Fitten statt fetten...

Sie haben mir Sport empfohlen. Bewegung.
NA DANKE. Das empfehlen sie mir nun schon seit bald 60 Jahren.
Schon mein Vater hat mir jeweils jenen liebevoll-mitleidigen Blick geschenkt, den man ansonsten für Hängebauchschweine übrig hat: «Du bist nicht wie ich...»
NEIN.
WAS WAHR WAR, WAR WAHR!
Während mein Vater vor dem Frühstück schon mal 1000 Seilhüpfer hinlegte, war ich noch immer bemüht, meine Brauen zu zupfen.
Heute hat mein Vetter den Vater abgelöst. Tom hüpft auch. Danach liegestützt er rauf und runter wie diese Luftpedale mit denen man Gummimatratzen aufbläst.
Und wie mein Vater schaut auch er keuchend und nach diesem Schweiss miefend, der mir schon in den Turnhallen als junges schönes Kind den Magen gekehrt hat, zu uns Unbeweglichen rüber, ob wir ihn für seine Transpirationsausbrüche auch gebührend bewundern.
TUN WIR JA.
ABER DIESER DURCHGEDREHTE FITTER SOLL UNS DOCH IN RUHE FETTEN LASSEN.
«Du bist dreifach gefährdet», keucht Tom nachdem er sich mit einem Frottiertüchlein seinen Schweiss abgerieben hat und die Fliegen im Crescendo um den Lappen surren, «... erstens bist du zu schwer. VIEL ZU SCHWER».
Ach ja? Sagt mir doch mal was Neues.
«Zweitens», fährt Tom ungerührt vor und gurgelt einen dieser Drinks runter, welche den Bizeps auf und die menschliche Lust abbaut, «zweitens rauchst du. Und das ist ganz schlimm...»
Ok. Ich finde Schweisssöckchen stinken arger. Aber ich sage nichts. Ich habe bald Geburtstag und will mir mein Geschenk nicht verscherzen.
«... UND DRITTENS NERVST DU DICH, WEIL DU IN KEINE HOSE MEHR REINKOMMST. UND WENN DU DICH NERVST, STEHT DER HERZINFARKT IM VORZIMMER...»
Ok.
Ich wollte am ersten warmen Tag diese aquamarinblauen Bermuda-Jeans anwerfen, von denen schon ein stadtbekannter Filmproduzent gesagt hat: «Das ist der wahre Stoff, aus dem der Horror gewoben wird» - obwohl ich also zehn Sekunden lang den Atem anhielt und dann aus einer kleinen Ohnmacht auf dem Sofa erwachte: SIE GING NICHT ZU. ES GING ÜBERHAUPT NICHTS. UND MAN KANN DIE HOSE NICHT MEHR AUSLASSEN. SIE IST AM FADENSCHEINIGEN LIMIT, WIE MEIN GELBES KONTO AUF DER POST.
Ich gebe zu, dass ich da für ein paar Minuten eine starke Depression durchmachte, die ich dann aber mittels zwei Riegeln MARS sofort wieder in den Griff bekam. Schlimmer wurde es erst, als ich mir ein paar Bermuda-Jeans in meiner wahren Grösse (mit Reserve-Innenbahn zum Auslassen) kaufen wollte.
Die einzige Kleidung, die sie mir anbieten konnten, war einer dieser modernen Umstandshosenröcke mit Gummizug.
Ich betrachtete mich im Spiegel. Und was ich sah, war nicht schön, sondern ein erschreckender Abklatsch von «... nicht ohne meine Tochter».
UND DA HABE ICH IN EINER UNBEDACHTEN SEKUNDE ZU MEINEM FITTEN VETTER GESAGT. «Ab morgen treibe ich Sport!»
ABER DAS WAR DOCH NUR EIN SCHERZ.
Und das ist noch lange kein Grund, mir auf den Geburtstag dieses schreckliche Velo mit dem Pulsmesser zu kaufen.

Montag, 22. Mai 2006