regisseur nicht rechtzeitig einen «Familienberater» rief.
Heute?
Schauen Sie sich die Theaterstücke an. Gähnend langweilig. Alles nur Leben pur. Und kein Häuchlein Fantasie, wie man das alles regenbogenartig schön hinbiegen könnte.
Wir erleben Omis 89 Romanseiten ohne guten Schluss.
Das Happy End ist aus der Mode gekommen. Und die gute Blondine auch.
«So ein Schutt!», würde die Omi knurren. «Keine Ahnung vom Leben?!»

Montag, 12. Juni 2006