Fernando wohnt gleich hinter dem Barbierstuhl

Montag - «Ecco!», jubelt Fernando.

Ich lasse die Zeitung sinken. Und schaue in den Spiegel.

«MERAVIGLIOSO!» - jauchzt der Figaro. Und wedelt Einsprüche energisch mit dem Pinsel von meiner Schulter. «Sie sehen zehn Jahre jünger aus, Signore!»

JÜNGER? Ich senke gepeinigt die Augen.

ICH SEHE AUS WIE EIN HAMMEL NACH DER LETZTEN SCHERUNG UND VOR DEM ERSTEN GIGOT!

Alles Grethchens Schuld.

Grethchen hat mich schon während der ganzen Fahrt durch Oberitalien scheel angeguckt: «Du musst dich nicht wundern, dass sie am Zoll die ganze Kiste untersuchen wollten!»

Ja - das mit dem Zoll war big shit. Grande merda. Jahrzehntelang hopple ich gruss- wie problemlos an den hochglanzpolierten Berlusconioni vorbei. Diesmal war einer mies drauf. Winkte uns links heraus. UND DANN GING DIE POST AB! - aus lauter Frust, dass da nur zwei Kilo Gummibärchen sowie 80 Tafeln Schokolade mit Nuss waren, hat er dann auch noch den Aschenbecher ins Untersuchungslabor abgegeben.

Grethchen stand wie ein donnerndes Gewitter in dem etwas zu satten Dolce-Cabana-Overall neben mir. Sie kommentierte jeden Griff der Zöllner mit: «Das ist ja wieder mal typisch Berlusconi!» Und jetzt sollen meine Haare daran schuld sein, dass sie auch noch das Dach abgeschraubt haben!

In Brescia konnte ich die Vorwürfe nicht mehr hören. O.k. Ich hocke dem ersten Figaro auf den Stuhl!

Aber Pech gehabt. Auch in Italien haben sich die Haarschneider den Montag zum Sonntag gemacht.

Die gute Alte, die an einem Ständchen Maiskörner für die paar verlausten Tauben vor dem Dom feilhielt, gab uns dann den Tipp mit «Fernando». Er habe schon ihrer Mutter die Hochzeitsfrisur gemacht. Das Beste aber sei die Tante im Sarg gewesen - er habe ihr auf die letzte Reise hin nochmals einen Chignon aufgebrezelt, dass sich der Witwer neu in die Verblichene verliebt und bei Sargschluss wie ein Ochse geschrien habe. Im Übrigen habe Fernando immer offen - er wohne gleich hinter dem Barbierstuhl.

DORTHIN HAT MICH GRETHCHEN GESCHLEPPT.

Fernando hockte auf einem Holzstühlchen - in einen Rennwagen-Katalog des Jahres 1964 vertieft. Als er uns eintreten sah, wedelte er sofort auf Grethchen zu, nannte sie «mia bella signora», und Grethchen plusterte sich auf wie das Michelin-Männchen bei Höchstreifendruck.

«Facciamo una bella tintura?», schleimte sich das Frisiermännchen an meine Freundin und hielt ihr ein paar vergilbte Haarzöpfe in abgewaschenen Farben hin. Doch Grethchen gurrte nur schelmisch: «Der dort - kürzen!»

DANN LIESS FERNANDO DEN GANZEN FRUST SEINES TAGES AN MEINEM LOCKIGEN HAAR AUS.

«Ich brauche sofort einen Hut!», donnerte ich Grethchen an, nachdem die Türe zu Fernando ins Schloss gekracht war. Erstens friere ich mir so die Ohren blau. Und zweitens fühlt sich meine Kopfhaut an, als würde eine Mannschaft Eishockeyaner die Biellmann-Pirouette darauf proben.

Natürlich hatten auch die Hutgeschäfte Sonntag. In Brescia ist immer Sonntag.

Gottlob hatte Grethchen den Turban-Badehut für die Kur in den euganeischen Bädern dabei. Als ich so behütet wie die Begum im Bade das Ristorante betrat, kam uns der Wirt energisch die Serviette wedelnd entgegen: «No - signore. Nicht mit Hut!»

Da habe ich den Turban ausgezogen. Und der Wirt sah entsetzt auf meinen Kopf: «Si signore - besser mit Hut!»

So hatten nicht nur der Zöllner und Fernando einen miesen Tag.

Mittwoch - Natürlich wollte Grethchen Ferrara sehen: «Hier hat Arthur doch die 'Gärten der Finzi Contini' gedreht!»

Später merkte ich, dass dieses Kulturmoment nicht der einzige Grund für unsere Ferrara-Reise war. Grethchen hatte Gift im Visier - Lucrezia Borgia und ihr ganzes Wasserschloss. «Ich wollte die alte Giftmischerin schon immer mal kennen lernen!» - flüsterte sie mir zu und zückte vor dem Kassier den AHV-Ausweis: «Wir sind beide über siebzig, signore - da sollten Sie uns noch etwas rausgeben, wenn wir schon diese feuchten Räume hier aufwärmen!»

Das Schlimmste: Der Kassier liess uns passieren. «Und reg dich nicht auf», grinste Grethchen, «in diesem düstern Licht sehen alle wie ihr eigenes Gespenst aus - man gibt dir höchstens 68!»

Da wusste ich, wozu eine Lucrezia Borgia fähig sein konnte.

Donnerstag, 17. März 2005