Frühlingsgefühle

Mein Vater hat gesagt: «Es hört nie auf!»
Dann hat er acht Rosen einzeln verpacken lassen. Cellophan und so. Sie sahen aus wie Schneewittchen im Sarg. Schliesslich klopfte er bei jeder seiner Freundinnen an. Und überbrachte die Blume samt seinen Frühlingsgefühlen: «Ach Trudy, es hört nie auf!» Dies acht Mal. Und auch nach 80.
Tatsächlich scheinen die ersten sonnigen Warmtage im Jahr den Menschen zu verändern. Es ist wie in dieser Werbung, wo die Leute ihren Grauschleier ablegen. Und nun mit Fröhlichkeit gewaschen sind. Im Tram gaggerts frühmorgens schon lustiger als noch im dösig-eisigen Monat vorher... Jeder hat Gurrendes in sein Handy zu balzen. Denn jedem juckt der Sack.
Selbst Kleinstkinder zeigen sich an ersten Frühlingstagen sonniger. Dieser penetrante, verkrampfte Ton im Dauergeschrei macht einem fröhlich-jauchzenden Triller Platz. Und wenn die Alten nachts immer noch nicht durchschlafen, so sind zumindest die Babys nicht mehr schuld daran. Sondern: Vollmond. Und Frühling.
«Ist es nicht wunderbar, wie die Natur schafft...», hat mein Vater jeweils an solchen warmen Frühlingstagen Verklärtes von sich gegeben. Und wünschte sich ein «leichtes Salätlein» zum Nachtessen. Die ersten Frühlingstage erinnerten ihn daran, die Winterwampe abzuspecken, damit der Sommer eine gute Figur machen kann...
Ich habe von diesem Frühlingstheater nie sehr viel gehalten. Da komme ich nach meiner Mutter. Wenn der Kuckuck erstmals rief, hatte sie nur einen Gedanken. «Hast du genügend Geld im Hosensack?»
Irgendein frühlingshafter Aberglaube spukte da rum, dass man beim ersten Kuckucksruf gut betucht sein muss, sonst würde es ein armes, armes Jahr geben. Zärtliche Frühlingsgefühle waren Mutter peinlich. Und wenn mein Vater ihr die Rose im Cellophan heimbrachte, schüttelte sie missbilligend den Kopf: «Was soll der Quatsch? das hätte doch gut und gerne zwei Fensterreiniger gegeben?!» Frühling bedeutete für meine liebe Mutter: gründliche Putzerei. Da lebte sie die Gefühle aus und war voll in Fahrt.
Für Dichter und Poeten ist der Frühling der Treibstoff, welcher der Feder Vollgas gibt. Jeder meint etwas Wunderbares über die Gefühle in Märzennächten spintisieren zu müssen. Jeder spürt es in sich und will es rauslassen. Die einen gereimt. Die andern einfach nur dem schnörkelloslyrisch Modernen verpflichtet:
FRÜHLINGSGEFÜHLE
«Herz,
frisch transplantiert
in die Wonnen der rauschenden Blutbahn?
«FRÜHLINGSGEFÜHL»,
steht auf dem Krankenblatt.»

Über solches wird nun in «Sternstunden Literatur» eine ganze Frühjahrskollektion lang diskutiert. Na ja. Da ist mir die Frau Pilcher lieber. An ihren englischen Küsten ist immer Sommer. Frühling macht mich einfach nur müde. Vermutlich liegts an dieser Stunde, die wir als Lohn für all die Herrlichkeit vorausbezahlen müssen. Jedenfalls beginnt so ein Frühlingstag viel zu früh? und selbst die Tauben haben ihre innere «Gurrugurrugurru-Uhr» mit dem ganzen Scheiss, den das Gebalze so mit sich bringt, noch nicht auf Sommerzeit umgestellt.
Ich gehe wieder mal aufs Grab. Hunderte von Stiefmütterchen wackeln missbilligend mit ihren Köpfchen, wie ich meinem Vater einen Gartenzwerg vor den Stein stelle. Mein Vater liebte Gartenzwerge.
Diese Liebe konnte er seinem Kind weitergeben. Immer im Frühling haben wir die putzigen Plastikmännlein gemeinsam im Vorgarten aufgestellt. Mutter klopfte dann energisch an die Scheibe. Ihr Mund formte ein klagendes O wie «Katastrophe!». Mutter konnte es mit den Zwergen genau so wenig wie mit dem Frühling. Die Sonne kommt nun über den riesigen Grabstein, auf dem zwei schaffende Hände (Mutter) und ein Bergschuh (Vater) eingemeisselt sind. Erika Nagel, meine Grabnachbarin, die ihre ganze Familie schon «unten» hat, lächelt mir zu: «Ist es nicht herrlich? die ersten warmen Sonnenstrahlen. Und schon spürt man den Frühling in den Knochen...» Dann: «Darf ich Sie zu einem Bier einladen...?»
Ich nicke dem Gartenzwerg zu. «Du hast recht: Es hört nie auf...!»

Montag, 6. April 2009